Leise sein. Vorsichtig mit den Türen. Und dann aufpassen, dass man nicht versehentlich gegen eine der Holzbänke hier stolpert. Der Platz, der dem Besucher eingeräumt wird, ist knapp bemessen: Nur ein schmaler Streifen im Eingangsbereich, dann kommt schon das schmiedeeiserne Gitter, das den hellen Kirchenraum absperrt. Ein wenig steht man davor wie vor einem Käfig, und der Raum dahinter mag noch so hell leuchten im Nachmittagslicht, er macht einem auch klar, dass man mit der Welt dahinter nicht wirklich viel zu tun hat.
Die Kirche Maria vom Frieden kennen nicht viele in Köln, sie liegt in einer Seitenstraße, ihre barocke Fassade ist etwas zurückgesetzt, und wer nicht aufpasst, wird sie im Vorbeifahren kaum bemerken. Der Barock hat ohnehin nicht viele Spuren in der Stadt hinterlassen: Große Bautätigkeiten gab es nicht, weil die städtischen Kassen meistens leer waren, und von dem wenigen, das gebaut und gestiftet wurde, verschwand vieles in der Zeit der französischen Besatzung, im Bau- und Spekulationsboom des 19. Jahrhunderts und im Krieg.
Auch hier in der Kirche ist nicht viel übrig geblieben, und so kann der Hochaltar die erste Aufmerksamkeit ganz für sich beanspruchen, zumal die Sonne wie ein Spot darüber wandert. Er fügt sich zwar ganz schön in das nüchterne Ambiente des Kirchenraumes, aber er verhält sich ein wenig dazu wie ein alter, kostbarer Schrank zu einer Altbauwohnung.
Ab und zu hört man leise Geräusche, die von der Sakristei zu kommen scheinen. Zweimal öffnet sich die Tür und es wuschelt eine Nonne durch den Raum. Oder sind es zwei verschiedene? Unter dem Habit kann man es nicht erkennen. Sie geht (gehen?) zügig, aber nicht hastig, man sieht, dass ihr (oder ihnen) daran gelegen ist, die direkteste Linie zurück zu legen. Vermutlich, damit nur für möglichst kurze Zeit das Geräusch des Gehens zu hören ist. In der Eile ist nur Zeit für den obligatorischen Knicks vor dem Altar, der aber – selbst mit Kehrschaufel und Besen in der Hand – mit fast tänzerischer Grazie absolviert wird.
Die unbeschuhten Karmelitinnen sind hier ansässig. Barfüsserinnen, sagte man früher auch. Ob kalte Füsse wirklich einen schnelleren Zugang zum Himmelreich verschaffen, weiss ich nicht, aber vermutlich sind die Nonnen nur unbeschuht und nicht unbestrumpft und unbesockt. Sandalen dürfen sie meines Wissens auch tragen.
Edith Stein gehörte diesem Orden an, und sie hat ja auch kurze Zeit in Köln verbracht, nicht hier allerdings, sondern in Lindenthal. Das Kloster „Maria vom Frieden“ war von den Franzosen aufgelöst wurden, und erst nach dem 2. Weltkrieg kamen die Karmelitinnen wieder hier her.
Barfüsser gibt es in anderen Orden auch, bei den Franziskanern und Augustinern zum Beispiel. Gemeinsam ist ihnen allen eine besonders asketische Ausprägung des Mönchtums, oft in Verbindung mit einer ausgeprägten Feindlichkeit dem Körper und seinen Bedürfnissen gegenüber. Was sich dann bisweilen in bizarren Ritualen der Selbstbestrafung und -geißelung äußert, wie zum Beispiel beim heiligen Petrus von Alcántara, von dem es heißt, dass er
einen Kampf gegen den eigenen Körper durch Hungern, Fasten, stundenlanges Knieen, tägliches Geißeln [führte]; er schlief nie länger als eineinhalb Stunden – daher sein Patronat für Nachtwächter – und trug ein Hemd aus scharfkantigem Blech.
Man fragt sich natürlich, ob so eine masochistische Selbstkasteiung nicht eher dazu führt, den Körper nur noch intensiver ins Bewußtsein zu rücken, statt es über ihn hinaus zu transzendieren. Petrus jedenfalls war der Beichtvater von Theresa von Ávila, und die wiederum ist die Begründerin des Ordens der Unbeschuhten Karmelitinnen.
Deren Ordensregel schreibt natürlich nicht so drastische Praktiken vor, wie Petrus sie angewandt hat. Aber selbst hier, in dieser nüchternen Kirche, kann man noch etwas von der ambivalenten Haltung dem Körper und dem Diesseits gegenüber sehen: An der wunderbaren holzgeschnitzten Christus-Statue im vorderen Teil der Kirche. Christus wirkt hier nachdenklich und entrückt, fast sogar resigniert. Aber die Darstellung ist ausgesprochen realistisch, als habe der Künstler mit großer Liebe zum Detail den Leib Christi und die blutverschmierten Wunden nachempfinden wollen.
Auf der anderen Seite des Raumes, dem blutigen Christus genau gegenüber, hängt das Herz Jesu, in einer merkwürdigen Darstellung: Ein einfaches, fast bäuerlich naives Gesicht ist in die Mitte eines verschnörkelten Gold-und-Silber-Arrangements geklebt, das ein bißchen an die Comic- und Pop-Installationen von Jeff Koons erinnert. Transzendenz durch Kitsch, auch so ein besonderes Element dieser gegenreformatorischen Mystik. So weltfremd, wie man denken könnte, sind die Nonnen hier trotz ihrer Zurückgezogenheit übrigens nicht: Immerhin haben sie auch eine eigene Homepage, und für das Edith Stein Archiv, das hier im Kloster beheimatet ist, gibt es ebenfalls eine.
Gut, aber gehen wir: Die Sonne ist mittlerweile ganz über den Altar gewandert, und es wird etwas düster hier im Raum. Also wieder hinaus durch die schweren Holztüren, und bitte: Leise sein.
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