Eurosport brüstet sich in der Eigenwerbung ja gerne damit, der beste Sender für Radsport zu sein. Wenn man allein nach der Quantität geht, stimmt das natürlich auch: Keiner überträgt im deutschsprachigen Raum so viele Rennen. Wenn man über die Grenze schaut, nach Belgien, dann sieht das natürlich wieder ganz anders aus, da vergeht in der Saison kaum ein Wochenende, ohne dass nicht irgendeine Radsportveranstaltung live übertragen wird. Vor allem würde man in Belgien kaum solche Dinge erleben wie gestern bei Eurosport während der Übertragung der Ronde van Vlaanderen, nämlich das nur die erste Hälfte live gezeigt und dann plötzlich mittendrin für irgendeine drittklassige Motorsport-Veranstaltung rausgegangen wird, um den Endspurt dann als Zusammenfassung nachzureichen.
Sowas passiert häufiger mal bei Eurosport: Für drittklassige Tourenwagenrennen lassen die auch schon entscheidende Tour-de-France-Etappen sausen. (Vergangene Woche hatten sie das Critérium International im Programm, brachten aber nur zwei von drei Etappen. Die mittlere, die nicht gezeigt bzw. nur als Aufzeichnung nachgereicht wurde, war natürlich die entscheidende.)
Wenn man die besondere Dramaturgie der Flandern-Rundfahrt kennt, dann weiss man: Zu dem Zeitpunkt, wo Eurosport ausstieg, fing das Rennen erst richtig an, das war nämlich gerade als es in die siebzehn hellingen ging, die rasche Abfolge von kurzen, aber knackigen Hügeln, mit Steigungen bis zu zwanzig Prozent. Das ist ungefähr so, als würde man die Live-Übertragung eines Fußballsspiels ausblenden, wenn ein Elfmeterschießen ansteht. Natürlich fiel die Entscheidung auch diesmal genau zu dem Zeitpunkt, als Eurosport nicht auf Sendung war, und in der Zusammenfassung konnte man dann nur noch so ungefähr erahnen, wie sich das Rennen bis dahin entwickelt hatte.
Dabei war das, nach allem, was man so sehen konnte, wahrscheinlich eine der interessantesten Flandern-Rundfahrten, auch wenn der Sieger, Tom Boonen, ja im Grunde schon vorher feststand. Aber dass einer so eine deutliche Ansage vorausschickt und die dann derart konsequent umsetzt, das ist schon beeindruckend. (Wobei auch nicht zu übersehen war, wieviel Anteil an Boonens Erfolg sein Teamkollege Paolo Bettini hatte, der hartnäckig jeden Versuch der Verfolgung sabotierte.)
Interessant ist die Flandern-Rundfahrt natürlich auch immer wegen dem ganzen mythischen Drumherum, mit dem dieses Rennen aufgeladen ist. Radsport ist an ja schon an sich eine ziemlich archaische Veranstaltung: Da rollt man auf einer Maschine durch die Gegend, die zwar über die Jahrzehnte ein paar Gänge mehr dazu bekommen hat und inzwischen aus Materialien zusammengelötet wird, die man nicht mehr in der Schmiede von Saint-Marie-de-Campan vorfindet, aber vorwärtsbewegen muss man das Ding immer noch genauso wie vor einhundert Jahren. Und dann rollt man damit durch die Provinz und über die Dörfer, in Gegenden, die weitab von aller „Eventkultur“ liegen. Die Frühjahrsklassiker sind noch einmal eine Spur archaischer und extravaganter als andere Radrennen, da gönnt sich der Radsport den Blick zurück an die Anfänge: Die Rennen sind noch richtig lang, bis zu 300 Kilometer, über sechs Stunden sitzt man da im Sattel und fährt im Zick-Zack-Kurs über schmale Straßen und landwirtschaftliche Wege, über Kopfsteinpflasterpassagen und Schlaglöcher, und bisweilen – wie gestern gesehen – muss man sich dabei auch an parkenden Autos vorbei und über, Ablaufrinnen, Bordsteinkanten und euphorische Zuschauer hinwegnavigieren. Wenn man den Fahrern zuschaut, wie sie am Koppenberg absteigen und schieben müssen, weil der Weg zu eng und zu steil wird (oder wie sie bei Paris-Roubaix mit sechzig, siebzig Sachen auf die Pflastersteine am Arenberg donnern und durchgeschüttelt werden wie Obst und Gemüse im Mixer), dann hat man das Gefühl, dass sich trotz Technik und Kommunikation an der Essenz dieses Sports nicht so viel geändert hat.
Und in Belgien ist Radsport sowieso eine Religion, mindestens in Flandern, vor allem deshalb, weil man die Rennen als Forum für andere Ersatzreligionen nutzen kann. Nirgendwo kann man so ausgiebig die flämische Fahne durch die Gegend schwenken wie hier (wer schon mal ein Rennen erlebt hat, bei dem die belgische Fahne geschwenkt wird, möge mir ein entsprechendes Foto bitte zumailen, das glaube ich erst, wenn ich es sehe), und bei kaum einem anderen Sportereignis kann man sechs bis sieben Stunden im Wielercafé sitzen und sich schon am Vormittag mit schwerem belgischem Bier zulaufen lassen.
Vlaanderen mooiste, Flanderns Schönste, ist der Spitzname dieses Rennens, und da könnte man jetzt thematisch noch mal ein ganz anderes Fass aufmachen, über das seltsame Verhältnis des Radsports zu seiner Körperlichkeit und Erotik, denn natürlich haben alle die klassischen Rennen weibliche Beinamen: Mailand – San Remo ist la classicissima, Paris-Roubaix die reine des classiques und Lüttich – Bastogne – Lüttich die doyenne. Und es geht ja auch über sanft geschwungene Hügel und durch scharfe Kurven und, hey, man rasiert sich ja sogar die Beine dafür und wer weiß, was noch alles. (Schon mal bemerkt, dass es kaum bärtige Rennfahrer gibt?)
Vielleicht ist das ja der Grund, warum Eurosport nicht alles zeigen will.
(Die schönen Bilder zur diesjährigen Flandern-Rundfahrt stammen übrigens nicht von mir, sondern aus diesem und aus diesem Flickr-Set.)
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