James Kim


Ein Mann ist verschwunden in den Rocky Mountains. Er war mit seiner Familie auf eine abgelegene Seitenstraße geraten und hatte sich in der Wildnis verfranst. In den Bergen ist schon Winter, und zehn Tage saßen er, seine Frau und die zwei kleinen Töchtern in der Kälte und im Schnee fest. Dann marschierte er los, um Hilfe zu holen. Aber während seine Frau und die beiden Kinder inzwischen durch einen Zufall entdeckt wurden, ist er immer noch verschollen. Die letzte Spur führt in eine Schlucht abseits der Straße: Dort lag eine von zwei Hosen, die er übereinander getragen hatte, und ein paar weitere Habseligkeiten.

Das liest sich fast wie ein Remake des Textes, der dieses Jahr den Bachmann-Wettbewerb gewonnen hat. Es ist eine Geschichte, die in den Bergen immer wieder passiert, und meistens interessieren sich nur die örtlichen Tageszeitungen dafür. In diesem Fall ist das Interesse aber doch etwas größer: Der Mann, der da gesucht wird, ist Redakteur bei CNet, einem recht bekannten Technologie-Informationsdienst. Sein Name, James Kim, steht bei Technorati mittlerweile unter den meistgesuchten Begriffen, direkt hinter den zur Zeit üblichen Verdächtigen Britney Spears und StudiVZ.

Ich habe die Geschichte nicht wirklich verfolgt, sondern bin nur über einen Link im Kartographie-Blog The Map Room darauf gestoßen. Und das auch eher wegen eines Details, das darin angesprochen wird. Der Map Room zitiert einen Artikel aus der Seattle Times, in dem darüber spekuliert wird, ob die Kims möglicherweise durch eine fehlerhafte oder mißverständliche Angabe bei einem Online-Kartendienst in die Irre geführt wurden. Die Straße, die die Familie benutzt hat, ist in erster Linie für Forstbehörden und Waldarbeiter gedacht. Im Winter wird sie nicht gewartet und ist in der Regel unpassierbar. Die Einheimischen wissen das, aber bei vielen Kartendiensten und Navigationssystemen, zum Beispiel bei Google Maps, kann man das nicht wirklich erkennen, da sieht sie wie eine ganz normale Überlandstraße aus. Verführerisch genug jedenfalls für eine Outdoor-verrückte Familie, die allem Anschein nach nur mal eben eine landschaftlich reizvollere Strecke fahren wollte als die Hauptroute.

Dass bei Google Maps (und anderen) gelegentlich mal Straßen oder Eisenbahnlinien auftauchen, die gar keine sind, ist mir auch schon hier und da aufgefallen. Gerade in entlegenen Regionen, wo eine eigene Erfassung schwierig oder kostspielig ist, begnügen sich die Anbieter solcher Services offenbar gerne damit, vorhandenes Kartenmaterial einfach zu kopieren. Fehler und Ungenauigkeiten werden dann auch schon mal über mehrere Plattformen und Versionen hinweg mitgeschleift. Ein Problem, dass sich in einigen Gegenden eher noch potenzieren könnte, da viele öffentliche Institutionen, die sonst für die kartographische Erfassung zuständig waren, auch nicht mehr auf dicken Budgets sitzen. (Der Guardian hatte da erst vor kurzem einen Bericht über Kürzungen von Subventionen für die britische Ordnance Survey und spekulierte über die dramatischen Konsequenzen, die das haben könnte.)

Wie es der Zufall so will, sitze ich grade an einem Referat, in dem es unter anderem auch um GPS-Tools und Online-Kartographie gehen wird. Der Zusammenhang ist zwar ein völlig anderer als hier beim Drama in den Rockies, aber natürlich liegt es nahe, das jetzt als Beispiel dafür zu nehmen, dass man sich nicht zu sehr auf die Technologie verlassen soll, lieber auch mal einen Einheimischen fragt und was dergleichen Lehren mehr sind. Das sagt sich dann so einfach. Im übrigen gibt es auch Berichte, wonach die Kims durchaus Erkundigungen vor Ort eingeholt haben sollen. Und selbstverständlich können nicht nur bei digitalen Medien, sondern auch bei gedruckten Karten Pannen passieren. Aber das sind jetzt müßige Gedanken: Denn während ich diesen Text geschrieben habe, ist auf CNet gemeldet worden, dass James Kim gefunden wurde. Er ist tot.

Update: Die Diskussion um die Zuverlässigkeit von digitalen Karten und Karten überhaupt geht als Nebengeräusch weiter, auch wenn im San Francisco Chronicle einige Aspekte davon gerade gerückt werden. Hier hat jemand ein paar Google-Earth-Screenshots aufbereitet, die die Tragik der Ereignisse besonders veranschaulicht: Kim war auf der Suche nach Rettung über zehn Meilen alleine gelaufen, und befand sich zum Zeitpunkt seines Todes doch nur ein kleines Stückchen unterhalb des Wohnmobils seiner Familie. Außerdem war er in die falsche Richtung gelaufen: Hätte er gleich zu Anfang einen anderen Abzweig genommen, wäre er an eine Schutzhütte gekommen.

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