Unter Wasser


Firenze è sommersa

Unzeitgemäß ist auch diese Betrachtung, weil ich etwas, worauf die Zeit mit Recht stolz ist, ihre historische Bildung, hier einmal als Schaden, Gebreste und Mangel der Zeit zu verstehen versuche, weil ich sogar glaube, daß wir alle an einem verzehrenden historischen Fieber leiden und mindestens erkennen sollten, daß wir daran leiden.

Nietzsche

Sie sollten jährlich ins Museum gehen, aber nicht jeden Tag.

Marinetti

Während ein großer Teil des Kölner Archivs noch im Grund- und Regenwasser verrottet, begegnet mir dies: Ein Bild des abgesoffenen Doms von Florenz, Plakat für eine Reihe von Veranstaltungen unter dem Titel Firenze è sommersa, Florenz ist untergegangen.

Kölner Dom

Der Dom von Florenz unter Wasser – das erinnert mich an ein ähnliches Motiv, mit dem vor Jahren der Spiegel eine der ersten Reportagen zum Klimawandel illustrierte: Fürs Titelbild wurde der Kölner Dom unter Wasser gesetzt. (Ausgerechnet die KVB hat dieses Motiv vor einiger Zeit für eine Werbekampagne von ausgesuchter Dämlichkeit recycelt.)

KVB-Kampagne

Das Plakat von Florenz verweist allerdings weniger auf die Erderwärmung, sondern auf ein anderes Ereignis, auf das in Zusammenhang mit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs auch schon hier und da angespielt worden ist: Das katastrophale Arno-Hochwasser von 1966. 2006 jährte sich das Ereignis zum 40. Mal, und viele italienische Medien brachten Features zum Thema, in denen man unter anderem lernen konnte, wie lange so eine Katastrophe nachwirkt: So gebe es immer noch Lagerhallen voller Archivgüter, die auf ihre Restaurierung warteten, konnte man lesen.

Firenze sommersa
Superstudio, Firenze sommersa. (Quelle: Cristiano Toraldo di Francia).

Der Titel der Veranstaltung zitiert allerdings nicht nur die Katastrophe selbst, sondern auch die sarkastische Aufbereitung, die die Architektengruppe Superstudio einige Jahre später vornahm. 1972, nur sechs Jahre nach der Flut, machte die Gruppe den Vorschlag, doch gleich die gesamte florentinische Innenstadt unter Wasser zu setzen. Nur die Domkuppel sollte noch sichtbar bleiben.

Eine tabula rasa-Geste, ähnlich Le Corbusiers Idee, die Pariser Innenstadt zu planieren und durch moderne Hochhäuser zu ersetzen, aber zugleich auch etwas anderes, denn die angestrebte Überflutung wäre ja weniger eine Vernichtung als eine Archäologisierung. Gedacht war das als Spitze gegen den kleinkrämerischen Konservatismus des Mainstream-Denkmalschutzes und gegen die Musealisierung der Innenstädte – gegen eine „Restaurierung“, deren Nähe zur politischen Restauration offensichtlich war.

Das war aber nicht die einzige Stoßrichtigung dieser Spitze: Formuliert wurde der Vorschlag auch aus der Enttäuschung über eine moderne Architektur, die jeden Impetus zur Formulierung radikaler Utopien verloren hatte. Es war eine Reaktion auf die institutionelle und strukturelle Sklerose der italienischen Nachkriegsgesellschaft. Die Mitglieder von Superstudio waren allesamt jung, als sie die Gruppe 1966, im Jahr der Flut, ins Leben riefen. Gemessen an den damals üblichen Karrierebahnen waren sie also noch einige Jahrzehnte von Positionen entfernt, in denen sich wirklich etwas bewegen ließ. Ihre Reaktion bestand darin, eine radikalere Vision von dem zu formulieren, was Architektur sein sollte: Ein konzeptionelles, kritisches Nachdenken über die Fundamente der Gesellschaft.

Den nachhaltigsten Ausdruck fand diese Vision im Monumento continuo: Eine gerasterte Superstruktur, die die Welt überlagert und in eine neutrale Oberfläche verwandelt, so wie eine industrialisierte Architektur die Städte mit immer gleichen Formen anfüllt und wie die Globalisierung zur Standardisierung und Nivellierung lokaler Besonderheiten führt. Die Superstruktur verweist aber zugleich ironisch auf das revolutionären Ideale des 20. Jahrhunderts: Auf die kompromisslose Feier der Moderne, wie sie der italienische Futurismus vormachte, und auf das kommunistische Ideal einer Welt, die allen die gleichen Voraussetzungen bietet. (Zur gleichen Zeit versuchte die chinesische Kulturrevolution gerade die praktische Umsetzung einer tabula-rasa-Strategie.) Außerdem: Ist der standardisierende Blick, die Reduktion der Welt auf Maß und Zahl nicht eine Grundvoraussetzung, um überhaupt in der Architektur neue Welten entwerfen zu können?

In diesem Kontext steht auch das Arno-Projekt: Die Wasseroberfläche ist hier die Superstruktur, eine gleichmäßige und neutrale Oberfläche, unter der die Vergangenheit verschwindet wie die Villen von Baiae. Die Domkuppel darf vermutlich nur deshalb darüber hinausragen, weil sie selbst an eine Architektur erinnert, die etwas Größeres vorhatte als nur die Produktion gleichförmiger Dutzendware oder die Stabilisierung der bestehenden Verhältnisse. Aber vielleicht ist sie auch Mahnmal für ein Land, das Entwicklung und die Dynamik mit der Renaissance abgehakt zu haben glaubt. Das Bild von der Stadt unter Wasser entsprach in diesem Sinne auch den konkreten Erfahrungen der jungen Architekten, bzw. dem Gefühl, unter der Oberfläche eines schweren und erdrückenden institutionellen Apparats zu agieren. Später schlug die Gruppe auch mal vor, die Kanäle von Venedig zuzubetonieren: Die Superstruktur als Mittel, um den Kampf mit den Elementen ein für alle mal zu erledigen.

Es ist eine besondere Qualität der Projekte von Superstudio, dass sie Doppelbödigkeit und Widersprüchlichkeit aller architektonischen Konzepte auf die Spitze getrieben und explizit gemacht haben. Dieser radikale Impuls einer Architektur, die sich selbst immer wieder in Frage stellt und ihre Grundlagen überdenkt, ist mittlerweile natürlich selbst längst teil des etablierten Diskurses geworden. Ebenso ist das von Superstudio formulierte Programm eines „Anti-Designs“ – Gebrauchsgegenstände sollten rein nach ihrer Zweckmäßigkeit gestaltet werden und auf alle modischen Attribute oder Status-Symbole verzichten – im Kanon der Design-Konzeptionen angekommen: Die Quaderna-Möbel, die die Gruppe für den Möbelhersteller Zanotta entwarf, und die das Konzept der Superstruktur in die Warenwelt übertragen, sind selbst teure Design-Ikonen (und werden auch heute noch als solche hergestellt und verkauft). 1978 löste sich Superstudio auf, seither sind auch die Macher an verschiedenen Orten der Architektur- und Design-Welt angekommen, die sie einmal kritisiert haben. (Was nicht heißen soll, dass sie nichts mehr zu sagen hätten – dass das Gegenteil der Fall ist, sieht man zum Beispiel an der interessanten Website von Cristiano Toraldo di Francia, wo es auch einige Informationen über das Superstudio gibt.)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert