Der schwedische Reiter


Den Tag über hatten sie sich versteckt gehalten, jetzt in der Nacht wanderten sie durch den schütteren Kiefernwald. Sie hatten beide Ursache, den Menschen aus dem Weg zu gehen, mußten trachten, ungesehen zu bleiben. Der eine war ein Landstreicher und Marktdieb, der dem Galgen entlaufen war, der andere ein Deserteur.

Wer auf der Flucht ist, macht nicht viele Worte, und Leo Perutz führt uns mit so viel Verve in seinen Roman Der schwedische Reiter, dass man kaum Luft holen kann. Zwei Männer schickt er da durch die eiskalte schlesische Provinz um 1700, zwei Männer, die eine Notgemeinschaft gebildet haben und bald zu Feinden werden.

Perutz‘ Buch ist als Abenteuerroman angelegt, aber einer, der nicht die epische Breite sucht, sondern in einer schnurgeraden Linie auf das dramatische Ende zusteuert. Selbst wenn Perutz kurz innehält, um die Landschaft zu schildern, dann liest sich das, als ob er nur den Horizont nach verdächtigen Bewegungen absucht:

Als sie den Wald hinter sich hatten, war es Tag geworden. Eine dünne Schicht Schnee lag auf Feldern, Wiesen und Ödland. Heidehühner strichen im fahlen Licht des Morgens darüber hin. Vereinzelt hier und dort eine Birke, in deren zerzausten Zweigen der Sturmwind sich verfing. Und im Osten dehnte sich eine weiße Wand, das war der Nebel, ein Brauen und Wogen, ein Auf und Nieder, und was dahinter lag: Dörfer, Gehöfte, Heide, Ackerland und Wald – das alles blieb dem Blick verborgen.

Kein Wort ist hier zuviel. Man möchte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, nicht nur, weil es spannend ist, sondern weil man so gehetzt und nervös über die Seiten fliegt wie die Protagonisten durch ihre Intrigen. Hier kann man nicht einfach verschnaufen: Wer blinzelt, ist tot.

Der schwedische Reiter gilt, wenn ich es richtig sehe, gar nicht mal als eines der maßgeblichen Werke von Perutz. Er schrieb das Buch 1936, in einer Zeit der Krise. Die Nationalsozialisten waren in Deutschland an der Macht, und für den Österreicher Perutz war es unmöglich geworden, im größten Land seiner Sprache noch Bücher zu veröffentlichen. Schon Ende der Zwanziger war seine literarische Arbeit, nach dem Tod seiner Frau, ins Stocken geraten. Nach dem Anschluß Österreichs floh er nach Israel, aber da gab es für ihn noch weniger Möglichkeiten, seine Bücher heraus zu bringen.

Fast meint man, in diesem Roman so etwas wie ein Aufbegehren zu lesen, einen Versuch, der Stagnation ein Buch entgegenzusetzen, das vor Lebendigkeit nur so überschäumt. Da schreibt einer, als müßte er jeden Augenblick fürchten, dass ihm die Stimme wegbleibt, aber seine Erzählung berichtet auch schon von einer Welt im Chaos und ohne Moral. Als der Dieb auf einem Gehöft eintrifft, das von Dragonern besetzt gehalten wird, da liest sich das fast wie ein Vorgriff auf Szenen, die sich bald darauf im russischen Winter abspielen werden.

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