Von dem Platz, an dem ich im Moment arbeite, hat man einen interessanten Ausblick: So kondensiert und auf ein Panorama zusammengefahren bekommt man selten einen Mix aus den urbanen und sozialen Entwicklungen in der jüngeren Geschichte dieser Stadt dargeboten. Da ist der Supermarkt mit dem Fitnessstudio im ersten Stock, der sich den Parkplatz mit dem Discounter nebenan teilen muss, und wenn man lange genug zuschaut, könnte man interessante Beobachtungen darüber anstellen, wer wann welche Kunden fängt. Da ist das Bürogebäude rechts, in dem vor allem die großen blauen Mülltüten auffallen, die hinter die großen Fenster des Treppenhauses geschoben wurden. Dann ist da die Bahntrasse, auf der ständig leere Güteranhänger parken, so dass man den Nebenbahnhof gar nicht sehen kann, der sich hier befindet, der aber ohnehin nur noch selten angefahren wird: Die Räumlichkeiten sind längst an Cocktailbar vermietet, die vor ein paar Jahren mal ganz schick daherkam, aber inzwischen etwas öde vor sich hinloungert.
Hinter der Bahntrasse liegen Schrebergärten und Autowerkstätten, die in ihrer Barackenhaftigkeit ein bißchen so wirken wie die Gecekondus, die über Nacht aufgebauten Slums, in denen anatolische Landflüchtlinge mitten in Istanbul kampieren: Eines habe ich mal in Besiktas gesehen, direkt an die Mauer um den Park eines barocken Schlößchens geklebt. Ein wenig weiter links, hinter der nächsten Kreuzung, ist die Straße tatsächlich noch mit echtem Paris-Roubaix-Kopfsteinpflaster belegt und sieht so aus wie ostdeutsche Landstraßen unmittelbar nach der Wende. Das weiße Haus hinter der Bahnlinie ist noch eines der letzten Relikte des Häuserkampfes in den 80ern, eines der letzten besetzten Häuser, das hier noch übrig geblieben ist und auf dessen wechselnder Fassadenbemalung rote und schwarze Sterne mit Coladosen und Bush-Karikaturen kämpfen.
Hinter den Häusern der Grüngürtel: Hier habe ich vor Jahren mal einen ausgehungerten Fuchs gesehen, der sich bis in die Innenstadt durchgeschlagen hatte, angelockt vermutlich vom reichhaltigen Angebot an urbanen Kaninchen, bis die, wie man mir erzählt hat, von einer Seuche dahingerafft wurden. Am Rande des Parks steht einer der älteren Wohnblocks dieser Stadt, der von weitem ein wenig nach sozialem Wohnungsbau aussieht, aber billig sind die Appartements hier keinesfalls: Den Blick auf den Park und die Innenstadtnähe muß man sich teuer erkaufen. Soziales Engagement stellt eher das Quäker-Nachbarschaftsheim dar, dass man nur ein bißchen durch die kahlen Bäume leuchten sieht. Nicht zu sehen, aber direkt hinter den Wohnblocks ist eine der ältesten deutschen Moscheen in Deutschland, und vermutlich die erste Moschee, in der hierzulande eine Art Staatsakt stattfand: Zur Trauerfeier für die Opfer der Brandanschläge in Solingen.
Dahinter verlieren sich die Häuser von Ehrenfeld und Braunsfeld, Vororte, deren Geschichte mit Immobilienspekulationen im 19. Jahrhundert beginnt, und ganz hinten am Horizont, dick und weiß hinter den Wohnblocks aufsteigend, sieht man die Wolke eines der Braunkohlekraftwerke, Niederaußem wahrscheinlich. Da hinten wird auch noch nach Braunkohle gebaggert, erst vor einigen Jahren mußten wieder einige Dörfer deswegen komplett umziehen. Andere Löcher werden inzwischen zugeschüttet und in Naherholungsgebiete umgewandelt, und in eines hat sich im letzten Jahr der Papst gestellt und zur katholischen Jugend gepredigt.
Genug davon. Let’s get back to work.
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