Jonathan Franzen erzählt dem Tagesspiegel von einem überraschenden Ãœbersetzungsprojekt:
Ich arbeite gerade an Aufsätzen von Karl Kraus. Mein Freund Daniel Kehlmann hilft mir dabei. Es gibt eine fast fertige Fassung von Heine und die Folgen und eine weniger weit gediehene von Nestroy und die Nachwelt, die ich zur Seite legen musste, weil ich bis zum Jahresende einen Roman abgeben muss. Sonst bin ich ein toter Mann. Jeder Satz von Kraus ist für mich wie ein neues Kreuzworträtsel. Und manche Sachen wird man nie hinkriegen. Was heißt Geist auf Englisch? Da ist man aufgeschmissen. Und Nestroy spielt mit allen Bedeutungsnuancen des Wortes.
Franzen (und Kehlmann) hätte ich nicht unbedingt in der Gefolgschaft von Kraus oder Nestroy vermutet (obwohl er schon mal Wedekind übersetzt hat, aber das hatte ich eher als studentische Brotarbeit in Erinnerung, und in irgendeinem Interview mal sein Interesse für einige K.u.k.-Autoren bekundete – Musil und Kafka waren da, glaube ich, erwähnt). Es würde mich ja interessieren, welche Zusammenhänge Franzen selbst herstellt, aber leider wird das im Interview nicht weiter verfolgt. Trotzdem hoffe ich, dass dieses Übersetzungsprojekt auch zur Veröffentlichung bestimmt und nicht nur eine Art privates Trainingsgelände ist. Allein schon, um zu erfahren, wie folgendes Zitat von Nestroy auf englisch lauten könnte:
Ich hab‘ einmal einen alten Isabellenschimmel an ein‘ Ziegelwagen g’seh’n. Seitdem bring‘ ich die Zukunft gar nicht mehr aus’m Sinn.
Was Kraus angeht, da gibt es von der Friedenauer Presse dieser Tage eine interessante Veröffentlichung: Büffelhaut und Kreatur bringt einen der furiosesten Texte von Kraus und stellt ihn in den Kontext, aus dem er entstanden ist.
Es handelt sich um die Antwort an Rosa Luxemburg von einer Unsentimentalen – eigentlich um die Antwort Kraus‘ auf die unsentimentale Zuschrift einer Leserin, die sich darüber mokierte, dass Kraus in der Fackel einen der Briefe Rosa Luxemburgs aus dem Gefängnis abdruckte (nachdem er ihn einige Male bei Vorlesungen vorgetragen hatte). Beides, der Brief und Kraus’ Polemik, sind schon publiziert worden und auch im Internet dokumentiert, aber sie in einem Buch zu verknüpfen, ist eine sinnvolle Idee: Die chronologische Folge verstärkt noch die polemische Wirkung von Kraus’ Strafpredigt über die Gleichgültigkeit der herrschenden Klassen.
Der Kommunismus als Realität ist nur das Widerspiel ihrer eigenen lebensschänderischen Ideologie, immerhin von Gnaden eines reineren ideellen Ursprungs, ein vertracktes Gegenmittel zum reineren ideellen Zweck – der Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen und alle andern zu deren Bewahrung und mit dem Trost, daß das Leben der Güter höchstes nicht sei, an die Fronten des Hungers und der vaterländischen Ehre treiben möchten.
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