Die Geschichte meiner Einschätzung des diesjährigen Literatur-Sommers


Also, ich fand den Text von PeterLicht gut. Das gleich mal zu Anfang. Eine schön verquere Fantasie, die die Apokalypse auf dem Sofa beginnen lässt und die Welt in den Abgrund stürzt, um danach in Ruhe zu frühstücken. Ich erinnere mich dunkel, dass PeterLicht irgendwo gesagt hat, dass ihn von allen literarischen Epochen die Romantik am meisten interessiere (oder so ähnlich). Finde ich sehr passend: Vor einigen Wochen habe ich ein paar Märchen von Clemens Brentano gelesen, und da gibt es ein ähnlich fröhlich dilettierendes Vergnügen daran, bizarre Welten aufzubauen und dann wieder zu zerfleddern.

Seltsam, dass ausgerechnet dieser Text die Spannungen in der Jury zum Knistern gebracht hat. Vor allem Corino scheint der Text – oder doch eher die Selbstinszenierung des Autors? – so verärgert zu haben, dass er den Rest des Wettbewerbs nur noch als literarischer Dieter Bohlen verbringen wollte. „Gaudiburschentum der Apokalypse“ ist dabei gar nicht mal so ein dummer Vorwurf, nur ist damit der Text natürlich nicht erleigt. (Nebenbei, Herr Corino, kann man dem von ihnen vorgeschlagenen Text, den Björn Kern da vorgelesen hat, nicht einen ähnlichen Vorwurf machen? Dass der nämlich ein Gaudiburschentum der Sozialromantik vorführt, eine Selbstberauschtheit davon, alles zeigen zu können, so ein tarantinohaftes Kameradraufhalten, das die moralische Intention, die dem Text zugrunde liegen soll, gehörig untergräbt?

Das einzige, was ich dem Text von PeterLicht wirklich vorwerfen könnte, ist, dass er Iris Radisch nicht davon abgehalten hat, die blöde Floskel vom Lachen, das im Halse steckenbleibt, in die Diskussionsrunde zu werfen. Eher dreht ein Literaturkritiker Locken auf einer Glatze, als dass er darauf verzichtet, das Lachen dadurch zu sanktionieren, dass er einen Kloß davon bekommt.

Ich kann die Veranstaltung in diesem Jahr leider nicht live verfolgen, aber das macht nichts. Denn erstens gibt es einige Blogs, die das Vorlesen mit einem Quasi-Liveblogging begleiten (hier und hier zum Beispiel), außerdem gibt es ja dankenswerterweise das Audio- und Video-Archiv, in dem man nicht nur alle Texte runterladen kann, sondern auch die zugehörigen Diskussionen und die Videoporträts. Die Porträts sollte man eigentlich immer erst mal anschauen, merke ich, denn der erste Eindruck ist da meistens der richtige. Feuilletonistische Textbausteine en gros: „Im Grunde benutze ich das Schreiben als Erkundungsmittel der Gegenwart“, sagt einer, und da möchte man eigentlich schon ausschalten. Dann schaut man sich der Fairness halber doch noch die Lesung dazu an, aber besser wird’s nicht, und dann schaltet man halt jetzt nach fünf Minuten aus.

Aber Klagenfurt-Texten Langeweile oder mangelnde Originalität vorzuwerfen, ist nicht besonders originell, das tut ja jeder. In diesem Jahr hat auch scheinbar niemand mehr so richtig Lust, grundsätzliche Kritik am Wettbewerb zu üben. Warum auch? Die Kritik gab’s im letzten Jahr von Raoul Schrott gleich vorab, und dann hat Kathrin Passig vorgeführt, dass man den Wettbewerb ein bißchen bloßstellen und trotzdem gut finden kann. Warum auch nicht? Wo bekommt man denn noch so ein geduldiges Fernsehen. Natürlich ist das alles ein Anachronismus, und es bringt wirklich nur selten etwas, Autoren beim Lesen ihrer eigenen Texte zu zu hören. Mehr als ein angenehmes weißes Raunen ist da nicht aber das macht nichts. Das Wechselspiel von Faszination, Fremdschämen, innerlichem Mitdiskutieren ist meinetwegen nicht viel anders als bei irgendeiner Casting-Show, nur sehr viel langsamer, sorgfältiger und reflektierter.

Es gibt, wie immer, einige schöne Texte (PeterLicht, Jochen Schmidt, es gibt Texte, die man mag, ohne so richtig zu wissen, warum (Kurt Oesterle, Jan Böttcher), ein, zwei ärgerliche Ausfälle (Björn Kern, Ronald Reng) und dann halt den Rest. Die beiden neuen Juroren, Ijoma Mangold und André Vladimir Heiz, haben schnell ihre Rollen gefunden: Mangold so als der feingeistige Spinnen-Nachfolger (gehaltvoll, aber auch ein bißchen nervig), Heiz als durchgeknalltes semiotisches Orakel – erst fand ich ihn sehr strange, aber dann hatte ich doch Spaß bei seinen beharrlichen Versuchen, den Rest der Jury mit seinen Verweisen auf Hesiod und das Gilgamesch-Epos zu verwirren.

Und auch die Abstimmung war dann ganz so, wie es sein sollte: Ein bißchen bieder, ein bißchen spannend, ein bißchen chaotisch, ein Grandits, der von der Rolle war, ein Corino, der aus der Rolle fiel. Die Entscheidung für Lutz Seiler geht, finde ich, in Ordnung. Ich mochte die Erzählung beim ersten Anhören auch sehr gerne, mit ihrem Geklingel der kasachischen Ortsnamen, und dieser schönen Verstrickung von mythischem Wispern und pedantischem Realismus. (Beim zweiten Lesen schien mir der Text dann ein wenig zu sehr nach der Maßgabe durchgearbeitet, die Arbeit auch sichtbar zu machen.)

Bis zum nächsten Jahr also. Dann vielleicht wieder live.

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