„Io, prigioniero di Gomorra“


Diese Blase unüberwindbarer Einsamkeit, die mich umklammert, macht aus mir einen schlechteren Menschen. Das bedenkt keiner, und auch ich hätte das bis zum Ende des verganenen Jahres nicht gedacht. Privat ist aus mir eine unangenehme Person geworden: voller Verdacht und Bedenken. Und darüberhinaus skeptisch gegenüber jeder Sinnhaftigkeit. Es kommt vor, dass ich denke, jeder will mir etwas wegnehmen, oder mich zumindest hintergehen oder für seine Zwecke brauchen. Es ist so, als ob meine Menschlichkeit verarmt und verkümmert wäre.

Roberto Savianos Ankündigung, Italien verlassen zu wollen, kann ja nicht wirklich überraschen. Es ist höchstens erstaunlich, dass er überhaupt so lange durchgehalten hat und sich nicht einschüchtern liess. Sein gutes Recht, jetzt mal genug zu haben von dem Belagerungszustand, in den er durch die Morddrohungen der Camorra versetzt worden ist, und irgendwohin zu verschwinden, wo man das anfangen könnte, was man ein halbwegs normales Leben nennt.

Das eindrücklichste und bedrückendste an seinem Statement ist, dass es die Mechanik der Einschüchterung nachvollziehbar macht: Wie die externe Bedrohung nach innen wandert, gerade deshalb, weil sie so vage ist, weil nie wirklich abgeschätzt werden kann, wie akut sie zu einem gegebenen Moment tatsächlich ist. Insofern spielt es auch kaum eine Rolle, dass die Polizei nun tatsächlich ein Mordkomplott gegen Saviano aufgedeckt zu haben scheint. Der Entschluss, Mut zu zeigen, lässt die Furcht wachsen, dass alles möglich sein könnte: Es ist eines der Verdienste Savianos, sich diesem Dilemma gestellt und es öffentlich erzählt zu haben.

Er habe es für eine „moralische Verpflichtung“ gehalten, „ein Symbol zu werden“. Das mag sehr pathetisch klingen, aber man darf nicht vergessen, dass so ein Satz in einer Kultur geäußert wird, in dem das messianische Moment, die Bereitschaft zur Selbstaufopferung, immer noch als ein herausragender Charakterzug gilt. Saviano hat in Gomorrha selbst darauf hingewiesen: Die Bosse mögen zwar versuchen, der Justiz so lange wie möglich zu entgehen. Aber wenn sie es für nötig halten, sind sie oft erstaunlich bereit, eine Haftstrafe auf sich zu nehmen, um „das System zu retten“. Wenn Saviano sich also selbst zu einer Art Messias der Gegenbewegung stilisiert, hat das nur wenig mit Koketterie zu tun: Er begegnet der Mafia vielmehr auf der gleichen symbolischen Ebene.

Wenn ich heute zurückblicke, sehe ich nur Trümmer und eine Zeit, die unwiderruflich verloren ist, die ich nicht festhalten kann, sondern nur dann wiederherstellen kann, wenn ich nicht länger, so wie ich das jetzt tue, wie ein flüchtiger Verbrecher lebe. Sandokan, Francesco Schiavone, der Boss der Casalesi, er muss in Gefangenschaft leben, im Gewahrsam der Carabinieri, eingeschlossen in einer Zelle. Er hat sich das durch die Gewalt verdient, das Gift und die Toten, mit denen er Kampanien übergossen hat, aber was ist mein Delikt? Warum muss ich wie ein Häftling leben, wie ein Lepröser, versteckt vor dem Leben, vor der Welt, den Menschen? Was ist meine Krankheit, meine Ansteckung? Was ist meine Schuld?

Aus der Perspektive der Mafia würde es wohl heißen: Nicht nur, ein Buch über sie geschrieben, sondern damit auch Erfolg gehabt zu haben. Nicht nur, über die Mafia zu reden, sondern auch darüber zu reden, was es bedeutet, darüber zu reden. Die Welle der Gewalt, mit der die Camorra in den vergangenen Monaten agiert hat, zeigt, dass das nicht unbedingt ausreicht, um sie verschwinden zu lassen. Aber die Diskussion findet tatsächlich auf einer anderen Ebene statt als in den Jahren zuvor, und allein das muss ein System ärgern, dass auf der Verschwiegenheit aller Beteiligten fußt (und alle zu Beteiligten machen will).

Jedes neue Buch, dass veröffentlicht und verkauft wird, ist für sie [die Mafia] eine Niederlage. Das Gewicht der Wörter hat die Gewissen, die öffentliche Meinung, die Information in Bewegung gesetzt. In den Neunzigern fand man das Massaker, das unter Einwanderen in Pescopagano verübt wurde – fünf Opfer gab es damals -, in einer einspaltigen Meldung auf der Seite mit den vermischten nationalen Nachrichten wieder. Heute zwingt das Massaker an den Ghanaern von Castel Volturno die Regierung zu einem Aufwand, der sich nur vergleichen lässt mit der Reaktion auf die von der Cosa Nostra verübten Massaker in Capaci und der Via d’Amelio.

Savianos Ankündigung ist ein Element, um den Aufwand nicht weniger werden zu lassen. Die Aufregung, die in der italienischen Öffentlichkeit dadurch entstanden ist und die selbst die Regierung zu einer Stellungnahme veranlasst hat, zeigt, wie notwendig die Diskussion über die Mafia weiterhin ist. Auch wenn sich Saviano daraus zurückziehen möchte. Es ist ihm zu wünschen, dass ihm das gelingt.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert