Den Bachmann-Wettbewerb schau ich immer gerne. Es gibt wohl kaum eine Veranstaltung, wo der feuilletonistische Betrieb mehr bei sich selbst ist, weil er ganz uneingeschränkt Betrieb sein darf: Der kulturelle Wert einer solchen Veranstaltung liegt irgendwo zwischen Eurovision Song Contest und Fussball-WM: Kaum jemand bestreitet, dass es das irgendwie geben muss, aber wenn man die Bedeutung dann tatsächlich beschreiben soll, landet man rasch im Reich der Platitüden. Natürlich ist das spielerische Niveau bei der WM in der Regel höher einzustufen, aber wenn die Bachmann-Jury in guter Form ist, kann man doch den einen oder anderen packenden Zweikampf miterleben, ansonsten haben die Diskussionsbeiträge wenigstens die gleiche entspannte Drögigkeit wie die verschlafenen Scharmützel zwischen Delling und Netzer.
Der literarische Wert der Texte, die da präsentiert werden, ist dabei ganz unerheblich, meistens sowieso eher zu vernachlässigen, und in der Regel hat man das Gefühl, dass die anwesenden Autoren ihre Texte ohnehin viel zu schnell lesen. In der Zeit eines solchen Vortrags sollte man einfach wichtigere Dinge erledigen, zum Beispiel den Abwasch, ein bisschen aufräumen oder den Text selbst lesen, schließlich sind alle auf der Website des Bachmannpreises vorhanden. Man kann sich also ganz auf die Aspekte des Schaulaufens der feuilletonistischen Koryphäen einlassen und Spass damit haben.
Ab und an gibt es dann aber doch einige schöne Texte zu bestaunen, die auch ganz passabel vorgetragen werden. Wenn ein solcher Text dann gewinnt, ist das genauso zu würdigen wie ein sehenswertes Tor oder ein überzeugender Erfolg in einer Bergetappe. Die Bergetappe ist vielleicht die bessere Metapher: Da ist es ja auch immer von Vorteil, wenn es einem gelingt, sich deutlich von der Konkurrenz abzusetzen, oder einen großen Gang gleichmäßig bis zum Ende durchziehen zu können.
Kathrin Passig ist mit Sie befinden sich hier auf jeden Fall eine verdiente Siegerin, würde ich sagen: Der unterhaltsamste Text seit langem, und wie man in diesem Interview nachlesen kann, nicht zuletzt das Ergebnis einer gezielten Vorbereitung: Wer vorne mit dabei sein will, muss eben auch wissen, mit welcher Strategie man ein solches Rennen gestaltet.
Es hilft ja auch einiges, wenn man fürs Training eine Riesenmaschine zur Disposition hat. Da kann man dann auch mal Risiko gehen und einen Text präsentieren, der vom Kältetod handelt und von der Entdeckung des Komischen darin. Wer solchen Mut hat, muss dann auch keine Angst vor grundsätzlichen Erwägungen mehr haben:
Es ist nämlich tatsächlich so, ich habe diese Frage mittlerweile geklärt, dass manche Schneeflocken die Form kleiner weißer Federn haben, weil sie kleine weiße Federn sind.
Eine Feststellung von der gleichen Makellosigkeit wie ein Satz weißer Federn. Davon gibt es so viele im Text, dass man Aber wer schon mal selbst lange Strecken gewandert oder geradelt ist, wird wissen, wie viele grundsätzlichen Dinge man unterwegs erörtern und durchdiskutieren wird.
Wenn ich sterbe, nimmt dieses ganze Wissen die Form eines nutzlosen, gefrorenen Eiweißklumpens an. Im Frühjahr irgendeines Jahres kann man meine Leiche unten im Tal aus dem Gletscher schmelzen sehen. Aber ich werde natürlich nicht sterben, und es gibt hier auch gar keinen Gletscher.
Diese Erkenntnisse werden mit einer bewundernswerten Ökonomie und Treffsicherheit platziert, so dass man Passigs Behauptung, sie habe noch nie einen literarischen Text geschrieben, nur als kokettes Understatement werten kann. Um die literarische Qualität hier zu erkennen, muss man wirklich kein Lawinenhund sein: So sehen Sieger aus. Oder wie es im Text heisst: „Ich komme voran.“ Go girl go.
Schreiben Sie einen Kommentar