Vladimir Tretchikoff ist gestorben. Im deutschen Feuilleton war darüber nichts zu lesen, obwohl Tretchikoff, wie die Wikipedia erzählt, einer der kommerziell erfolgreichsten Künstler aller Zeiten war, und seine Popularität nicht weit von der Picassos entfernt. Dazu muß man als Kriterium für die Popularität eines Künstlers allerdings gelten lassen, wie viele Kunstdrucke von seinen Bildern verkauft wurden: Und Tretchikoffs seltsames, grüngesichtiges Chinese Girl (ab und zu auch Green Lady genannt) soll so oft verkauft worden wie kaum ein anderes Kunstposter sonst, häufiger noch als die Mona Lisa oder Picassos Kind mit Friedenstaube.
Dass man seinen Tod in Deutschland nicht zur Kenntnis genommen hat, liegt wohl daran, dass sein Ruhm vor allem auf den angelsächsischen Raum begrenzt war. Aber da gehören seine Bilder zu Ikonen dessen, was man an den Sechzigern schrill oder schrecklich fand. Die Green Lady hat sich als Symbol der Pop-Ära schon so verselbständigt, dass sie wie ein Hinweisschild in diversen Filmen platziert ist, die in dieser Zeit spielen oder sich auf ihre Ästhetik beziehen: Angefangen vom Klassiker Alfie (selbst schon ein grandioses Pop-Dokument) bis zu Lock, Stock and Two Smoking Barrels.
Das Revival der Space-Age-Bachelor-Kultur hat auch Tretchikoffs Bilder wieder cool aussehen lassen, und es gibt einige Lofts und Lounges in London, wo man ihm über den Weg laufen kann. Was aus der heutigen Perspektive wie ein rührender Wohnzimmer-Exotismus aussieht, stand natürlich auch für eine postkoloniale Spießigkeit und Muffigkeit (weshalb zum Beispiel Chumbawumba schon vor der Retro-Cocktail-Welle die Green Lady aufs Cover ihrer wunderbaren LP Slap! setzten). Master of the Mantelpiece, King of Kitsch – Tretchikoff selbst hat sich allerdings nie damit begnügen wollen, nur als Dekorationskünstler wahrgenommen zu werden. Sein Werk manifestiere einen „symbolischen Realismus“, behauptete er standhaft, tat jede Kritik als „Bullshit“ und den Neid „gescheiterter Künstler“.
Immerhin konnte Tretchikoff nachweisen, dass er den Hauch von Exotik und Abenteuer, den seine Käufer in ihre guten Stuben importieren wollten, selbst häufig genug verspürt hat, zumindest in der ersten Hälfte seines Lebens: Er stammte aus dem heutigen Kasachstan, floh mit seinen Eltern vor der russischen Revolution nach China, arbeitete als Zeichner und Karikaturist für eine englischsprachige Zeitung in Shanghai und ging mit seiner Frau Natalie Telpregoff – Flüchtling aus Russland wie er – nach Singapur, um erst für eine britische Werbeagentur und dann für die Propaganda ihrer Majestät zu arbeiten.
Die japanische Invasion 1941 markiert den dramatischsten Abschnitt von Tretchikoffs Leben: Seine Frau und die zweijährige Tochter Mimi konnten noch rechtzeitig evakuiert werden, er wollte eine Woche später selbst fliehen. Das war zu spät: Das Schiff, auf dem er saß, wurde torpediert und mit einer Handvoll Überlebender ruderte er 21 Tage an der Küste entlang auf der Suche nach einem sicheren Landeplatz. Als die Flüchtlinge schließlich ausgehungert, sonnenverbrannt und durchgefroren in Java an Land gingen, begrüßte sie ein nagelneues Plakat, dass die Besetzung der Insel durch Japan bekanntgab. Tretchikoff geriet in Gefangenschaft, für drei Wochen sogar in Isolationshaft.
Weil er sich als Bürger der Sowjetunion ausgab, ließen ihn die Japaner schließlich frei, und er knüpfte Kontakte zur niederländischen Kolonie in Indonesien. Er begann wieder zu malen, fand auch Käufer für seine Bilder, so viele sogar, dass er mit der Arbeit kaum nachkam. Vor allem südostasiatische Schönheiten wollte die europäische Kundschaft von ihm. Eines seiner Modelle wurde seine Geliebte, Muse und geistige Sparringspartnerin: Leonora Frédérique Henriette Moltemo, genannt „Lenka“, Tochter eines niederländischen Vaters und einer malaiischen Mutter. An den Bildern dieser Zeit merkt man auch am deutlichsten den Wunsch, als ein „richtiger“ Künstler wahrgenommen zu werden und mit farblicher und formaler Komposition zu spielen.
Als er 1948 erfuhr, dass Frau und Kind in Südafrika lebten, entschloss er sich, den beiden nachzufolgen und Lenka zurückzulassen. (Sie wird ihm erst einige Jahrzehnte später wieder begegnen.) Er veröffentlich ein Buch mit seinen Bildern, das wird ein Bestseller, und den kommerziellen Erfolg beutet er weidlich aus: Aus dem Auftragsmaler wird eine Malmaschine, die den Markt mit allem beliefert, was in den Nachkriegsjahren gewünscht wird. Weichgezeichnete Blumenbilder, exotische Schönheiten, surreale Clownerien: Wenn man den Tretchikoff-Stil nachempfinden will, muss man im Kopf nur einen Mashup aus den Auslagen der Straßenhändler am Montmartre basteln.
In der Apartheid-Gesellschaft Südafrikas mögen seine Bilder einen besonderen Nerv getroffen haben: Neben den verkitschten Blumenbildern gibt es da zahlreiche Abbildungen schwarzer Krieger oder dunkelhäutiger Prinzessinen, mit Sonnenuntergang oder Leopardenfell im Hintergrund, mehr Riefenstahl als Gauguin. Diese Bilder stehen dann doch sehr repräsentativ für den Geist einer Gesellschaft, die die Einheimischen höchstens als folkloristisches Element dulden wollte und im eigenen Haus nur als Domestike oder Trophäe. Apartheid war aber nur die radikalisierte Version eines Unbehagens in den westlichen Gesellschaften, eine Art moralischer Torschlusspanik, weil sich abzeichnete, dass der „Fremde“ und der „Exot“ nicht mehr lange bereit sein würden, die Rollen, die man ihnen zugewiesen hatte, widerspruchslos weiter zu spielen. Daher der hysterische Überschwang, mit dem die Pop-Kultur diese Rollen und Klischees immer wieder herbeizitierte. Die dunkle Seite des Space Age Bachelors ist die eines swingenden Herrenmenschen, der die Welt zu seiner Auster macht. So gesehen war Tretchikoff vielleicht wirklich der deutlichste Repräsentant seiner Zeit.
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