Rubljovka


Rubljovka

Rubljovka ist der Spitzname eine Ausfallstraße aus Moskau: Eigentlich heißt sie Rubljowo-Uspenskoje-Chaussee, bei der russischen Straßenverwaltung trägt sie die Nummer A-105. Rubljovka ist außerdem der Titel eines Dokumentarfilms von Irene Langemann, der gestern in Köln offizielle Premiere hatte (aber zuvor schon auf einigen Festivals lief, heute folgt eine Art zweite Premiere in Berlin).

Eine Straße als Sujet eines Dokumentarfilms: Die Rubljovka ist vermutlich der Ort, wo die Widersprüche des modernen Russland am deutlichsten sichtbar werden – einerseits die Dynamik einer Gesellschaft, die den kapitalistischen Turbolader gezündet und einige wenige in die Elite der Superreichen katapultiert hat, andererseits die Kontinuität und Beharrlichkeit autoritärer Strukturen, die auch in der neuen Marktwirtschaft ganz gut funktionieren.

Wer in Russland zu Macht und Geld kommt, der baut sich ein Haus an der Rubljovka. Die Gegend rund um die Straße war auch schon in Sowejtzeiten beliebt unter den Mitgliedern von Partei und Politbüro, und auch unter Künstlern und Akademikern. Viertel der Reichen und Mächtigen gibt es auch anderswo auf der Welt, aber die Rubljovka ist etwas Besonderes, weil sie ein Ort des Übergangs ist: Noch ist sie keine Festung der Exklusivität. Auch hier verstecken neureiche Millionäre ihre Chi-Chi-Paläste hinter Betonmauern und lassen sie von Sicherheitsleuten bewachen („voll bewaffnet“, lobt der Immobilienmakler). Aber sie müssen sich die Straße noch mit Menschen teilen, die in anderen Zeiten und Zusammenhängen verwurzelt sind, wie der siebzigjährigen Rentnerin, die vor ihrem Haus Reisigbesen verkauft, und dem sympathisch-durchgeknallten Akademiker-Pärchen, das in Eigenarbeit an einem skurrilen Phantasiedomizil werkelt und dessen neunmalkluger Sohn Putins Verständnis von Demokratie perfekt seziert.

Langemann gelingt es sehr schön, das skurrile Nebeneinander unterschiedlicher Lebenswelten darzustellen, etwa wenn ein Immobilienmakler den Swimmingpool einer neugebauten Villa vorführt und dann gezeigt wird, wie die Rentnerin ihr Trink- und Waschwasser noch eigenhändig aus einem Brunnen ziehen muss. Sie verzichtet glücklicherweise auf jeden Kommentar, sondern lässt die Menschen, die Autos und die Häuser für sich stehen und sprechen. Das gibt den Erzählungen, Zitaten und Kommentaren eine besondere Eindringlichkeit und verhindert, dass aus dem Sammelsurium seltsamer Gestalten zum Kuriositätenkabinett verkommt. (Und wenn sich einige Protagonisten, wie der Maler Nikas Safronov – so eine Art Tretchikoff redivivus im George-Harrison-Look – oder die Mode-Designerin Helen Yarmak – Spezialgebiet „Pelztherapie“ – als Parodien ihrer selbst gebärden, ist das eben auch eines der Phänomene dieser Welt zwischen Disney und Datscha.)

Nikas Safronov

Der berühmteste Bewohner der Rublovjka ist nur als visuelles Zitat vorhanden: Putin sehen wir nur in Ausschnitten aus Nachrichtensendungen, in denen er dann kurioserweise gegen die wettert, die sich’s im neuen Russland gerichtet haben. Gegen Ende rauscht sein Konvoi kurz durchs Bild, dann ist wieder Ruhe.

Die Darstellung dieses Nebeneinanders hat einigen Menschen in Russland nicht gefallen. Schon die Dreharbeiten waren, wie man im Programmheft nachlesen kann, von zahlreichen Auflagen und Kontrollen umstellt. Nach der Fertigstellung hat ein mysteriöser Geschäftsmann offenbar versucht, den Film aus dem Verkehr zu ziehen (vermutlich, schreibt der „Tagesspiegel“, auf Veranlassung der Geschäftsfrau Jana Bullock, die im Film tatsächlich eine zweifelhafte Figur abgibt). Die Geschichte überlagert momentan unglücklicherweise die Rezeption von Rubljovka, zumal Langemann selbst eine Verschwörungstheorie in Umlauf gebracht hat, die den Ursprung der seltsamen Aktivitäten in „größeren Strukturen“ sieht.

Das ist ein bißchen schade, dem Film tut das unrecht, weil er damit dann doch nur reduziert wird auf eine anekdotische Momentaufnahme. Die Bilder leisten mehr: Die Monster aus Kitsch und Größenwahn, die der marktwirtschaftliche Furor in Russland entfesselt hat, sind kein russisches Phänomen, sie sind nur im Moment dort besonders gut sichtbar. Die wirklichen Zerrbilder sind die auf dem Boden: Einmal filmt die Kamera eines der neugebauten Villenviertel aus der Luft. Und für einen kurzen Augenblick sieht alles aus wie der Set der Truman Show.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert