Ich hatte am Wochenende ein Interview mit einem der neueren Pop-Autoren zu führen – ich kann’s nicht veröffentlichen, for internal use only, aber es ist einer der seine popkulturellen Duftmarken gerne in punkigen Gefilden setzt. Das war nicht unser Gesprächsthema, aber trotzdem Anlaß genug, mal wieder das Buch rauszukramen, das für mich mehr als andere Punk definiert hat, weniger als Musik, sondern als Haltung: The Boy Looked At Johnny von Tony Parsons und Julie Burchill.
Als ich das Buch so Ende der Achtziger in die Hände bekam, war es schon gut zehn Jahre alt und sowas wie ein Semi-Klassiker, was immer ein merkwürdiger Status ist für ein Buch, das eigentlich ein ikonoklastisches Anliegen hat. Es war ein Geschenk von Susanne, einer guten Freundin damals, die ich heute leider aus den Augen verloren habe, und auf der ersten Seite hat sie in ihrer selbstentworfenen Handschrift – so eine Mischung aus Runen, Graffiti und Gekrakel – eine kleine Widmung geschrieben:
… big city lights –
it is what they say …
lots of love
Susanne
was heute eher sentimental und rührend klingen mag, aber wenn man im Schwarzwald sitzt und die Smiths, Felt, The Fall und New Order die Eckpunkte des musikalischen Koordinatensystems ausmachen und London überhaupt die Kapitale alles Coolen ist, dann findet man so eine Bemerkung natürlich extracool. Schon allein deshalb, weil sie in Englisch geschrieben ist.
Extracool war auch Susannes damaliger Job, zumindest aus meiner Provinz-Perspektive: Sie war nämlich Au Pair und Babysitterin für den Sohn von Tony Parsons und Julie Burchill. Vermutlich werden alle Au Pairs dieser Welt sich verbitten, dass man so einen Sklavenjob als cool bezeichnet, aber da auch meine damalige Freundin als Au Pair nach London ging und da für einen großen Kopf der Deutschen Bank arbeitete, der zudem aus dem französischen Hochadel stammte und mit einer österreichischen Hochadligen verheiratet war und in einem schicken Reihenhaus in der schicksten Ecke von Fulham wohnte, hab ich dem Job immer eine ordentliche Portion Glamour beigemessen. Und die Vorstellung, dass Susanne jeden Tag einen ganz alltäglichen Kontakt mit Menschen pflegte, die für mich auf der Stufe von Helden, das fand ich schon sehr beneidenswert.
(Zumal ab und zu auch Insider-Tratsch abfiel, mit dem man dann wiederum im Freundeskreis angeben konnte. Parsons war damals zum Beispiel Ghostwriter der Autobiographie von George Michael. Das war noch einige Zeit vor dem öffentlichen Coming out von Michael, aber Parsons wußte schon Bescheid, die beiden diskutierten wohl darüber, ob es ins Buch solle oder nicht, und irgendwie kriegte auch Susanne das mit und erzählte es mir.)
Aber ich schweife ab – The Boy Looked At Johnny: Das Erste, was einem auffällt, wenn man das Buch liest, ist, dass die Engländer damals, vor 25 Jahren, schon längst die Chuzpe und den Verve draufhatten, der bei uns erst so im Gefolge von Slam Poetry und Pop-Literatur en vogue kam (was darum für mich auch immer ein bißchen wie ein müder Abklatsch wirkte). Gut, es gab damals auch schon Leute wie Kid P. bei Sounds, es gab dann irgendwann Peter Glaser und Maxim Biller, Tempo und den Wiener, aber so richtig durchgesetzt hat sich das dann ja erst wesentlich später.
Burchill und Parsons waren immerhin beim NME, der Pravda der britischen Popkultur. Und das war schon etwas Besonderes, wenn von dort jemand loszog um Rock’n’Roll zu beerdigen und heilige Kühe zu schlachten, auch die, die Punk gerade zu züchten begann. In The Boy Looked At Johnny gibt es kaum jemanden, der nicht ins Visier gerät: Die Sex Pistols, The Clash, The Stranglers, die amerikanische Punk-Szene in toto, auf alle wurde angelegt und kurz entschlossen abgedrückt. Das traf auch einige persönliche Helden, und was noch schlimmer war: Burchill und Parsons zielten verdammt gut.
The only saving grace of a Ramones gig was that if you popped out for a quick puke at the mezzanine celebration of a nation which invented the bomb to wipe out human life while leaving real estate intact, such was the austerity of the show that you stood a fair chance of missing it altogether!
So was zu lesen, war natürlich heftig, wenn man gerade erst nach Zürich gepilgert war, um eine völlig überteuerte Import-Ausgabe von Rocket To Russia zu kaufen. Aber darauf kam’s eben an: Keine Götter mehr, auch keine neuen.
Die Aggressivität von Burchill und Parsons hatte auch viel damit zu tun, dass beide Arbeiterklasse-Kids waren, die sich ihre Position im Kunststudenten-Milieu der Londoner Szene erst erkämpfen mußten. Parsons erzählt in seiner eben erschienenen Autobiographie, dass die beiden ihren Schreibtisch in der NME-Redaktion mit Stacheldraht und Glasscherben umgaben, und klingt so gut erfunden, dass es auch schon wieder wahr sein könnte. Ein Foto aus der Zeit zeigt die beiden Arm in Arm, in eine Ecke gekauert, aber mit einem Blick, der jedem Näherkommenden sagt: „Don’t you dare …“
So was kann ja nicht lange gut gehen. Das Alptraumpaar flog irgendwann auseinander, nicht ohne sich öffentlich gehörig zu beharken. Beide sind längst im Mainstream angekommen, Burchill als prominente Kolumnistin, irgendwo zwischen Skandalnudel und Agente provocateuse, Parsons ist inzwischen so eine Art proletarischer Nick Hornby geworden und verdient ganz gut mit Romanen über alleinerziehende Väter in der Midlife Crisis.
Man wird eben älter, das Auge läßt nach und dann läßt man sich nicht mehr so gerne zum Ansitz tragen. Die Party, die die beiden crashen wollten, war ja ohnehin schon damals vorbei:
In 1978 every record company is waking up to find a somewhat superfluous punk combo on its doorstep. Supply and demand? But you can’t supply something that there’s no demand for.
Und immer nur Nachrufe auf Untote schreiben, das macht ja auch keinen Spaß.
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