Schlippenbachs Winterreise


Schlippenbach
Foto von audiostein™

Es ist ein unverzichtbares vorweihnachtliches Ritual: Das Schlippenbach Trio geht auf Winterreise und macht im Loft Station. Gestern war es mal wieder so weit, und es war – wie schon in den Jahren davor – ein wunderbares Konzert. Genau die Dosis Epiphanie, die man in dieser Jahreszeit benötigt.

Im Booklet zur Winterreise-CD hat Alexander von Schlippenbach launisch nacherzählt, wie das jährliche Abklappern von Clubs und Kneipen so abläuft, und es klingt nach einem interessanten ungedrehten Road Movie: Schlippenbach am Steuer, Parker als Landkarten lesendes Navigationssystem, Lovens als Sachbearbeiter der Soundtracks, der schon mal Tapes beisteuert, auf denen er nur die Solos aus seinen Lieblingsplatten aufgenommen hat. Bei den Konversationen, die sich da ergeben könnten, möchte ich gerne mal Zuhörer sein.

Auf der Bühne ist die Konstellation ein bisschen anders gewichtet: Schlippenbach ist der Bordmechaniker, der Phrasen und Strukturen fortwährend in ihre Einzelteile zerlegt und wieder zusammensetzt. Parkers Saxophon liefert die Satzzeichen dazu: Parenthesen, Punkte, Kommata und Fragezeichen, während Lovens die so entstehende Maschinerie zusammenhält und nach vorne treibt.

Seit dreissig Jahren machen die das schon zusammen, und das Erstaunliche ist, dass das Zusammenspielen nicht als Routine und Ritual abläuft, sondern Improvisations- und Spielfreude immer noch auf hohem Niveau zusammenkommen. Oder vielleicht muss man es anders sagen: Das Ritual ist der Rahmen, der im Spiel immer wieder untersucht, kommentiert, demontiert und neu zusammengesetzt wird.

Da gibt es dann tatsächlich auch so etwas wie eine Parallelle zur anderen, der Schubertschen/Müllerschen Winterreise. Es geht um die Frage, was passiert, wenn man freiwillig raus geht in die Kälte, das Chaos und die Zweifelhaftigkeit der Landkarten und Navigationssysteme:

Was vermeid‘ ich denn die Wege,
Wo die ander’n Wand’rer gehn,
Suche mir versteckte Stege
Durch verschneite Felsenhöh’n?

Weil die Spuren, die man sich über die versteckten Stege bahnen muss, zu ganz neuen Wegen zusammenlaufen können: Das ist die Antwort, die man auf einem Konzert des Schlippenbach Trios bekommen kann.

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