Jazz ist Gedankenfreiheit


Das Gehirn funktioniert anders, wenn man improvisiert: Es schaltet den inneren Monitor ab, der für Selbstkontrolle und Selbstbeobachtung zuständig ist. Stattdessen werden Gehirnregionen aktiv, die „selbsterzeugte Gedanken und Verhaltensweisen“ organisieren, und beispielsweise auch eine Rolle spielen, wenn wir uns eine Geschichte ausdenken oder etwas Erlebtes nacherzählen.

Das ist, sehr verkürzt, die Pointe einer amerikanischen Studie: Darin wurden die Gehirnaktivitäten von Jazzmusikern untersucht hat, sowohl beim Memorieren und Nachspielen vorgegebener Tonfolgen als auch beim freien Improvisieren darüber.

Wenn die Musiker vom Memorieren zum Improvisieren übergingen, spielten sich die größten Veränderungen im präfrontalen Kortex ab, also dem Teil des Gehirns, wo die sensorischen Signale mit den Gedächtnisinhalten und Emotionen remixt und in Handlungsimpulse umgesetzt werden. Die Kontroll- und Überwachungsregionen (im dorsolateralen präfrontalen Kortex) schalteten komplett ab, während die wesentliche kleinere Region im vordersten Teil der Gehirns (dem medialen präfrontalen Kortex) ihre Aktivität steigerte.

Dass die Ideen freier fließen, wenn Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt sind, klingt nach einer Selbstverständlichkeit. Aber es ist doch bemerkenswert, dass sich das auch tatsächlich in einem so wichtigen Teil des Gehirns abbildet. Das Abschalten von Kontrollfunktionen und das Freisetzen kreativer Gehirnregionen sei ganz ähnlich wie bei Menschen, die träumen, heißt es in der Studie.

Spontane Kreativität als eine Art Traumzustand? Interessant ist auch, dass die neurale Aktivität in allen Bereichen der Sinneswahrnehmung deutlich zunimmt, ebenso in Systemen, die die Emotionen regulieren. Gleichsam als ob das Gehirn alles aktiviert, was Input für den kreativen Prozess liefern könnte. Natürlich ist es nicht ganz unwesentlich, dass das Experiment im Jazz-Idiom stattfand: So sollten die Musiker ihre Improvisationen aus einer vorgegebenen Blues-Melodie entwickeln, während über Kopfhörer die Begleitung eines Quartetts eingespielt wurde. Die Improvisation fand mithin quasi über dem Sicherheitsnetz einer gelernten Konvention und eines rhythmischen Grundgerüsts statt. Kreativität besteht also vielleicht weniger im Abschalten von Kontrolle als in der Möglichkeit, sie zu delegieren.

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