Geheimniskrämer


(c) PostSecret

Jeder von uns hat ein paar Geheimnisse, und nicht alle davon kann man aussprechen. Seit gut einem halben Jahr sammelt Frank Warren solche Geheimnisse und veröffentlicht sie auf einer der schönsten und seltsamsten Seiten im Internet: PostSecret.

„Mail in your secrets today“, lautet die Einladung auf der Website:

You are invited to anonymously contribute your secrets to PostSecret. Each secret can be a regret, hope, funny experience, unseen kindness, fantasy, belief, fear, betrayal, erotic desire, feeling, confession, or childhood humiliation. Reveal anything – as long as it is true and you have never shared it with anyone before.

Das ist aber nicht die einzige Bedingung: Die Geheimnisse müssen mit der Post geschickt werden, auf einer vier mal sechs Inch großen Postkarte, und sie müssen mit einem Bild illustriert sein: „Be brief, be legible, be creative.“ Nicht alle werden veröffentlicht, von den ca. 100 Karten, die ihm zugeschickt werden, wählt Warren eine Handvoll aus und stellt sie immer sonntags ins Netz.

Die Resultate sind erstaunlich: Wenn man über die Website scrollt, hat man das Gefühl, ein Panorama der conditio humana vorbeirauschen zu sehen. Die zugeschickten Geheimnisse sind mal banal, mal bewegend, mal witzig, mal widerwärtig, mal schön, mal schockierend. „I want to be an Outlaw Biker“, heißt es auf einer Karte, auf einer anderen: „When I was little/I would wish upon a star/For my dad to die“. Manche Geständnisse sind kurz und knapp („I lied.“), andere erzählen halbe Romane. Alle sind einzigartig und haben bei aller Individualität doch eines gemeinsam: Nämlich den Versuch, Bilder zu finden für das, was in einem nagt.

„Es gibt zwei Arten von Geheimnissen“, sagt Warren: „Solche, die wir vor anderen haben, und solche, die wir vor uns haben.“ Fast alle haben es an sich, dass sie früher oder später einen Weg nach draußen suchen. Aber wie bringt man ein Geheimnis zur Sprache? Coming-outs sind nie einfach, und manchmal ist es besser, kleine Schritte zu machen. Etwas auszusprechen und zu benennen, ist schon mal ein Schritt, und bei weitem kein kleiner. Über PostSecret kann man Dinge formulieren, ohne Angst vor dem Feedback haben zu müssen.

Aber es geht nicht nur um die Geheimnisträger, die ihre Geheimnisse einschicken, sondern auch um die, die die Seite anschauen. Sicher scrollt man mit voyeuristischer Neugier, aber auch mit Sympathie und Mitgefühl. Gerade weil man die Einsender nicht kennt – alle Postkarten werden anonym veröffentlicht -, fällt es einem leicht, sich mit den mitgeteilten Emotionen zu identifizieren. Man kennt das alles, Wünsche, Sehnsüchte, Haß und Zuneigung, Lust und Aggression, und weil man nichts über die konkreten Anlässe weiß, reduzieren sich die Geheimnisse nicht auf das individuelle Pech von ein oder zwei Menschen.

Deswegen ist es auch unerheblich, ob die Geheimnisse auf den Karten echt sind oder erfunden. „Alle Geheimnisse sind wahr, auch wenn die Leute, die sie einschicken, das nicht wissen“, hat Warren in einem Interview gesagt. „Wenn es nicht der Person gehört, die es einreicht, gehört es vielleicht einer anderen.“

PostSecret ist darum auch mehr nur als ein „digitaler Beichtstuhl“, als den manche Journalisten die Site sehen wollen. Kurioserweise gibt es derzeit einen Boom solcher Beicht-Sites, und manche davon sind mehr oder weniger offen von PostSecret beeinflußt. Aber so ganz treffen sie nicht den Punkt, auf dem PostSecret sich befindet: Come Clean ist eher ein slickes Design-Projekt, mehr Flash als Freud. Und Grouphug.us, e-admit, Not Proud oder The Confession Project lesen sich bisweilen eher wie Chatroom-Protokolle, pubertäre Porno-Phantasien inklusive (und auch dafür gibt’s mit dem Laidblog inzwischen einen eigenen Platz).

Einiges treibt auch eher kuriose Blüten, etwa wenn e-admit über die Geheimnisse der Teilnehmer abstimmen läßt, oder Grouphug.us, trotz des kuscheligen Namens, ein Layout wählt, das eher wie das Verhörzimmer einer Polizeiwache aussieht. Lustig auch der Einfall von Not Proud, die Geständnisse nach den sieben Todsünden zu kategorisieren und dann, als wollte man Gott ein bissel Schlamperei nachsehen, noch eine achte Kategorie namens „Miscellaneous“ dazu zu erfinden. (Jungs, schreibt doch auch gleich noch ein elftes Gebot: „Thou shalt not do miscellaneous forbidden things.“

Die Betreiber dieser Sites haben aber alle den Charme von PostSecret nicht ganz erfaßt. Im Zeitalter der Blogs insistiert Warren auf einem ganz altmodischen Medium:, der Postkarte. Man braucht ein wenig Zeit, Geduld und Handarbeit, um darauf ein Geheimnis zu formulieren und illustrieren. Die gedankliche und kreative Arbeit, die dabei in Gang kommt, kann um einiges sorgfältiger sein als das einfache Ausfüllen von Feldern in einem Webformular. Auf Grouphugs.us sehen alle Bekenntnisse gleich aus. Auf PostSecret sind alle einzigartig. Und gerade das ist der Witz: Es gibt keine „besseren“ oder „schlechteren“ Geheimnisse auf PostSecret, aber Tausende von Geschichten.

Wer ein Geheimnis los werden möchte, hier die Adresse:

PostSecret
13345 Copper Ridge Rd
Germantown, Maryland
USA 20874-3454

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert