Im September 1997 fälschte ich fürs Folio einen Text von Bertolt Brecht. In diesem Jahr fand ich ihn im Fifa-Kulturprogramm zur WM wieder.
wundert sich Constantin Seibt. Das Folio ist eine Monatszeitschrift aus dem Verlag der Neuen Zürcher Zeitung. Dort gibt es eine Rubrik „Fundstücke“, in der Seibt eine Reihe literarischer Parodien veröffentlicht hat, unter anderem eben eine Brecht’sche Hymne auf den Fussballsport: Darin erklärt er das Spiel Schalke – Arminia Hannover zum „Kulturerlebnis des Jahres 1929“ und Fussball zum „Anschauungsunterricht für Revolutionäre“, „als Kunstform den traditionellen Formen Literatur, Theater, Malerei, Musik bei weitem überlegen“.
Nur Archivaren ist vermutlich aufgefallen, dass das Spiel nicht 1929, sondern erst im Sommer 1930 stattfand. Jedenfalls unternahm der Text eine kuriose Reise, die über Fanzines, Schalke-Foren und Blogs tatsächlich bis in den Katalog der Bundesregierung zur WM 2006 führte, wo er vom „bekennenden Schalker“ Peter Lohmeyer ausführlich zitiert wird.
Lohmeyer hatte den Text vielleicht von Sönke Wortmann, jedenfalls hat der ihn auch schon mal vorgetragen, oder von Moritz Eggert, der sein Fussballoratorium Die Tiefe des Raumes mit dem Pseudo-Brecht beglaubigte. Der Lyriker Albert Ostermaier hat den Text ebenfalls entdeckt und Zitate daraus ins Gedicht abseitsfalle oder: brecht passt zu benn montiert. Weitere Bruchstücke tauchten in diversen Feuilletons auf, zum Beispiel in der Zeit und im Hamburger Abendblatt.
„Kein schlechtes Resultat für eine bescheidene Fälschung“, meint Seibt, und hat seine eigene Vermutung, wie die Parodie so weit kommen konnte:
Kultur benötigt zwei Rohstoffe: Geld und Zitate. Für die Fussballkultur 2006 gab es zwar eine Fülle an Euro, aber ein Nichts an Tradition.
Denn
die wenigen deutschen Schriftsteller, die – wie Franz Kafka – begeisterte Fussballkenner waren, schrieben fast nichts zum Thema. Die wenigen, die schrieben, verstanden nichts von Fussball.
Oder höchstens so viel wie das deutsche Feuilleton von Brecht.
Nun hat’s solche Pannen ja immer schon mal gegeben. „Wer nie schreibt, macht nie Fehler“, soll Gerd Bucerius gesagt haben, so zitiert ihn jedenfalls Theo Sommer, und der zitiert sowas natürlich gerne (einmal um Fritz J. Raddatz in Schutz zu nehmen, weil der mal Goethe mit der Eisenbahn fahren ließ, und dann, um sich selbst hinter Raddatz verkriechen zu können). Das Kraus-Zitat mit dem Feuilleton, der Glatze und den Locken muss man nicht noch mal erwähnen, höchstens ergänzen dadurch, dass Feuilletons sowieso nur deswegen existieren, weil man die Glatzen nicht sehen will und darum denkt, da müssten jetzt Locken hin.
Der Wunsch, im millionenschweren Spektakel mehr zu sehen als eben nur ein millionenschweres Spektakel (oder die Hoffnung, von den Millionen ein paar Cents abzuzweigen) macht halt auch blind gegen die Möglichkeit, mal in einer Brecht-Ausgabe nachzulesen, was der nun tatsächlich über Fussball geschrieben hat. Der hat doch doch auch Werbung für Autos getextet, also wird’s schon stimmen. Und so kommt’s eben dazu, dass Blogs, Foren und Fanzines auch mal die stille Post machen für Kataloge, die von der Bundesregierung herausgegeben werden.
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