Morgen beginnt im WDR die Ausstrahlung der dreiteiligen Dokumentation Operation Wunderland, und die empfehle ich gerne weiter. Nicht nur, weil Regisseur Christoph Weber ein guter Freund ist (auf dessen Arbeit ich hier auch schon mal hingewiesen habe). Sondern weil es sich dabei um eine intelligente Betrachtung der deutschen Nachkriegsgeschichte handelt, mit besonderem Fokus auf die propagandistischen Bemühungen, mit denen die Deutschen zur Marktwirtschaft erzogen werden sollten.
Vom reichlich hanebüchenen Pressetext sollte man sich allerdings nicht abschrecken lassen: Operation Wunderland, lesen wir da,
enthüllt zum ersten Mal, wie die USA sich nach dem Krieg Westdeutschland nach ihren Wünschen gestalteten. Alle entscheidenden Fäden hinter den Kulissen zogen in der Zeit nach 1945 die Amerikaner. Das Maß der Einflussnahme reichte weit über Entnazifizierung, Umerziehung und Marshall-Plan hinaus. Amerikanischen Propagandaexperten gelang es, die öffentliche Meinung in Deutschland so geschickt zu beeinflussen, dass im demokratischen Prozess immer das herauskam, was Washington vorgab.
Na ja, ganz so platt laufen politische Prozesse dann doch nicht ab. Die deutsche Bevölkerung als willenlose Knetmasse amerikanischer Propagandisten? Politische Kommunikation als Input/Output-System, in dem man oben Propaganda hineinkippt und unten automatisch Zustimmung zur Sozialen Marktwirtschaft rauskommt? Wer das als Botschaft des Films verkauft, tradiert die eine ähnliche Legende wie die von den kleinen braunen Männchen, die anno ’33 die ahnungslosen Deutschen überfallen haben und gegen deren erklärten Willen das Dritte Reich aufgebaut haben sollen.
Glücklicherweise ist der Film bei weitem nicht so blöd wie ihn der Pressetext macht. Was Operation Wunderland sehr anschaulich zeigt, ist der politische Schwebezustand, in dem sich Deutschland in den Nachkriegsjahren befand und der den Hintergrund bildet, vor dem die amerikanische Propaganda den Deutschen die Marktwirtschaft schmackhaft zu machen versuchte. Und das gelang den Amerikanern mit wechselndem Erfolg – es kam bei weitem nicht immer das heraus, „was Washington vorgab“, auch wenn die Propagandastäbe im Weißen Haus das sicher gern so gehabt hätten. Tatsächlich müssen die Amerikaner, wie der Film zeigt, immer wieder ernüchtert feststellen, dass sich den Deutschen nicht alles austreiben lässt – die Zustimmung zu den „guten Seiten“, die der Nationalsozialismus gehabt haben soll, ebensowenig wie die Sympathie für sozialistische Modelle, die sich bis in konservative Kreise finden lässt.
Erst als das Wirtschaftswunder ins Rollen kommt – weniger auf wundersame Weise, denn als Resultat einer ganzen Reihe politischer, sozialer und ideologischer Faktoren – wächst die Zustimmung, im Westen zumindest, für das kapitalistisch-marktwirtschaftliche System wirklich nachhaltig. Amerikanische Propaganda hat diese Entwicklung sicher mitorchestriert und beeinflusst. Aber wer ganz platt behauptet, die USA hätten sich „Westdeutschland nach ihren Wünschen“ gestaltet, ignoriert, dass auch eine ganze Reihe von Wünschen deutscher Kreise umgesetzt wurden.
Höhepunkt des Films sind, finde ich, weniger die kleinen politischen Werbefilmchen, die Christof ausgegraben hat, und die damals für das deutsche Kinopublikum angefertigt wurden – nicht nur von den Amerikanern: Auch deutsche Organisation wie die „Waage“ oder die „ADK“ zum Beispiel (Vorläufer der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“), die von „informellen Kreisen“ aus der Industrie getragen wurden, machten dergestalt PR für den Kapitalismus (und spannten, wie man sehen kann, u.a. einen jungen Loriot dafür ein). Die Filme sind sicher amüsant, aber die betuliche Humorigkeit, mit der das deutsche Gemüt darin geknackt werden soll, kennt man ja auch aus den Kinofilmen der Fünfziger, insofern sind das keine großen ästhetischen oder inhaltlichen Überraschungen.
Viel spannender sind die Gespräche mit einigen der damaligen Protagonisten, vor allem mit Mitgliedern des amerikanischen Geheimdienstes und der Militärregierung, die damals in Deutschland aktiv werden und mit der Umsetzung . Nicht zuletzt deshalb, weil die ganz offen über die damaligen Strategien und Konzepte plaudern und ein erstaunlich entspanntes Verhältnis zu den propagandistischen Erfolgen und Mißerfolgen vorführen.
Ganz entgeht allerdings auch Christofs Dokumentation nicht der Versuchung, die amerikanischen Aktivitäten als verschwörerisches Komplott zu mystifizieren. Das hat sicher auch formale Gründe: Von den Propagandastäben in Washington – die den ganzen Film hindurch namenlos bleiben – gibt es kaum Filmmaterial. Das wenige, was sich auftrieben ließ, wird wie ein Refrain immer wieder eingespielt: Stumm schwanken die künstlich eingefärbten Köpfe der anonymen Experten da im Zeitlupentempo hin und her, als schaue den geheimen Ritualen irgendeiner Freimaurerloge zu. Da hätte man den Mangel an Bildern dann doch durch ein paar mehr Informationen ausgleichen können: Wer saß in diesen Stäben? Werbefachleute, Militärs, Geheimdienstler? Wie viel wurde in die Propaganda investiert? Wer produzierte die Filme, wer spielte darin? Und wie oft wurden diese Filme gezeigt? Die Wirkung dieser politischen PR bleibt am Ende eher Behauptung, für die die Dokumentation ein paar Indizien vorlegt, aber nur wenig Beweise.
Ansehen sollte man sie trotzdem: Weil sie einiges Material für eine kritische Würdigung deutscher Nachkriegsgeschichte liefert.
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