Die spanische Zeitung El País bringt (leider nicht online) einen lesenswerten Artikel des französischen Architekten François Charlin über die Novemberunruhen in den Banlieues von Paris. Charlin analysiert die Unruhen aus urbanistischer Sicht, und sieht in ihnen die Konsequenz einer gescheiterten Städteplanung.
In der Technik-Euphorie der Nachkriegsjahre galten die Banlieues noch als urbane Umsetzung égalité. Ärgerlich nur, dass die mündigen citoyens, die da in die schönen neuen Wohnblocks zogen, irgendwann den Pfusch am Bau satt hatten, und die unmittelbare Nachbarschaft aus Hochspannungsleitungen, Eisenbahnlinien und Gewerbegebieten. Wer genug gespart hatte, zog wieder weg und kaufte sich ein Häuschen im Grünen.
Schon Ende der Siebziger fuhr die Abrißbirne durch die Vorstädte und demolierte die Utopie einer schönen neuen Welt der Rationalität und Gleichheit. In den Häusern, die nicht sofort abgerissen wurden, wohnten längst die Ärmeren, und für die lohnte es sich nicht, die maroden Vorstädte zu renovieren: Die alte Utopie wurde abgerissen, aber an ihrer Stelle keine kohärente neue Vision aufgebaut, schließlich waren alle postmodern geworden, große Theorie- und Wohngebäude wollte da keiner mehr in die Welt stellen.
Ist die zerstörerische Wut, mit der die jugendlichen Banden durch die Vorstädte fegten, und die man oft als nihilistisch bezeichnet hat, nur ein Nachklang der konzeptlosen Destruktion, mit der die Städteplaner in den Achtzigern und Neunzigern die einstmals gefeierten Blocks wieder dem Erdboden gleichmachten? Der Furor richtete sich vor allem gegen staatliche Einrichtungen, aber auch gegen kleine Geschäfte und Cafés, von den zahllosen brennenden Autos nicht zu reden, also gegen alles, was für ein wenig Infrastruktur steht, für System und Mobilität. Also alles das, was die offizielle Politik selbst Stück um Stück aus den Vorstädten zurückgezogen hat: Als ob die Jugendlichen noch die letzten Reste davon zertrümmern wollten.
Andererseits gibt es grade in der Hip-Hop-Kultur (auf die ja auch immer wieder verwiesen wurde) eine fast romantische, kleinbürgerliche Vorstellung vom Kiez als Heimat. Dafür braucht man gar nicht über die Grenze zu schauen: Was ist Sidos „Mein Block“ anderes als ein fast liebenswerter Versuch, den Sozialbau als kleines Dorf umzudeuten, ein proletarisches Update von „Diesem ehrenwerten Haus“ sozusagen?
Schreiben Sie einen Kommentar