Für den Stephanstag war eigentlich schlechtes Wetter angekündigt, aber dann rissen die Wolken doch etwas auf, und wir sind spazierengegangen, bis zum Fasnachtsmuseum in unserem Ort. Ich war schon über zwanzig Jahre nicht mehr dort drin gewesen, aber ich habe eine besondere Beziehung dazu: Mein Vater hat das Museum mit betreut, Führungen dort gemacht und vor allem in wochenlanger Arbeit die Schilder für die Exponate gemalt. Ich habe so lesen gelernt: Alf fünfjähriger Knirps hinter seinem Rücken stehend und dabei zuschauend, wie er konzentriert mit Tusche die Buchstaben auf Pappschildchen malte. Die Sache hatte aber einen Haken: Als ich in die Schule kam, war ich zwar fit genug, um die Zeitung entziffern zu können. Aber ich konnte nur Druckbuchstaben. Eine saubere Schreibschrift kriege ich bis heute nicht hin.
Oft durfte ich ihn auch begleiten, wenn er die Schilder eigenhändig im Museum anbrachte. Das dauerte oft bis tief in die Nacht. Dann schlichen wir durch das schummrige Museum, das in einem alten Salzspeicher untergebracht war: Ein seltsames Gebäude, ein halbkugelförmiger und ziegelgedeckter Bau aus Holz, ohne Fenster, nur mit einer kleinen Luke. Wenn mein Vater das Licht ausknipste, warf ich immer noch mal einen Blick in den dunklen Raum und freute mich über den leichten Grusel beim Anblick der schemenhaften Hexen- und Teufelsgestalten, die man unscharf ausmachen konnte.
Das Museum ist inzwischen durch Anbauten vergrößert worden, die Schilder meines Vaters gibt es nicht mehr, ein paar Figuren sind ausgetauscht und hinzugefügt worden, aber einiges ist auch gleich geblieben: Dieselben alten und teilweise in grotesken Verrenkungen aufgestellten Schaufensterpuppen, über die die historischen Kostüme gestülpt sind, dieselbe etwas chaotische Anordnung, noch frei von jeder museumspädagogischen Anwandlung, sondern einzig dem Geist des heimatmusealen Sammelns, Hortens und Zusammenstopfens gehorchend, die alten Bahnschwellen im Fußboden, die schaukelnde Wendeltreppe zur oberen Etage, der leicht muffige Geruch nach Holzbeize, altem Stoff und Staub …
Die Geister der Vergangenheit … Hier war ich in einem Gebäude voller Gestalten, die tatsächlich Dämonen und Geister darstellen sollten. Und jede einzelne von denen, die ich wiedererkannte, erinnerte mich an die Geschichten von damals, nicht nur an die Nächte im Museum, auch an meine eigenen Teilnahmen an den Umzügen. An das frierende Herumstehen in fremden Wohngebieten, weil der Zug stecken geblieben war. An das Scheppern der Fanfarenzüge und die maximal drei oder vier Lieder, die sie spielen konnten. An das Gemisch aus Schneematsch, Konfetti und zertretenen Bonbons, das die Straßen verdreckte. An den stechenden Schmerz, wenn einem einer die „durchbohrte Interpol“ ans Bein hielt und abdrückte …
Als wir vor aus dem Museum hinausgingen, war der Himmel schon wieder zugezogen. Wir liefen durch den Kurpark nach Hause, durch den Rest von Schnee, der über Weihnachten liegengeblieben war.
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