Von Brücken wie dieser träumt man als Kind. Als ob man an einem Spinnenfaden entlangrobbt: Jede Bewegung wird abgenommen und schwingt an den metallenen Drähten entlang in den Wald gegenüber. Mich würde nicht wundern, wenn da drüben tatsächlich so eine Art Tarantula lauert, um die arglosen Touristen zu verschlucken. Oder ein lachender Takeshi Kitano, weil man, ohne es zu ahnen, in eine japanische Game-Show geraten ist.
Die Ponte Sospeso findet man tief in den pistoiesischen Bergen, in der Nähe des Dörfchens Mammiano. 220 Meter ist sie lang, und am höchsten Punkt steht man 35 Meter über dem Flüßchen Lima. Errichtet wurde sie 1922, um Arbeitern aus dem Nachbardorf Popiglio eine Abkürzung ins Stahlwerk auf der anderen Seite zu bieten. Wenn man sich hier umschaut und die dichten Wälder sieht, aus denen nur hier und da mal ein kleines Dörfchen aufscheint, dann möchte man gar nicht glauben, dass es hier so etwas Zivilisationsnahes gibt wie Fabriken. Und dass die von einem Mann mit dem geleitet wurde, der Vincenzo Douglas Scotti hieß, was wie der Name einer Figur aus einem Visconti-Film klingt, eine, die von Helmut Berger oder Alain Delon gespielt werden könnte.
Die Brücke ist ein Monument der Industriekultur dieser Region, belehrt uns die Schautafel, aber monumental sieht sie gar nicht aus, eher fragil, als hätte man einfach einen Einkaufswagen in die Länge gezogen wie ein Stück Kaugummi, und man will gar nicht glauben, dass man hier auch noch bei starkem Wind rübergehen könnte. Vom Original ist allerdings nicht mehr viel übrig: Die Metallgitter und die Stahlseile glänzen alle funkelnagelneu, als wären sie erst vor ein paar Tagen geschrubbt und poliert worden. Und es spazieren auch keine Arbeiter mehr über die Brücke, sondern Touristen und Liebespärchen, er lässig mit der Drahtbrüstung schaukelnd, sie pflichtbewusst gieksend und an seine Jacke klammernd, beide schuldbewusst grinsend, wenn man sich vorbeidrängelt (man muss drängeln, weil es so eng ist).
Die Brücke gehört zu einer Reihe von Sehenswürdigkeiten, die in den letzten Jahren restauriert und ausgeschildert wurden, um die Berge von Pistoia als touristischen Anziehungspunkt zu etablieren. Dabei hat man ein besonderes Augenmerk auf Denkmäler des wirtschaftlichen und sozialen Lebens gelegt, als wollte man mit aller Kraft beweisen, dass die Gegend nicht immer so verschlafen war wie sie wirkt: Alte Bahnstrecken und Handelspfade wurden zu Wander- und Radwegen umgewidmet, ehemalige Fabriken und Werkstätten zu Museen gemacht. Hier hinten ist man ein bißchen im toten Winkel der Toskana, die Landschaft ist nicht lieblich, sondern streng und düster, die Berge sind hoch und steil, und die aufgeräumten Aussichtspunkte, die man in den Alpen oder im Schwarzwald an jeder Ecke findet, muss man hier erst suchen.
Die Mühe machen sich vielleicht nicht so viele. Darum ist das Interesse auch groß, wenn man sich nach dem Besuch der Brücke an die kleine Imbißbude setzt, die sich unterhalb befindet, direkt neben einem kleinen künstlichen See. Ein paar Familien picknicken hier, und die Kinder spielen johlend am Ufer und erzählen sich, wie sie das geschafft haben mit der Überquerung der Brücke.
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