Anonymität und Wikipedia


Eine Art Nachschrift zur Frage nach der Privatsphäre im Web 2.0: Der Kryptograph Bruce Schneier beharrt in seiner Wired-Kolumne ganz entschieden auf dem Recht auf Anonymität. Die Einwände gegen Websites, die ihren Nutzern einen anonyme Teilnahme ermöglichen, hält er nicht für triftig: Das Problem der Wikipedia, sagt er, ist nicht die Tatsache, dass viele ihrer Artikel anonym verfaßt oder bearbeitet worden sind, sondern dass es keine klaren Verantwortlichkeiten gibt.

Anonymität schließt Verantwortlichkeit nicht aus: Das sieht man, beispielsweise bei Ebay, wo die Transaktionspartner zwar auch anonym miteinander verhandeln, aber innerhalb einer Struktur verteilter Verantwortlichkeiten. Die Anonymität ist nicht vollkommen, es ist eine Pseudo-Anonymität, die über einen als vertrauenswürdig erachteten Dritten vermittelt wird. Ebay verfügt zudem über ein immanentes Sanktionssystem, das über Rankings und des Reputationsaufbau die Verantwortlichkeiten klar zuweist: Wer wann warum welche Bewertung erteilt oder erhält, ist klar nachvollziehbar.

Auch bei der Wikipedia kann ich die Historie eines Artikels und seiner Verfasser nachvollziehen. Aber das ist nicht an ein Sanktionssystem gekoppelt. Nun ist natürlich die Frage, ob ein solches System auf ein Wiki-Konzept übertragbar ist. Schneier sagt: Selbst wenn ich für jeden Satz der Wikipedia den Namen des Verfassers kennen würde, wäre es schwierig, ihn für allfällige Ungenauigkeiten zur Verantwortung zu ziehen. Für das Projekt der Wikipedia ist es ja geradezu konstitutiv, Irrtum und Fehler zuzulassen und sich auf das korrektive Element der öffentlichen Diskussion zu berufen: Die Wissenstransaktion ist ein offener und nie wirklich abgeschlossener Prozess, die Transaktion der Waren bei Ebay ist irgendwann zu Ende, das Resultat bekannt und das Verhalten der Transaktionspartner kann benotet werden.

Der Punkt ist wahrscheinlich, dass die Wikipedia sich einfach entscheiden muß, was sie darstellen will: Ein Arsenal des volkstümlichen Meinens und der Zeitgeistigkeiten (was ja, vom mentalitätsgeschichtlichen Standpunkt aus betrachtet, keine schlechte Sache wäre): Dann wird sie ihre Offenheit beibehalten, aber logischerweise auch nie an ein Ende kommen können. Oder ein echtes Pendant zu akademischen Enzyklopädien: Selbst bei einer Abgrenzung von den akademischen Diskussionen wird man dann wohl nicht darum herumkommen, Verantwortlichkeiten zu definieren.

Via netbib.

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