Ich komme selten in die Hohe Pforte. Die Straße liegt etwas im toten Winkel der Innenstadt, und sie durchquert ein Viertel, das wie eine Insel zwischen den wichtigsten Durchgangsstrassen des Stadtverkehrs liegt: Im Norden wird es durch die Cäcilienstraße von der Innenstadt abgeriegelt, im Westen bildet die Nord-Süd-Fahrt eine deutliche Barriere, und im Süden und Osten ziehen Blaubach und Mühlenbach die mehrspurige Grenze zur Südstadt. Ein paar Porno-Shops und Billigläden warten auf Kunden, aber die meisten Passanten nutzen die Hohe Pforte allenfalls als Durchgang, um von der Innenstadt ins Severinsviertel zu kommen oder umgekehrt.
Dabei hat die Straße ja einen durchaus viel versprechenden Namen. Ich habe mir hier mal vor Jahren eine Wohnung angeguckt, und obwohl die nicht besonders toll war, fand ich die Vorstellung, die Hohe Pforte als Adresse angeben und mich dabei wie ein Sultan in Istanbul fühlen zu können, nicht unattraktiv. Aber dann kam mir das Viertel doch ein wenig zu langweilig vor.
Aber natürlich gibt es auch hier, wenn man genau hinguckt, ein paar interessante Dinge zu bemerken. Das Hochpfortenbüchels zum Beispiel, eines der wenigen übriggebliebenen Kopfsteinpflastergassen in der Innenstadt. Und natürlich, quasi nebenan, das Hochpfortenhaus: Ein schönes, aber auch ambivalentes Beispiel für die Architektur des „Neuen Bauens“ in den Zwanziger und frühen Dreißiger Jahren.
Das Gebäude ist vor einigen Jahren erst saniert worden, was seiner Wirkung deutlich gut getan hat. Wie der Bug eines Schiffs ragt die abgerundete Ecke in die schmale Straße hinein. Früher gab es hier eine Kriminalpolizeiliche Beratungsstelle. Sie befand sich im Erdgeschoss des Hochpfortenhauses und wirkte von außen eher düster und abweisend. In Erinnerung geblieben ist sie mir nur wegen der selbstgebastelten Schaufenster-Displays aus alten Puppen und bunten Zeitschriftencollagen, mit denen die engagierten Beamten vor den Gefahren übermäßigen Drogenkonsums warnten.
Die Kripo ist inzwischen ausgezogen, statt einer Beratungsstelle findet man heute eines dieser typischen Innenstadt-Caférestaurants im Erdgeschoss: Modern, gediegen, aber auch ein bisschen langweilig. Aus den Büros in den oberen Etagen sind „exklusive Lofts“ geworden: Wenn man ein wenig im Internet stöbert, findet man einige Immobilienanbieter, die das eine oder andere anbieten und auch ein paar Bilder ins Netz gestellt haben. Als „wieder entdecktes Juwel der 30er Jahre Architektur inmitten der Kölner Innenstadt“ bejubelt die für die Sanierung zuständige Immobiliengesellschaft das Gebäude, und hat damit fast recht: Tatsächlich ist das Hochpfortenhaus 1930 errichtet worden, stilistisch ist es eher ein Beispiel des Übergangs von den Zwanzigern in die Dreißiger, von der Aufbruchsstimmung des „Neuen Bauens“ zur normierenden Massenarchitektur des Faschismus.
Der Architekt des Gebäudes steht geradezu exemplarisch für die Pervertierung einer Ästhetik der Funktionalität und Sachlichkeit zur Diktatur der Norm: Clemens Klotz. Wenn man die Hybris und den Größenwahn des NS-Regimes illustrieren will, dann tut man das gerne mit einigen der Großprojekte, für die er mitverantwortlich war. Von ihm stammt unter anderem die Ferienanlage Prora auf Rügen, geplant und begonnen im Auftrag der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“. 20.000 Menschen hätten in diesem Riesenurlaubsdorf gleichzeitig unterkommen sollen. Klotz entwarf außerdem drei „Ordensburgen“, die für die Schulung der politischen Kader gedacht waren. Bei Vogelsang in der Eifel und Crössinsee in Pommern begann man auch tatsächlich mit dem Bau, wurde aber eben so wenig fertig wie in Prora. Die dritte Ordensburg sollte in der Marienburg bei Danzig eingerichtet werden, dem ehemaligen Hauptsitz des Deutschen Ordens, aber es blieb beim Konzept. Ein weiteres angedachtes, aber nicht durchgeführtes Megaprojekt war die komplette Neugestaltung des Deutzer Rheinufers: Klotz plante den Abriß eines großen Teils der städtischen Bebauung, um dort ein riesiges Areal für Parteiaufmärsche anzulegen.
In den Dreißiger Jahren kann sich Klotz, was Einfluss und Popularität angeht, durchaus mit jemandem wie Albert Speer messen. Eine erstaunliche Karriere für einen Autodidakten. Klotz ist zwar kein Nobody, er praktiziert seit 1911 und hat sich einen Namen mit Wohn- und Bürohäusern für rheinische Industrielle gemacht. Er ist Mitglied des Deutschen Werkbundes und des Blocks Kölner Baukünstler, einer lockeren Vereinigung modern ausgerichteter Architekten, der u.a. auch Wilhelm Riphahn angehört. Seine wichtigste Referenz ist in Köln womöglich eine biographische: Seine Mutter ist die Enkelin von Johann Christoph Winters, dem Gründer des Hänneschen-Theaters (das Klotz‘ Vater auch kurzzeitig leitete).
Die NS-Aufträge verdankte Klotz seinen guten Beziehungen zu Robert Ley, einem der führenden Funktionäre der Partei. Ley, ein fanatischer Agitator und Antisemit, hatte seinen größten Einfluss als Leiter der Deutschen Arbeitsfront: Er war verantwortlich für die Zerschlagung der Gewerkschaften, für die Durchsetzung der nationalsozialistischen Ideologie vom „deutschen“ Arbeitertum als Bollwerk gegen alles Jüdische, Kapitalistische, Bolschewistische, und für die Organisierung der Arbeits- und Freizeitwelt in quasi-militärischen Strukturen.
Ley verhilft Klotz zu den Großaufträgen in Prora, Vogelsang und Crössinsee. Ich kenne nur Vogelsang aus eigener Anschauung: Das Areal liegt abgelegen im Norden der Eifel, eine gute Autostunde von Köln entfernt. Da thront die Burg auf einer Anhöhe über dem Urftstausee, gegenüber der dicht bewaldeten Anhöhe des Kermeter. Die Lage hat etwas Programmatisches: Der Kermeter gehört zu den wenigen verbliebenen Urwaldflächen in Deutschland. Der Urftsee sieht von oben mehr wie ein mäandernder Fluss aus, aber er war damals eines der größten Wasserreservoirs in Europa. Burg Vogelsang und die darunter angeordneten Wohnhäuser sind angeordnet wie die Zuschauerränge eines Amphitheaters: Als sollte der auszubildenden Beamtenkaste die zu bändigende und zu unterwerfende Natur als Schauspiel vorgeführt werden.
Klotz wird nach dem Krieg zwar behaupten, dass Vogelsang nur deshalb als Standort gewählt wurde, weil er gegen den ursprünglichen Plan opponiert hätte. Ursprünglich wollte Ley eine gigantische Anlage am Rhein bei Nonnenwerth errichten lassen. Das wollte Klotz nach eigenen Angaben den Nonnen im dortigen Kloster aber nicht zumuten. Aber die Lage in der Eifel passte mindestens ebenso gut in den Kontext der nationalsozialistischen Ideologie, die hier vermittelt werden sollte.
Gigantisch war freilich auch Vogelsang angelegt. Heute steht nur ein Bruchteil dessen, was ursprünglich geplant war, und das, was steht, wirkt dadurch überdimensioniert und deplaziert, auch wenn Klotz sich bemühte, die natürlichen Gegebenheiten einzubeziehen. Mit dem Hochpfortenhaus hat Vogelsang auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Das bullige Äußere der Burg und der deutliche Bezug auf Formen und Materialien lokaler Bautraditionen stehen eher für die rückwärtsgewandte Architektur des „Heimatstils“. „Moderne“ Aspekte sind erst auf den zweiten Blick erkennbar, in der zitathaften Behandlung der einzelnen Bauwerke, und in der Struktur und Durchgestaltung der Anlage. Trotz der martialischen Atmosphäre hat Vogelsang etwas Bürokratisches und Jugendherbergshaftes.
Schon gegen Ende der Dreißiger beginnt Klotz‘ Stern zu sinken. Mit dem Ausbruch des 2. Weltkriegs werden Großprojekte erst einmal abgebrochen oder aufgeschoben. Es rächt sich aber auch die starke Abhängigkeit von der Protektion Leys, denn dessen Ansehen in der Parteiführung schwindet ebenfalls. Auch nach dem Krieg bleibt Klotz im Abseits: Der Architekt von Prora wird zu einer Fußnote der deutschen Baugeschichte.
Irrelevant ist er damit nicht. Klotz ist der Repräsentant einer Architektur, die den Einzelnen nur noch als zu verwaltende Ziffer der Statistik kennt. Prora ist in seiner Gigantomanie ein Symbol für die Industrialisierung der Freizeit, die einem nach wie vor in den Hotelburgen der Tourismusindustrie begegnet. Vogelsang steht für die Kasernierung des Politischen, getarnt durch die Beschaulichkeit des Panoramas. Und auch am Hochpfortenhaus lässt sich die Tendenz zum Totalitären erkennen: An der ins Breite gezogenen Eingangsfassade in der Agrippastraße, an der die Fenster im gleichförmigen Takt entlang marschieren. Da ist für Individuelles kein Raum mehr – höchstens für den grinsenden Gott der Märkte, der Kaufleute und der Diebe.
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