Das Universum amerikanischer Outsider-Musik ist groß und weitläufig, aber Jandek ist so etwas wie der dunkle Planet: Heimat der einsamsten und isoliertesten Töne, die ich kenne, weit ab von allen Bezugspunkten. Nicht, dass es keine Bezugspunkte gibt: Man hört Spuren von Folk, Blues, Country, so beiläufig eingestreut wie halb erinnerte Episoden aus der Kindheit. Wäre das Wort nicht so abgegriffen, man müßte diese Musik schräg nennen: Nichts ist hier im Lot, alles wirkt schief und neben der Spur.
Glasgow Sunday ist ein Live-Album, und ein Dokument dazu, nämlich das des ersten öffentlichen Auftrittes einer der seltsamsten Gestalten des amerikanischen Underground: Jandek ist dort eine fast mythische Figur, ein Name, den sich Musik-Nerds und -Geeks zuraunen (Kurt Cobain hat ihn in Interviews erwähnt, Thurston Moore ist ein Fan), dessen Platten aber kaum jemand kennt oder hört. Ein musikalisches Pendant zu Thomas Pynchon oder J.D. Salinger, aber mit erstaunlicher Produktivität: Seit fast drei Jahrzehnten veröffentlicht Jandek seine Alben, über 40 Stück sind es mittlerweile, in nahezu völliger Anonymität, über ein (sein?) winziges Label namens Corwood Industries, auf dem außer Jandek-Platten nichts sonst erscheint.
Außer der Musik dringt so gut wie nichts an die Öffentlichkeit: Jandek gibt keine Interviews, die Plattencover enthalten nur Angaben zu Titeln und Laufzeiten, alle Korrespondenz wird über eine Postfach-Adresse in Houston abgewickelt. Vor einigen Jahren gab es einen Dokumentarfilm, Jandek On Corwood, wahrscheinlich der einzige Pop-Dokumentarfilm, in dem die Hauptfigur nicht vorkommt: Stattdessen montierten die Regisseure Interviews mit Fans, Musikern und Journalisten zu einem bizarren Kaleidoskop von Spekulationen, Mutmaßungen und Theorien: Jandek – ein Insasse einer psychiatrischen Klinik? Ein weltfremder Eremit? Ein Prankster?
Jandeks Auftritt auf einem Avantgarde-Festival in Glasgow hat einige Fragen beantwortet oder ad absurdum geführt, ohne die Aura völlig zu zerstören: Ja, die Musik auf den Platten stammt tatsächlich von dem Mann, der auch auf einigen Covern abgebildet ist. Und nein, das ist kein Irrer, nur jemand, der an einer ganz eigenen musikalischen Welt bastelt. Die muss man sich allerdings immer noch selbst erschließen: Interviews gibt Jandek nach wie vor keine, dafür weitere Konzerte, zwei in Großbritannien haben im Frühjahr stattgefunden, im Sommer folgen die ersten Auftritte in den USA.
Wenn jemand so beflissen die Regeln selbst definiert, unter denen seine Musik entsteht und unter die Leute kommt, dann ist klar, dass man hier nichts Gewöhnliches zu hören bekommt. Jandeks Musik scheint nirgendwo richtig zu Hause zu sein. Meist spielt er Gitarre, mal akustisch, mal elektrisch, immer leicht verstimmt, ohne feste melodische oder rhythmische Strukturen, wie jemand, der geistesabwesend vor sich hin spielt. Selbst lautere Stücke sind nicht wirklich drängend oder fordernd oder was Rockmusik sonst sein könnte, sondern wirken wie formlose, hingeworfene Skizzen, ohne kämpferischen Gestus, ohne den Anspruch, etwas anderes zu behaupten als den Ort, an dem sie entstanden sind.
Und dazu eine Stimme, die mehr neben den Songs schwebt als darin, und selbst dann, wenn sie kräftiger wird, wie traumwandlerisch durch improvisiert wirkende Texte spaziert, wie jemand, der unter der Dusche zu sich selbst singt. Viele der Texte sind schwermütige, elegische Meditationen über Liebe, Verlust und Schmerz, aber es gibt auch sehr bizarre, fast dadaistische Sprachspielereien und zahlreiche biblische Anspielungen, Instrumentals, außerdem drei Spoken-Word-CDs aus den frühen Neunzigern. Einfach anzuhören ist nichts davon, weil man immer glaubt, viel zu intimen Geständnissen und Selbstgesprächen zu zu hören.
„I’ll Sit Alone And Think A Lot About You“ ist so ein Stück: Ein fast leichtfüßiges Folkmotiv bildet die Basis für Jandeks Erinnerungen an eine verflossene Liebe: „Sometimes it gets so very boring without you/I like to think of all our memories/I’ve got a lot about you“. Aufgeschrieben liest sich das banal, aber es ist gerade die Schlichtheit der Wörter, die zusammen mit der entrückten Musik so erschütternd wirkt: „Long nights last winter you kept me company/I know the coming summer will be long for me“.
Wenn man überhaupt einen Nachbarn im Geiste benennen kann, dann müßte das Will Oldham alias Bonnie „Prince“ Billy sein, vor allem die LoFi-Ästhetik seiner frühen Palace-Projekte. (Seth Tisue, Betreiber der besten Jandek-Website und Mailingliste, hält Cover und Musik der Palace-LP Days In The Wake für ein eindeutiges Jandek-Tribut.) Aber Oldhams Musik ist selbst in ihren sprödesten Momenten immer noch leichter konsumierbar und weit eindeutiger den amerikanischen Singer-Songwriter-Traditionen verhaftet als Jandek. Andere Geistesverwandte sind fast ebenso obskur wie der mystery man aus Houston selbst: Folk-Outsider wie die No-Neck Blues Band oder das Jewelled Antler Collective, Punk-Autodidakten wie Half Japanese oder die Godz, frei fliegende Individualisten wie die Sun City Girls oder Keiji Haino.
Man muß diesen langen Vorspann liefern, wenn man über Glasgow Sunday reden will und darüber, was das besondere an dieser Platte ist. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Jandek seine Platten immer allein oder mit einigen wenigen Kollaborateuren aufgenommen, die ebenso mysteriös bleiben wie er selbst – außer in Songtiteln wie „Nancy Sings“ oder „John Plays Drums“ gab es keine namentlichen Nennungen, und einige vermuten darum auch, dass es sich oft um Jandek selbst handeln könnte.
In Glasgow trat er zum ersten Mal mit zwei klar identifizierbaren Begleitern auf: Schlagzeuger Alex Neilson und Bassist Richard Youngs, beide selbst Folk- und Improvisationsmusiker (die auch zusammen vor kurzem eine schöne Platte namens Beating Stars veröffentlicht haben). Zum ersten Mal mußte sich die Musik, deren Grundbedingung die Abgeschiedenheit zu sein schien, in einem öffentlichen Rahmen bewähren.
Dass das klappt, ist vor allem auch das Verdienst von Neilson und Youngs. Angeblich gab es vor dem Konzert nur eine einzige Probe, und die beiden machen darum das einzig Richtige: Bass und Schlagzeug reagieren behutsam und zurückhaltend auf Jandeks mäandernde Lamentos und atonale Gitarren-Progressionen. Das ist auch gut so, denn Jandek ist in großartiger Form: Es scheint fast, als ob die Begleiter seinem entrückten Blues eine zusätzliche Erdung verschaffen, so furios und rauh schlägt er die Saiten seiner Gitarre. Fast meint man, einer etwas fragileren Version der frühen Bad Seeds zuzuhören, eine skelettierte Fassung von „From Her To Eternity“.
Die Songs, die auf der CD enthalten sind, sind durchweg neues Material, die Stimme klingt brüchiger, aber auch selbstbewußter und reifer als auf manchen alten LPs und in den Texten finden sich einige seiner stärksten Momente, vor allem im grandiosen „Darkness You Give“, wo er wie ein liebeskranker Hiob klagt:
Without your kiss
I don’t want to live
I’ll stay forever
In the darkness you give
I’ll just consider it my due
For all the transgressions I’ve made against you
I don’t mind how far I have to fall
To find your mercy at the end of it all
Aber auch wenn die Texte von Schmerz und Kummer singen, die Stimme versinkt nicht in Wehmut. Jandeks entrückter Sprechgesang hat immer einen Anflug von Nonchalance, eine Art Zähigkeit und Stolz, die auch noch zwischen den schwärzesten Zeilen hervorsickern, zum Beispiel im düsteren „Sea Of Red“:
I’ve got no life
I’m rolling my eyes
The last gasp is coming on
All over my body
There’s a deep deep chill
It’s been coming a long time
„Coming a long time“: Jandeks musikalischer Kosmos ist eine unfertige Welt, aber eine Welt, die ohne Rücksicht auf äußere Diktate und Konventionen gebaut worden ist. In der Konsequenz, mit der diese Konstruktionsarbeit durchgezogen wird, liegt eine seltsame Größe und Erhaben heit. Und im Fass, aus dem diese sonderbare Musik geschöpft wird, ist noch lange kein Boden sichtbar. Grade ist ein neues Studio-Album erschienen, Raining Down Diamonds, Nr. 42 im Kanon, das den großen Eremiten wieder als Solisten präsentiert.
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