„Balkanexpress“ war der Spitzname für die Bahnlinie, die von Opladen nach Burscheid, Wermelskirchen und Lennep führte. Eine dieser Bezeichnungen, von denen Heimatkundler gerne berichten, dass sie „im Volksmund“ geläufig seien, was ich immer ein wenig zweifelhaft finde. Ich habe auch noch nie einen Kölner getroffen, der die Köln-Arena tatsächlich als „Henkelmännchen“ bezeichnet (von ihrem neuen Spitznamen „Lanxess-Arena“ mal ganz zu schweigen). Es gibt ja nicht wenige Beispiele, wo man mit ein wenig Nachstöbern herausfindet, dass der wahre Ursprung solcher Etikettierungen in der Presse liegt, und mehr damit zu tun hat, etwas Neues, Sperriges oder Modernes durch die Einkleidung in eine volkstümliche Bezeichnung ein bisschen charmanter wirken zu lassen.
Keine Ahnung, wer zum ersten Mal auf die Idee kam, die bergische Bahnlinie als Balkanexpress zu bezeichnen. Besonders originell war das auch nicht: Die Assoziation „Balkan“ = „ärmeres/strukturschwaches/irgendwie chaotisches Gelände“ hält sich schließlich bis heute, und auch in anderen Gegenden gab es Regionalbahnen, die „Balkanexpress“ genannt wurden.
Befahren wird die Strecke schon lange nicht mehr: Der Express in den bergischen Balkan teilt das Schicksal vieler Regionalstrecken. Mitte der achtziger begann die Stillegung, die letzten Züge verkehrten Anfang der Neunziger auf dem Abschnitt zwischen Opladen und Hilgen. Die Gleis- und Signalanlagen sind längst demontiert. Aber ganz kann man eine Bahnstrecke natürlich nicht verschwinden lassen, und so lässt sich ihr Verlauf in der Landschaft immer noch sehr gut erkennen.
Das liegt vor allem daran, dass die Erbauer der Strecke die Topographie korrigieren mussten, damit die Züge den Höhenunterschied bewältigen konnten. Brücken, Erdwälle und tiefe Gräben wurden angelegt und sind zum großen Teil nach wie vor sichtbar. Auch das Schotterbett, auf dem die Gleise ruhten, ist noch an vielen Stellen vorhanden, hier und da sieht man Mauerreste der Befestigungsanlagen oder – versteckt unter Bäumen – die frühere Plattform eines Bahnsteigs. Bahnhofsgebäude dienen heute als Wohnhäuser oder Lagerschuppen.
Insgesamt ist die Strecke jedoch komplett verwaist und dämmert vor sich hin, als wollte sie dem Klischee einer Landschaft, die aus der Zeit gefallen ist, entsprechen. Nur wenige Spaziergänger führen Hunde auf selbstgetretenen Trampelpfaden Gassi. Ansonsten schleicht man sich, wie Karl Mays Skipetaren, unterhalb oder hinter den Wohnhäusern vorbei – und staunt über die Diszipliniertheit der Anwohner, weil kaum jemand die brachliegende Bahnstrecke als wilden Garten oder Müllplatz zu nutzen scheint. Einige Passagen führen auch durch dichten Wald oder sind von Buschwerk überwuchert.
Es gab ein paar Versuche, die Bahnlinie wieder zu reaktivieren, aber mittlerweile scheint man sich darauf verständigt zu haben, hier einen Radweg anzulegen. Die Idee ist nicht schlecht, das wäre eine gute Alternative zur äußerst lästigen, weil stark befahrenen B51, der man bisher noch folgen muss. So schön ich einen Radweg aber auch finde: Ein vollwertiger Ersatz für einen gut funktionierenden öffentlichen Nahverkehr ist das nicht.
Seltsam ist die Begrifflichkeit: Ein „Alleenradweg“ soll die Strecke werden. Darunter würde ich mir nun einen Radweg vorstellen, der links und rechts von Bäumen bestanden ist. Es scheint aber so, als ob „Alleenradweg“ als quasi generischer Begriff gedacht ist für sämtliche Radwege, die hier im Bundesland auf alten Bahnstrecken entstehen. Vielleicht ist auch das eine Art Namenspolitik, wie die angeblichen Spitznamen des Volksmund: Als ob durch das Bild einer Allee ein Idyll herauf beschworen werden soll, mit dem sich der Verlust der Infrastruktur mildern ließe.
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