Das Avanti Pop!-Festival am Kölner Tanzbrunnen hab ich leider verpaßt – sehr zu meinem Ärger, das Sud Sound System aus Lecce hätte ich doch zu gerne mal gesehen. Heute zum Frühstück gab’s aber noch einen kleinen Nachschlag im Stadtgarten, wo der WDR eine Funkhaus-Matinée mit Lucilla Galeazzi und der Banda Improvvisa aufzeichnete.Galeazzi gehört zu den aufgeschlossensten Vertretern der (an aufgeschlossenen Gestalten ohnehin nicht armen) italienischen Folk-Szene: Eine grandiose cantatrice, mit einer herrlichen Stimme, die in traditionellen Tönen genauso zu Hause ist wie im Jazz oder in improvisierter Musik. Das Singen, erklärte sie zwischen den Stücken, hat sie zu Hause gelernt, von der Mutter, die während der Hausarbeit sang und dabei das Hin und Her des Bügeleisens als Rhythmus nahm.
Nimmt man das Tempo zum Maßstab, das ihr Begleitquartett zeitweise vorlegte, dann muß Mamma Galeazzi ein Jimi Hendrix des Bügeleisens sein: Wenn so eine echte pizzicarella mal abgeht, dann gibt es Knoten in die Hemdsärmel und Hosenbeine, ohne Frage.
Mit ihrem eigenen Quartett spielt Galeazzi vor allem die folkloristischen Töne, ohne dass jedoch Jazz, Improvisation oder andere Einflüsse ausgeblendet sind. Kein Wunder: Improvisation hat immer zur italienischen Musik gehört. Wenn Galeazzi zu ihren silbenakrobatischen Gesangssolos ansetzte, dann war das von Scat nicht allzuweit entfernt. Einiges erinnerte mich auch an den Klezmer-Jazz der New Yorker Band Pachora, vor allem, wenn Salvatore Zambataro das Akkordeon zur Seite legte und die Klarinette zur Hand nahm. Und als Perkussionist Massimo Carano mit seinem Tamburin-Solo loslegte, mußte ich mich erst mal vergewissern, ob da nicht irgendwo ein Schlagzeuger in den Kulissen saß, so stramm schlug der Basstöne durch.
Die Banda Improvvisa kam in diesem Rahmen fast ein bißchen zu kurz, zu Unrecht: Immerhin handelt es sich da um eines der interessantesten Orchesterprojekte überhaupt. Bis zu siebzig Musiker versammelt Bandleader Orio Odori bisweilen auf der Bühne, Profis und Amateure, mit denen er klassische und neue Musik spielt, Stücke von Zappa und Nino Rota ebenso wie eigene Kompositionen. Heute gab’s nur eine kleine Besetzung: Acht Blech- und Holzbläser (wenn ich richtig gezählt habe), darunter der achtzigjährige Bürgermeister von Odoris Heimatdorf an der Posaune, die einen soliden Chorus zu einem Stück der Galeazzi spielten und dann eine hübsche kleine Folkimprovisation mit Carrano und Gitarrist Massimo Nardi.
Dann gehörte der Vormittag wieder la Galeazzi, für zwei Stücke und eine Zugabe. Da gab es dann die ergreifendste Version von „Bella Ciao“, die ich je gehört habe: Galeazzi, solo mit Gitarre, begann so langsam und schwermütig, dass die Partisanenhymne plötzlich zum Lamento wurde . Je näher der Text den Tod des Partisanen brachte, desto lauter wurde ihre Stimme, desto kräftiger die Akkorde auf der Gitarre, aber das war kein Triumphgeheul, sondern ein Aufschrei von Trotz, Schmerz und Wut: Ein großer Moment.
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