Biskupia Górka


Biskupia Górka

Biskupia Górka liegt nur ein paar Schritte von der Danziger Innenstadt entfernt. Touristen kommen hier aber nur selten hin. Warum auch? Das Viertel hat nichts von der Musealität der wiederhergestellten Innenstadt. Die Hausfassaden sind heruntergekommen, holzkohlengeschwärzt und offenbar seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr verputzt worden. Wie sonst könnte man an einigen Fassaden noch deutsche Inschriften erkennen: Hier gab es mal eine „Milch-Verkaufsstelle“, eine Hausnummer weiter wurde Seife verkauft oder hergestellt, und in einem anderen Haus war mal eine Bäckerei.

So ein Viertel besucht man natürlich nur, wenn man mal sehen will, wie die Normalen Menschen so leben. Wobei wir als reflektierte Touristen natürlich auch Common People
gehört haben und wissen, dass es die Normalen Menschen nicht unbedingt mögen, wenn ihr Normales Leben als Exponat begafft wird.

Immerhin wird ein Besuch in Biskupia Górka sogar vom Reiseführer empfohlen, der gratis an der Hotelrezeption ausliegt: Ein „must see for those wanting a trip back in time“, sagt die Broschüre, warnt aber zugleich, die Gegend sei „renowned for its hostile natives“. Nun denn: „Everybody hates a tourist/Especially one who thinks it’s all such a laugh“.

Die Neugier ist trotzdem geweckt, vor allem auch, weil es ein herrlicher Wintertag ist und die Sonne dermaßen verschwenderisch über der Stadt strahlt, als wollte sie selbst den gottverlassensten Winkel noch ausleuchten. An so einem herrlichen Tag kann doch niemand feindselig gesinnt sein, wenn man nur mal eben vorbeischauen will auf der Suche nach einem bisschen Authentizität.

In der Tat ist von Feindseligkeit nicht viel zu spüren: Haustüren stehen fast einladend offen, ältere Damen debattieren angeregt, stolze Väter ziehen ihren Nachwuchs auf Schlitten durch die Gegend, zwei Teeniemädchen springen laut kichernd eine verschneite Treppe hinunter. Es riecht nach Holzkohle, intensiver als sonst in der Stadt. Die Reise in die Vergangenheit, die der Reiseführer versprochen hat, gelingt freilich nur teilweise: Dafür brandet der Lärm der Danziger Durchgangsstraßen zu heftig ums Viertel, und dafür sind die parkenden Autos zu neu und zu viele. Und trotz des heruntergekommenen Äußeren wirkt das Viertel nicht elend, da habe ich in Lüttich, Glasgow oder Neapel schon deprimierendere Straßenzüge gesehen.

Biskupia Gö²rka

Von einem Viertel kann man allerdings nicht wirklich reden: Eigentlich gibt es nur zwei Straßen, die Ulica Biskupia, die bergan führt, und die Ulica Na Stoku, die sich unten um den Fuß des Berges entlang schlängelt. Vor allem in der Na Stoku sieht man viele Lücken in der Bebauung, die der Krieg gerissen haben dürfte.

Biskupia Górka hieß früher Bischofsberg: Der Name kommt, so weit ich weiß, daher, dass das Areal einmal die Enklave des katholischen Bischofs in der mehrheitlich protestantischen Stadt war. Bauliche Zeugnisse gibt es dafür nicht, aber eine andere religiöse Minderheit hat sich hier bemerkbar gemacht, eine der vielen ethnischen und sozialen Gruppierungen, die für die Geschichte der Stadt bedeutend waren: Die Mennoniten bauten im 19. Jahrhundert am Fuß des Berges eine kleine Kirche, die heute noch steht, inzwischen allerdings von einer Pfingstlergemeinde genutzt wird.

Überhaupt ist der Hügel ein Mikrokosmos der Danziger Geschichte. Vor allem wegen der exponierten Lage: Von hier oben hat man eine schöne Aussicht über die Stadt, nicht ganz so spektakulär wie vom benachbarten Hagelsberg (heute Grodzisko) am Hauptbahnhof, aber doch reizvoll genug für viele Maler und Fotografen. Davon zeugen viele Stadtansichten, die von hier oben angefertigt wurden. Ein Observatorium gab es ebenfalls mal auf dem Bischofsberg, und die Aussicht war auch von strategischer Bedeutung, wie man an den Festungsanlagen sehen kann. Die verbliebenen Gebäude sind vor nicht allzulanger Zeit renoviert worden und beherbergen inzwischen eine Privatschule, ausgenommen ist nur ein etwas abgeschrabbeltes Wohnhaus, das ein bißchen verloren im gleißenden Gelbanstrich der Schule steht.

Biskupia Górka

Einige Bereiche des Berges sind Sperrgebiet: Eine Polizeikaserne besetzt die Anhöhe, und daneben steht die Ruine eines Glockenturms. Hier gab es früher eine Jugendherberge, die nach Paul Beneke benannt war. Beneke ist eine der schillerndsten Gestalten im Danziger Pantheon, und dass man ihn zum Namenspatron einer Jugendherberge wählte, sagt einiges über das Selbstverständnis der hiesigen Bürgerschaft: Für die war er ein Seeheld, ein kühner Hanseadmiral, der der englischen Konkurrenz Paroli bot. Aus englischer und italienischer Perspektive war er dagegen ein besonders dreister Pirat. Sein prominentestes Beutestück hängt heute noch in Danzig: Das Jüngste Gericht von Hans Memling, das eigentlich für eine Medici-Kirche in Florenz bestimmt war. Wie man diesen Fall von Beutekunst ideologisch verbrämte, lässt sich am besten nachlesen in den Bildern aus der deutschen Vergangenheit von Gustav Freytag: Der Überfall auf das Handelsschiff, das den Memling transportierte, wird dort zu einem exemplarischen Konflikt zwischen welscher Hoffart und deutscher Rechtschaffenheit. Auch wenn dem anonymen Chronisten, den Freytag vorschiebt, kein besserer Streitanlass einfällt als dass der italienische Kapitän halt ein bisschen schnippisch geantwortet hat.

Ul. Biskupia

Dank der schönen Aussicht war der Bischofsberg ein beliebtes Ausflugsziel, aber selten zogen die Menschen aus einem so düsteren Anlass herauf wie am 4. Juli 1946. Da fand hier oben eine öffentliche Hinrichtung statt, eine Exekution, die bewusst als Abrechnung inszeniert wurde. Elf Menschen, die als Kriegsverbrecher verurteilt worden waren, sollten hier gehängt werden. Alle elf hatten Leitungsfunktionen im Konzentrationslage inne: Der als „KZ-Kommandant“ bezeichnete Johann Pauls (er gehörte zur Lagerleitung, hatte aber m.W. nicht die Funktion eines Kommandanten), fünf Aufseherinnen, fünf polnische Häftlinge, die als Kapos gewirkt hatten.

Die Hinrichtung war unmißverständlich als symbolischer Akt der Rache gemeint: Jedem Verurteilten wurde ein eigener Henker zugeteilt, der den entscheidenden Stoß geben sollte. Diese Henker waren allesamt ehemalige Häftlinge des Lagers. Sie zogen für diesen Anlass sogar noch einmal ihre Häftlingskleidung an. Wie wurden sie für dieses Amt ausgewählt? Hatten sie sich freiwillig gemeldet oder hatte man nach ihnen recherchiert? Waren einige vielleicht sogar gezwungen worden, daran teilzunehmen? Und was hatte für die Wahl der Hinrichtungsmethode den Ausschlag gegeben? Die Verurteilten wurden von einem langsam anfahrenden Laster gestoßen, einer nach dem anderen, so dass die nachfolgenden Todeskandidaten (und die Zuschauer) den Todeskampf deutlich mitbekamen.

Als sollte die Barbarei des Nazi-Terrors durch eine konzentrierte barbarische Zeremonie öffentlich gebannt werden. (Aber „zu welcher Ruhe kann man kommen, wenn man Zeuge eines solchen Geschehens war“, um es mit Clint Eastwood zu fragen.)

Seither ist Biskupia Górka – jedenfalls so weit ich weiß – kaum noch Schauplatz von Ereignissen gewesen, denen größeres öffentliches Interesse zu Teil wurde. Der Bischofsberg ist Peripherie, fast so, als hätte man ihn mit den Exekutionen vom 4. Juli auch noch als Unort gebannt. Nicht nur die Touristen, auch die Danziger, erzählt man uns, gehen hier nicht unbedingt hin. Und so bleibt der Hügel heute noch weitgehend allein mit seinen Geschichten.

Eine Antwort

  1. Danke, ein guter und ehrlicher Artikel.
    Gruß aus der Schweiz
    Mike

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