The Javalins
Über den Spreeblick bin ich auf dieser Website mit Sixties-Sounds aus Hong Kong, Singapur und Macao gelandet. Und dabei fiel mir ein, dass es vor Äonen mal eine weitere Spielart südostasiatischer Pop-Tradition gegeben hat. Eine, die auch in Deutschland einige Wellen geschlagen hat. Denn es gehört zu den vergessenen Aspekten der Pop-Geschichte, dass die Frühzeit des Rock’n’Roll hierzulande ganz nachhaltig von Bands geprägt worden ist, deren Mitglieder aus Südostasien stammten.
Aus Indonesien, um genau zu sein: Wer in den späten 50ern und frühen 60ern im Süden Deutschlands lebte und einen GI-Club in der Nähe hatte, der wird mit einiger Wahrscheinlichkeit die ersten Rock’n’Roll-Töne von Musikern gehört haben, die nicht aus Nashville oder Memphis kamen, sondern aus Djakarta oder Ambon. Oder wenigstens Den Haag oder Rotterdam.
Oety & His Real Rockers
1949 hatten die Niederländer, nach einem langen und blutigen Bürgerkrieg, ihre Kolonialherrschaft in Indonesien aufgegeben. Die Beziehungen zwischen den südostasiatischen Inseln und der ehemaligen Kolonialmacht blieben aber noch lange komplex. Viele Indonesier zog es in die Niederlande, vor allem in den 50er Jahren. Ein großer Teil kam von den Molukken: Die Molukker, vorwiegend christlich geprägt, standen der vor allem javanisch geprägten Unabhängigkeitsbewegung zwiespältig gegenüber, einige sympathisierten sogar offen mit der Kolonialmacht. Der Versuch, einen eigenen Staat auszurufen (Maluku Selatan), wurde von indonesischen Truppen mit Waffengewalt niedergeschlagen.
Das Ende des zweiten Weltkriegs und der Abzug der Japaner hatte auch die Amerikaner nach Indonesien gebracht, und damit auch amerikanische Pop-Kultur. Natürlich hatte es in Indonesien vorher schon populäre Musik gegeben: Krontjong vor allem. Krontjong wird gerne vereinfacht als der Versuch beschrieben, traditionelle indonesische Musik auf europäischen Instrumenten nachzuspielen. Portugiesische Seeleute hatten die Gitarre nach Indonesien gebracht, außerdem ihre sentimentalen Fado– und Saudade-Lieder. Mit der Gitarre konnte man Ensembles besetzen, die kleiner und flexibler waren als etwa die einheimischen Gamelan-Orchester, und die Fados boten eine neue Möglichkeit, Songs und Melodien zu strukturieren.
The Swallows in Essen 1963
Krontjong war selbst schon eine multikulturelle Musik, und in den indonesischen Communities von Rotterdam und Den Haag, wo sich eine Vielzahl weiterer Einflüsse dazu addierte, wurde daraus der passende Soundtrack für eine Generation, die ähnlich zwischen den Welten hing wie vielleicht kurdische oder kosovarische Kids heute: Von der westlichen Mode und Kultur fasziniert, aber auch selbstbewußt dabei, eine eigene Identität zu entwickeln. Aus dieser Mélange enstand eine neue und eigenständige Musik, rebellisch wie Rock’n’Roll, aber Melodie und Rhythmus hörbar aus der eigenen Tradition gefüttert. Das faszinierte auch die eingeborenen Holländer, und bald gab es einen Namen für diesen neuen Stil: Indo-Rock.
In den Fünfzigern gab es kaum eine holländische Stadt, in der nicht irgendwo am Wochenende eine Indo-Band auftrat. Aber die Niederlande sind klein, und irgendwann sprach sich unter den Musikern herum, dass man östlich der Grenze noch mehr Geld verdienen konnte. Die Betreiber der amerikanischen Soldaten-Bars in Deutschland hatten nämlich ein besonderes Problem: Einerseits wollten ihre Gäste die Musik hören, die ihnen auch beim Soldatensender AFN vorgespielt wurde. Andererseits war es schwierig, amerikanische Bands und Musiker nach Europa zu bringen. Nicht nur wegen des finanziellen und organisatorischen Aufwands: Bands aus dem amerikanischen Süden hatten schon wegen ihrer Hautfarbe eine Reiseproblem. Die indonesischen Bands waren der perfekte Ersatz: Sie spielten Rock’n’Roll und sie brachten einen Schuß Exotik mit.
Die Hap Cats auf dem Oktoberfest
Und sie kamen in Scharen, auch weil die Bar-Besitzer in Deutschland oft längerfristige Verträge boten. Manchmal konnte man eine ganze Woche, einen ganzen Monat an einer Adresse durchspielen. In den Niederlanden bekam man meist nur den Zuschlag für ein, zwei Auftritte an einem Wochenende. Und sie waren nicht nur talentierte Musiker, sondern auch begnadete Entertainer: Fester Teil ihres Programms waren halb gymnastische, halb slapstickreife Einlagen, wie sie auch ein Little Richard nicht besser hinbekommen hätte. Sie spielten mit Zähnen und Füßen. Sie spielten auf dem Rücken oder im Spagat, sie choreographierten kleine Tanz-Einlagen oder sprangen einfach wild durch die Gegend. Das europäische Publikum hatte so etwas noch nie gesehen. Die Indo-Rocker traten bald nicht nur in kleinen verräucherten Kaschemmen auf, sondern auch in größeren Hallen und in Festzelten. 1958 waren die Tielman Brothers Teil des Programms im niederländischen Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel. Eigentlich waren sie nur als Pausen-Intermezzo gedacht, aber sie müssen so abgeräumt haben, dass sich der eigentliche Haupt-Act – eine brave Hawaii-Kapelle – nicht mehr aus der Garderobe traute.
The Tielman Brothers
Die Tielman Brothers waren die Könige der Szene, und das zu Recht. Andy Tielman war ein Klangfetischist und Bastler, ständig auf der Suche nach dem definitiven Sound, der ständig an seiner Jazzmaster schraubte und bohrte, weil sie ihm zu dünn klang und er zehn Saiten aufziehen wollte. (Und der eine Zeit lang mit einem Handtuch über der Kopfplatte spielte, weil er nicht wollte, dass man seine Basteleien nachmachte.) Die Tielmans waren populär genug, um auch ein paar deutschsprachige Songs aufzunehmen („Warum weinst Du, kleine Tamara?“), aber am besten waren sie dann, wenn sie ihren instrumentalen Gamelan-Rumble produzierten. Und das kann man sich auch ansehen: Auf YouTube gibt es einige grandiose Momente zu bewundern, zum Beispiel den Klassiker Black Eyes und den fabelhaften Rollin‘ Rock.
Andere Pioniere waren die Hap Cats, die Black Dynamites (die auch Los Indonesios nannten), Oety (oder Oeti) & His Real Rockers, Electric Johnny & His Skyrockets und die Crazy Rockers (die hier den Dritten Mann meucheln).
Hier und da kann man auch noch Platten aus dieser Zeit erwischen, zum Beispiel diese Best-Of-Compilation der Tielman Brothers. Holländische Second-Hand-Läden sind da in der Regel sehr gut sortiert.
Die Crazy Rockers auf einem Weinfest in Frankfurt
Viele dieser Bands und Musiker sind immer noch aktiv, und wenn man bei YouTube mal nach Indo-Rock sucht, wird man auch ein paar Retro-Bands finden, die in den Achtzigern und Neunzigern gestartet sind. Mitte der Sechziger allerdings begann die Popularität des Indo-Rock zu schwinden, wenigstens hier in Deutschland. Warum das so war, ist schwierig zu sagen. Gegen Ende der Sechziger kündigte sich langsam die britische Beat-Invasion an, und original englische Bands bekam man schon eher mal nach Deutschland. Den Indo-Rockern wurde da vielleicht zum Verhängnis, das sie sich zu bereitwillig als Kopien amerikanischer Bands hatten vermarkten lassen und mit dem Erfolg ihre Musik zu glatt in Richtungen bürsteten, die ihnen von Schlager- und Entertainment-Produzenten vorgegeben wurden. Ab Mitte der Sechziger war zunehmend die Luft raus, es gab zu viele Bands, die auch alle irgendwie ähnlich klangen: Das Originelle am Indo-Rock war zu einer Formel geworden.
Aber für fast ein Jahrzehnt, so von 1958 bis 1967, waren die indonesischen Rocker die Könige des Rock’n’Roll. Und im Ödland der deutschen Nachkriegs-Populärkultur waren sie die wahren Missionare des Beats. Dafür kann man ihnen ruhig auch heute noch ein bißchen Tribut zollen.
(Viele Infos und alle Bilder hier im Text stammen von der fantastischen und sehr detaillierten, leider fast nur holländischen, Website von Piet Muys, wo es eine lange Liste und Galerie von Indo-Rock-Bands gibt.)
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