Bad Ems


Bad Ems

„Was halten Sie von Ems?“ – „Man erkältet sich dort abends zu leicht.“
– Ludwig Börne, Die Schwefelbäder bei Montmorency

Vielleicht liegt es am mittelmäßigen Wetter, an den Wolken, die so dicht über dem Tal hängen, als ob der Himmel diese Stadt noch tiefer in den engen Talkessel hineindrücken oder einfach nur unsichtbar machen wollte. Jedenfalls habe ich schon lange nicht mehr einen so melancholischen Ort gesehen wie Bad Ems.

Früher war hier die High Society Europas: Russische Zaren. Deutsche Kaiser. Französische Diplomaten, Frankfurter Bankiers, englische Fräuleins und Lords. Die hatten viel Geld und viel Zeit und Langeweile, also kamen auch Musiker her, Maler und Dichter. Die Korrespondenten der Modeblätter saßen in den Cafés, protokollierten die Passanten und wer nicht gesehen wurde, kam in den damaligen In- und Out-Listen in die rechte Spalte. Abends ging man in den Marmorsaal des Kurhauses und tanzte so wild, dass einer preußischen Landjunkerin schon mal schwindlig werden konnte.

Effi war nun schon in die fünfte Woche fort und schrieb glückliche, beinahe übermütige Briefe, namentlich seit ihrem Eintreffen in Ems, wo man doch unter Menschen sei, das heißt unter Männern, von denen sich in Schwalbach nur ausnahmsweise was gezeigt habe.
Theodor Fontane, Effi Briest

Viele Häuser tragen noch die Namen der Orte, aus denen die prominenten Gäste kamen: Russischer Hof. Haus London. Haus Meran. Für die vielen Russen in der Stadt wurde sogar eigens eine Kirche gebaut, und ihre goldene Kuppel ist das einzige, was hier noch ein bißchen Glanz verströmt. Der Russische Hof dagegen hat dicht gemacht, und im Haus London sitzt heute das Statistische Landesamt und zählt nach, wie viele Einzelhändler in der Stadt wieder pleite gegangen sind.

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Zum Beispiel der Jeans-Laden am Bahnfhofsvorplatz, neben dessen Schaufenster eine Plakette hängt: Dostojewsky war hier. Und so lange ist es vermutlich auch her, dass jemand an diesem Platz einkaufen war. Die Stadtväter haben den Händlern auch keinen Gefallen getan, in dem sie das Areal in eine gesichts- und farblose Fläche mit dem Charme eines Supermarkt-Parkplatzes verwandelt haben.

Man muß fürchten, dass die Straße, die am Kurhaus vorbei führt, nach einem ähnlichen Konzept umgestaltet wird: Hier soll wohl eine Fußgängerzone entstehen, damit man an den paar Geschäften, die noch durchhalten, entlang flanieren kann. Im Moment ist alles Baustelle, und ein Windstoß wirbelt eine große Staubwolke auf, die einen schwarzen Film über die Eisbecher und Milchkaffees auf den Tischen der Straßencafés legt. Vor den Bechern sitzen verdrießlich dreinschauende Menschen, die aber ausharren werden.

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Der Marmorsaal im Kurhaus ist fast leer, nur an einem der Tische sitzt ein älteres Ehepaar und hört drei Musikern zu, die auch nicht viel jünger sind. Die Musiker haben zwei Keyboards und eine elektrisch verstärkte Geige, und sie spielen „Ein bißchen Frieden“.

Draußen auf der Straße kann man sogar ein paar russisch sprechende Menschen hören. Aber sie sehen nicht so aus, als ob sie ganz freiwillig hier wären, wegen der Kuranwendungen sind sie jedenfalls nicht hergekommen. Einige der früheren Pensionen und Hotels beherbergen heute Asylbewerber und Aussiedler, andere sind in Mietshäuser umgewandelt, und wenn ich mir die Namen auf den Türschildern anschaue, vermute ich mal, dass die Mieten nicht allzu hoch sind. Von den Bewohnern sitzen manche etwas traurig auf den Balkonen, rauchen und schauen auf die Straße. Ein bißchen grimmig sehen sie dabei aus, vielleicht weil sie darüber nachdenken, ob dieser Ort tatsächlich mal so gemeint war, wie er aussieht. Vielleicht versuchen sie sich auch nur, sehr konzentriert vorzustellen, wie das hier mal gewesen sein könnte, als noch was los war.

Afra begleitete Effi zum Bahnhof und ließ sich fest versprechen, daß die Frau Baronin im nächsten Sommer wiederkommen wolle; wer mal in Ems gewesen, der komme immer wieder. Ems sei das Schönste, außer Bonn.

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Als wir zum Auto zurückschlendern, kommt dann doch noch mal die Sonne durch die Wolken. Die Fassaden der Häuser beginnen zu leuchten, als ob sie drauf gewartet hätten, kurz durchatmen zu können. Ich schaue mir das Haus an, vor dem wir gerade stehen: Es ist eine Fachklinik für Rehabilitation.

Wir fahren ab: Es ist schon später Abend, und dass das keine gute Zeit hier ist, kann man schon bei Börne lesen.

»Oder Ems? Nicht wahr, Doktor, Ems, das hilft.« – »Trau Sie ihm nicht, Herr Graf, das Wasser allein tut‘ s dort nicht; die Nachtluft – die Nachtluft ist dort schädlich.«

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7 Antworten

  1. Wunderbar zur Tristesse der Stadt passte die Ausstellg. Villa Balzer,die im Sommer diesen Jahres stattfand(Kunststiftung Schloß Balmoral).Dazu gab es den Videofilm über den Besitzer und Dandy Werner Unverzagt.Als er sein Hotel schließen mußte, ließ er nocheinmal alle Betten beziehen, alle Tische voll eindecken
    mit dem besten Geschirr und Silberbesteck und schloß ab. Schade um Bad Ems! Bin in dort geboren und kann mich noch an bessere Jahre erinnern, an kleine Fachgeschäfte, das Emser Kaufhaus.

  2. Diese Ausstellung hier, nehme ich an. Schade, hätte ich gerne gesehen.

  3. Avatar von Martin Blum
    Martin Blum

    Absolut passend! Wir waren dieses Wochenende über Nacht in Bad Ems. Einerseits schön zu sehen wieviel Glamour hier einmal zu Hause war – andererseits keine Anzeichen dafür, dass es wieder aufwärtsgehen wird. Ich denke, die Stadtväter werden bald vor dem Investitionsstau kapitulieren. Alleine die Therme müsste komplett neu gemacht werden usw. Wir kommen aus Wiesbaden.

  4. Avatar von Matthias Zöller
    Matthias Zöller

    Das ist ja alles schön und gut, wie der Autor das sieht. Aber man muss auch sehen, was in den letzten Jahren alles in Ems gemacht wurde. Ems ist eine schöne Stadt. Das war sie und das wird sie auch bleiben, es sei denn, dass ein paar profitgierige Menschen anfangen unsere historischen Gebäude zu zerstören. Ems ist einmalig. Es ist klar, dass Ems heue nicht mehr mit Wiesbaden zu vergleichen ist. Muss Ems sich denn mit Wiesbaden messen. Wieso ist denn alles so heruntergekommen? Die Einwohner, Geschätzsleute, Hoteliers fühlen sich im Stich gelassen. Der Staat pumpt viel Geld in Städte wie Bad Neuenahr. In Ems könnte es mit diesem Geld auch so aussehen.
    Wir werden sehen was die Zukunft bringt. Ich muss dem Autor allerdings in Bezug auf den Bahnhofsplatz recht geben. Das ist ein Verbrechen an der Emser Historie, am ganzen Umfeld. Nur weil der Planer auch die Köhlbrandbrücke in Hamburg geplant hat, muss dies nicht gut sein.
    Ich glaube an eine bessere Zukunft für Ems

  5. Es stimmt sicher, dass der Ort im Stich gelassen wird, andere Orte werden finanziell bevorzugt.
    Aber Fördergelder bringen nicht unbedingt eine bessere Zukunft, sondern werden oft nicht richtig ausgegeben, oder nicht mit dem nötigen Feingefühl.Der Bahnhofsvorplatz ist eine Sünde, davon gibt es noch mehr. Auch der Tunnel mit seiner Umgehungsstrasse tut zumindest den Geschäften nicht gut. Ein großer Fehler war der Bau des neuen Kurzentrums und die „Einstampfung“ der Malbergbahn……so werden eben immerwieder neue Fehler gemacht – nichnur in Bad Ems, was man dafür opfert ist unwiederbringlich und genau das wurde hier beklagt. Natürlich brigt der nostalgische Rückblick wenig, aber manchem Neubau täte ein Anknüpfen an eben diese schönen, alten Bauten gut.
    Ich finde es aber auch immerwieder schön dort, besonders im Sommer wirkt Bad Ems Von der Malbergseite her angeschaut wie eine italienische Kulisse.
    Ich hoffe auf eine bessere Zukunft.

  6. Avatar von Wolfgang Leiberg
    Wolfgang Leiberg

    Melancholie – laut Victor Hugo „das GLÜCK, traurig zu sein“ – ist ein wahrlich krasser Euphemismus, wenn ich an meine Kindheit und große Teile meiner Jugend in Bad Ems der 1950er und 1960er Jahre zurückdenke. Als Lebensmittelpunkt die toteste aller Toten Hosen, die ich jemals erlebt habe. Kein Ort der Jugend, nur einer für Kranke, Tote und Gäste. Eine „ideale“ Brutstätte für die Entstehung von Depressionen.

    Als ich vor wenigen Jahren nach Bad Ems zurückkehrte, um mein Elternhaus zu verkaufen, erblickte ich ein Städtchen, dessen Fassaden zentral gelegener Bauten herausgeputzt waren, ohne von dahinter stattfindender Lebendigkeit zu zeugen.

    Ganz in der Tradition Potemkinscher Dörfer eine Remineszenz an jenes Volk, das in den so genannten „Goldenen Jahren“ der Stadt die Nichtigkeit und Spießigkeit von Bad Ems mit seiner Anwesenheit kurzzeitig aufwerten konnte.

  7. Bad Ems Was ist aus Dir geworden Alles grau in grau. Glanzlose Fassaden man könnte. meinen man ist im Jahr 1956 . Keine vernünftigen Geschäfte mehr wie man sie von früher kannte. Auch ich bin in Bad Ems auf gewachsen , zur Schule gegangen(Friherr -von -Stein Schule). Und meine Kochlehre im Goldenen Fass erfolgreich abgeschlossen. Ich wollte eigentlich mit meiner Frau nach längere Zeit Bad Ems anschauen. Aber es war ein Trauerspiel ..!! Wie kann man so eine S tadtnur so herunter kommen lassen??? Und dann sind wir wieder frustriert abgefahren. Schade um diesen einst so schönen Ort!!! ADE!!! Karl -Heinz Ebentheurer !!!

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