Herr ix hat Börne als Urvater aller ins Internet schreibenden entdeckt. Recht so, und man könnte noch hinzufügen, dass die Briefe aus Paris eine wunderbare und sehr lesenswerte Urform von etwas Blogartigem sind und bestimmt, wenn Börne es gekonnt hätte, auch ins Internet geschrieben worden wären.
Spitzfindig wie ich bin, muss ich natürlich darauf hinweisen, dass die Überschrift („blogger im 18. jahrhundert“) nicht wirklich stimmt, weil Börne höchstens ganz kurz im 18. und sehr viel im 19. Jahrhundert geschrieben hat. Und dass es, wenn man schon auf die Suche nach Urvätern oder -müttern geht, mindestens einen gibt, der noch früher damit angefangen hat, sich selbst zum Thema zu machen und alles zu notieren, was ihm dazu einfällt: Michel de Montaigne.
Bei dem findet sich tatsächlich schon fast alles, was heute so ins Internet geschrieben wird. Die technologische Voraussetzung war damals natürlich eine andere, nämlich das In-gedruckte-Bücher-schreiben-können. Das war damals freilich noch eine relativ neue Technologie: Als Montaigne 1533 zur Welt kam, lag das Erscheinen der Gutenberg-Bibel gerade mal 80 Jahre zurück.
Etwa um 1570 beginnt Montaigne damit, alles aufzuschreiben, was ihn interessiert, inklusive zahlreicher Links und Trackbacks zu allen wichtigen Philosophen und Historikern. 1580 erscheinen die ersten zwei Bände seiner Essais, 1588 ein dritter, und auch danach arbeitet er ständig weiter an alten und neuen Texten. Worum es ihm geht, sagt er schon im Vorwort des ersten Bandes:
So bin ich selbst, Leser, der einzige Inhalt meines Buches
Nämlich:
Ich will, daß man mich darin in meiner schlichten, natürlichen und gewöhnlichen Art sehe, ohne Gesuchtheit und Geziertheit: denn ich bin es, den ich darstelle. Meine Fehler wird man hier finden, so wie sie sind, und mein unbefangenes Wesen, soweit es nur die öffentliche Schicklichkeit erlaubt hat.
Wenn man über sich selbst schreibt, wird logischerweise alles zum Thema, und so geht es auch Montaigne.
Er schreibt über Männer und Frauen:
Wenn ein Mann einer Frau verspricht, sie ewig zu lieben, dann setzt er voraus, daß sie immer liebenswert bleiben wird.
Frauen und Männer:
Die Frauen haben nicht unrecht, wenn sie sich den Vorschriften nicht fügen wollen, welche in der Welt eingeführt sind. Weil die Männer sie verfaßt haben, ohne die Frauen zu fragen.
Beziehungskisten:
Die Ehe ist wie ein Käfig: man sieht die Vögel draußen verzweifelt flattern, um reinzukommen, und die drinnen wollen mit der gleichen Verzweiflung raus.
Politik:
Politik ist ein weites Feld für Zank und Streit.
Authentizität:
Gewiß, ich widerspreche mir zuweilen. Aber der Wahrheit widerspreche ich nie.
Seine Selbstzweifel:
Ich weiß wohl was ich fliehe, aber nicht was ich suche.
Seine Launen:
Meine Albernheiten nehme ich nicht wichtiger als sie es verdienen. Das ist ihr Glück.
Seine Nierensteine:
Weiß man denn, was einen gesund gemacht hat? Die Heilkunst, das Schicksal, der Zufall oder Omas Gebet?
Seine Freunde:
Zur Unterhaltung bei Tisch will ich einen unterhaltsamen, nicht einen vorsichtigen Gast; im Bett lieber eine schöne als eine gute Frau; für die wissenschaftliche Diskussion kommt es mir auf die geistigen Fähigkeiten an; im Notfall kann ich dabei auf charakterlichen Anstand verzichten: ähnlich ist es auch sonst.
Seine Feinde:
Wer einen mageren Leib hat, trägt gern einen ausgestopften Wams, und denen, welchen die Materie schwindet, schwellen die Worte.
Ab und zu ist er genervt, weil sein Computer Sekretär bockt/abstürzt:
Man muss der Unehrlichkeit oder Unvorsichtigkeit seines Bedienten immer ein wenig Spielraum lassen.
Dann wieder tut er geheimnisvoll:
Es ist jetzt nicht die Zeit, von dem zu sprechen, was ich verstehe, und auf dasjenige, wozu es jetzt Zeit wäre, verstehe ich mich nicht.
Vielleicht fällt ihm dann grade einfach nichts ein:
Was nützen mir die Farben, wenn ich nicht weiß, was ich malen soll?
Dafür gibt’s ja immer noch Katzencontent:
Wenn ich mit meiner Katze spiele, wer weiß, ob sie sich nicht noch mehr mit mir die Zeit vertreibt als ich mir mit ihr?
Oder was ihm gestern abend so aufgefallen ist:
Wer nicht wartet, bis er Durst hat, der hat keine rechte Freude an einem guten Trunk.
Und wo ihm die besten Ideen kommen, ist auch klar:
Auf dem höchsten Thron der Welt sitzen wir nur auf unserem Arsch.
Mehr muß man nicht sagen. Außer eben festzuhalten, dass wenn es einen grand père der Bloggertums gibt, es dieser ist: Michel de Montaigne. Und ihm dann doch das letzte Wort zu überlassen.
Jedem kann es passieren, daß er einmal Unsinn redet; schlimm wird es erst, wenn er es feierlich tut.
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