Rockpolitik


Adriano Celentano macht eine Show, und in Italien tobt das Feuilleton. Wer hätte gedacht, dass ein 68jähriger Schlagersänger so einen politischen Aufruhr veranstalten kann? Aber der Wirbel um die Comeback-Show Rockpolitik ist nur ein Beispiel mehr für den miserablen Zustand der italienischen Medienlandschaft.

Schon im Sommer war die Show eines der Hauptgesprächsthemen auf den Medienseiten: Der Rai-Chef Fabrizio del Noce, eigentlich ein Forza-Italia-Mann, hatte Celentano eine abendliche Fernsehshow versprochen, mit voller inhaltlicher Kontrolle. Celentano war so clever, vor der Erstausstrahlung außer geheimniskrämerischen Andeutungen und ein paar vollmundigen Slogans („qualcosa di mai visto in TV“) nichts nach außen dringen zu lassen. Und so stieg auf Seiten der Linken die Erwartungshaltung, und bei den Rechten die Panik: Kritik an Berlusconi, und das zur besten Sendezeit, im Staatsfernsehen? Del Noce wollte vor lauter Schreck über das, was ihm da unterlaufen war, sogar schon zurücktreten.

Am Donnerstag ging die Show über den Sender, und elf Millionen Italiener, fast die Hälfte aller Fernsehzuschauer, sahen zu. Ich hab sie nicht gesehen, nur ein paar Ausschnitte in den Schweizer Nachrichten und im Internet, aber eigentlich brauchte man das auch nicht: Die Repubblica hat in ihrer Freitagsausgabe auf drei großen Seiten fast alles nacherzählt, was es da zu sehen gab.

Besonders revolutionär kommt einem das nicht vor: Konventionelle Rockmucke, kabarettistische Show-Einlagen und Michael-Moore-ähnliche Enthüllungen, vor allem ein Video mit einer Berlusconi-Pressekonferenz von 2002: Dort meckerte der Cavaliere gegen die kritische Berichterstattung von drei RAI-Journalisten, die – che sorpresa! – kurz darauf entlassen wurden. Einer der drei, Michele Santoro, trat in der Show auf. Das war schon eine freche Geste: Santoro hat seit seiner Entlassung eigentlich Hausverbot bei der RAI.

Ein paar lustige Szenen gab es durchaus: Celentanos Präsentation einer Untersuchung zur Pressefreiheit zum Beispiel, in der Italien auf Platz 77 landete (zwischen Bulgarien und der Mongolei), und Celentano ließ es sich nicht nehmen, süffisant darauf hinzuweisen, dass das Forschungsinstitut Freedom House hieß – Berlusconis Parteienbündnis nennt sich Casa della Libertà.

Aber eins ist auch klar: Celentano ist kein Revolutionär, sondern ein populistischer Entertainer. Seine Welt ist ganz einfach schwarz und weiß gestrickt. Schon am Anfang der Show präsentierte er seine eigentümliche Version von Gut und Böse: Alles Coole ist rock, alles Uncoole lento (und das in einem Land, wo sonst mit slow food und cittàslow die Langsamkeit als Haltung des zivilen Sandkorn-im-Getriebe-Seins geradezu beschworen wird). Aber rock sind dann nach seiner Definition doch nur ein paar eher konventionelle Schoten: Jeans, Motorrad-Weltmeister Rossi und (nanu?) der Papst.

Die gigantomanische Kulisse einer Endzeit-Stadt, in der – huh! – sogar echte Chinesen herumwuselten (Globalisierung, Sie verstehen?), war wohl die naheliegendste Möglichkeit, im Fernsehstudio eine Stadionatmosphäre zu simulieren. (4 Millionen Euro habe die Show gekostet, maulte das Berlusconi-Blatt Il Giornale sauertöpfisch). Dass Celentano ausgerechnet in dieser Kulisse die Heimeligkeit und Vertrautheit italienischer Dorfpiazzas beschwor, das hat auch ein bißchen was Prince-Charles-haftes.

Rockpolitik ist kein Skandal. Inzwischen fühlt sich sogar Del Noce ganz wohl damit, kann er inzwischen doch behaupten, dass man im italienischen Fernsehen durchaus alles sagen dürfe. Der eigentliche Skandal ist was anderes: Dass man in Wirklichkeit Celentano heißen muss, um im italienischen Fernsehen noch so etwas wie Kritik unterbringen zu können.

*Kleines Update:* Die Eintönigkeit der italienischen Medienlandschaft ist der Rechten freilich noch nicht eintönig genug. „Celentano ist unsere Schuld“, schreibt der Giornale:

Die Rechte hat es nach dem Wahlzieg nicht verstanden, einen guten Nutzen aus dem wichtigsten Instrument der Information und Kultur in Italien zu ziehen.

Dass das Fernsehen als bloßes Instrument zu betrachten sei, und von der Rechten in ihrem Sinne zu manipulieren – das findet man selten so deutlich ausgesprochen.

Es gibt keine Kultur der Rechten, weil es keine rechte Kultur gibt. Dass es keine Kultur der Rechten gibt, liegt nicht daran, dass es sie nicht geben könnte, sondern weil die Rechte es nicht gewollt und nicht vermocht hat, eine solche Kultur zu befruchten, zu ermutigen, zu motivieren, und weil sie ihr nicht die Instrumente gegeben hat, um die Arbeit aufzunehmen.

Es liegt wohl eher daran, dass Berlusconi, eine unpolitische RAI, in der man über nichts mehr diskutiert, lieber ist, als eine politische RAI, in der Diskussion zuindest fingiert wird

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