St Patrick’s Church, Galveston, Texas, 1902. (Quelle.)
Ike war nicht der erste Hurrikan, der Galveston und Texas heimsuchte: Die schlimmste Katastrophe war der Hurrikan vom September 1900, als die Stadt schon einmal völlig verwüstet wurde und zwischen mindestens 6.000 Menschen den Tod fanden. Manche Schätzungen sprechen auch von 8.000 bis 12.000 Toten, sicher ist soviel: Keine Naturkatastrophe in den USA hat jemals mehr Opfer gefordert (Katrina kostete etwa 1.800 Menschen das Leben).
Anlässlich der Verwüstungen, die Ike anrichtete, ist in einigen Medien auch wieder an die Ereignisse von 1900 erinnert worden. Ein Aspekt ist dabei allerdings kaum zur Sprache gekommen: Dass nämlich damals eine der aufwändigsten und ausgefallensten Schutzmaßnahmen eingeleitet wurde, um zukünftige Katastrophen zu verhindern. Dazu gehörte nicht nur der Bau einer riesigen Schutzmauer, sondern auch die Anhebung der gesamten Stadt – inklusive fast aller Gebäude – um rund fünf Meter.
Die FAZ widmet sich den Ereignissen von 1900 noch am ausführlichsten, wenn auch mit ein paar Ungenauigkeiten im Detail: Von der „kleinen Stadt Galveston“ ist da die Rede, „eine hübsche, aufstrebende, harmonievolle Inselstadt, die glücklich soeben ins zwanzigste Jahrhundert geraten war und Hoffnungen trug, es mit dem prosperierenden Houston aufnehmen zu können“. Das lässt Galveston beschaulicher und betulicher klingen, als es damals war: Tatsächlich war die Stadt damals eine Boomtown des Baumwollhandels, in etwa genauso gross wie Houston und mit dem wesentlich bedeutenderen Hafen. Der Aufstieg von Houston, der Ausbau seines Hafens und der Abstieg Galvestons zu der Beschaulichkeit, die den FAZ-Autor angeregt zu haben scheint, ist vielmehr sogar eine direkte Konsequenz der Katastrophe von 1900.
Die zweite Konsequenz, nämlich die Hochwasserschutzmaßnahmen danach, erwähnt die FAZ nur en passant. Sie nennt unter anderem den Meteorologen Isaac Cline, der vor der Katastrophe den Bau einer Mauer noch mit der Einschätzung abgelehnt hatte: „It would be impossible for any cyclone to create a storm wave which could materially injure the city.“ Clines Verantwortung für das Ausmass der Katastrophe ist umstritten. Er war Chef der texanischen Dépendance des US Weather Bureaus, also ein Mann mit einigem Einfluss. Seine Behauptung, die Angst vor einer Katastrophe sei eine „Wahnvorstellung“, hat sicher auch dazu geführt, dass die Mauer tatsächlich zunächst nicht gebaut wurde. Andererseits hat Cline einiges dazu beigetragen, um Unwetter und Überschwemmungen besser prognostizieren zu können: Im Sommer 1900 war es ihm mehrfach gelungen, Hochwasser in Texas vorauszusagen und rechtzeitige Evakuierungen auszulösen.
Die Fähigkeit, vieles voraussagen zu können, mag ihn dazu verleitet haben, handfeste Schutzmaßnahmen für vernachlässigbar zu halten. Die Katastrophe von 1900 wurde für ihn auch zur persönlichen Tragödie: Seine schwangere Frau starb ebenfalls in den Fluten. In der Folge wurde Cline zum energischen Befürworter der Schutzmauer, und 1902 wurde die Anlage endlich errichtet – 16 km lang, über 5 m hoch und an der Basis fast ebenso breit.
Das war aber, wie gesagt, nicht die einzige Maßnahme, die durchgeführt wurde. Parallell zum Bau der Mauer begann man damit, die ganze Stadt um ebenfalls fünf Meter anzuheben. Eine spektakuläre Aktion, „a plan that even in an era of engineering daring stood out for its size, cost, and audacity“. Denn dazu wurden tatsächlich fast alle Gebäude der Stadt auf Plattformen und Stelzen gesetzt, dann mit Hebeln und Winden in die Höhe befördert. Anschließend wurde der freigewordene Raum mit Schlick aufgefüllt.
Wie das in der Praxis aussah, kann man sich im Blog von Alexander Trevi anschauen. Beeindruckend ist vor allem das Bild der Kirche St. Patrick’s auf Stelzen – immerhin ein Gebäude mit einem Gewicht von 300 Tonnen. (Weitere Bilder gibt es hier.)
Bis zum 12. September 2008 haben die Maßnahmen von damals ihren Zweck auch tatsächlich erfüllt: Aus dem Jahr 1983 zum Beispiel, als der Hurrikan Alicia über Texas fegte, gibt es eine Schätzung der US Army, und darin heißt es, die Mauer habe geholfen Schäden in Höhe von $100 Millionen zu verhindern. Dass Galveston so lange verschont blieb, hat wohl fatalerweise dazu geführt, dass viele Einwohner gegen offizielles Anraten in der Stadt ausharrten – in den Interviews vor und nach dem Sturm war immer wieder von der Schutzmauer und der Sicherheit, die sie bieten sollte, die Rede.
Es stellt sich nun die Frage, wie Galveston auf die Katastrophe reagieren wird. Wird die Mauer weiter erhöht? Wird die Stadt noch einmal einige Meter angehoben? Und werden sich andere Städte und Regionen in der Welt die Maßnahmen von damals zum Vorbild nehmen? Könnte man nicht zum Beispiel Amsterdam auf eine hydraulische Hebebühne setzen und, je nach Bedarf und Wetterlage, anheben oder senken? Warum nicht gleich die ganzen Niederlande? Städte und Regionen als flexible und modulare Plattformen: Das wäre nun wirklich Stoff für landschaftsplanerische Visionen.
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