Es passiert mir selten, dass ich eine DVD mit einem Konzertmitschnitt haben muss. Eigentlich nie. Glasgow Sunday war eine Ausnahme: Den Mitschnitt des ersten Live-Konzerts von Jandek wollte ich unbedingt sehen. Mittlerweile frage ich mich allerdings, warum.
Nicht, weil mir die DVD mißfällt. Sondern weil das eine der Platten ist, die solche grundsätzlichen und banalen Fragen einfach aufwirft. Ich habe schließlich schon die CD zum Konzert, das Tracklisting ist identisch, warum muß ich also noch mal dabei zusehen, wie jemand diese Musik macht?
Jandeks Oeuvre war bis zu diesem Auftritt vor allem davon geprägt, dass man nichts über die Bedingungen wußte, unter denen diese Musik entstand. Würde ich mir dieses Konzert auch anschauen, wenn ich nichts über den Mythos um die Person Jandek wüßte? Wie bedeutend ist das, wenn jemand zum ersten Mal auftritt, den eigentlich niemand kennt und dessen Musik und Ästhetik es auch nicht wirklich darauf anzulegen scheint, gekannt zu werden? Der über Jahre hinweg die Mechanismen, wie Musik produziert und vertrieben werden muss, zu ignorieren scheint, und das so beharrlich, dass das nur die Ignoranz eines Freaks sein kann oder eines Genies?
Eigentlich gibt es nicht viel zu sehen hier. Man findet auf der Hülle kaum Informationen, auch die Bestellnummer ist identisch mit der CD-Version, so als ob die DVD nicht als selbständiges Werk wahrgenommen werden soll, sondern lediglich als zusätzliche Variante. Auf der DVD hat man die Wahl zwischen zwei Kameraperspektiven und einem Mix aus beiden. Eine Kamera ist fast durchgehend auf Jandek gerichtet, die zweite bietet einen Blick aus der Distanz und zoomt lediglich ab und an näher auf die Bühne, vor allem auf die beiden Begleitmusiker Richard Youngs und Alex Neilson. Man sieht ab und zu das Publikum, ein Bühnenhelfer huscht mal durchs Bild, am Ende sieht man, wie Jandek seine Gitarre wegpackt – alles das wird von der Kamera fast beiläufig protokolliert.
Aber gerade diese Reduktion auf das Nötigste ist angenehm, weil sie einem keinen Blick vorschreibt, sondern Raum und Zeit gibt, selbst zu beobachten oder das Beobachten sein zu lassen. Und sie trifft ziemlich gut das Rätselhafte an Jandeks Musik, die sich auch weitgehend allen Beschreibungen entzieht.
Man könnte sagen, das, was man hier sieht, wirkt beinahe wie das Zitat eines Konzerts, und Jandek fast wie das Zitat eines Rockmusikers, eine schmale Ziffer, ein Thin Man in Black am rechten Rand der Bühne, fast statisch und mit der reduzierten Mimik einer Comic-Figur. Wenn er sich mal bewegt mit seiner umgeschnallten Gitarre, dann mit der flüchtigen Gleichgültigkeit von jemandem, der gedankenverloren vor dem Spiegel mimt. Youngs und Neilson scheinen fast enthusiastischer bei der Sache zu sein, aber es gibt kaum Interaktion zwischen den Musikern, außer flüchtigen Blicken und einem gelegentlichen Kopfnicken. (Nur einmal hat man kurz das Gefühl, das Jandek ein paar Schritte auf die beiden Mitmusiker zugehen möchte, dann aber doch wieder in seine Ecke zurückweicht.)
Das Spannende ist, dass in diesem vage gesteckten Rahmen eine der kraftvollsten und aufregendsten Formen von Musik entsteht, die in den letzten Jahren zu hören war. Wie quasi aus dem Nichts der Motor des ersten Stücks „Not Even Water“ angeworfen und vorangetrieben wird, das ist beeindruckend, gerade weil man jetzt auch dabei zusehen kann. Wenn Jandek irgendwann in der Mitte des Konzerts plötzlich behauptet: „I made the decision to get real wild“, dann hat dieser Moment fast die zwiespältige Größe von Johnny Cashs „Saint Quentin, I hate every inch of you.“
Die drei Musiker hatten angeblich nur ein einziges Mal vorher zusammen gespielt, wenige Stunden vor dem Auftritt. Umso erstaunlicher ist, wie gut das Zusammenspiel zwischen den dreien funktioniert, und wie die gemeinsame Improvisation in einer unverwechselbaren und neuen Stimme resultiert. Das ist ein Prozess, dem man wirklich gerne zuhören und zuschauen mag. Auf der Live-CD Newcastle Sunday kann man auch hören, dass dieser Prozess mittlerweile weiter gegangen ist: Ob’s davon eine DVD geben wird, weiß ich nicht. Aber ich würde sie gerne sehen wollen.
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