Ich habe die Vögel gewählt, andere den Synthesizer. – Oliver Messiaen
Zu meinen Lieblingsplatten gehört ein Doppelalbum mit Vogelstimmen, eine alte Ariola-Platte (tatsächlich die Lizenzveröffentlichung eines Amiga-Albums aus der DDR), die sich mein Vater mal für den Schulgebrauch zugelegt hatte. Wenige Platten sind so entspannend und anregend wie diese simple Aneinanderreihung verschiedener Formen von Gezwitscher, unterbrochen jeweils von der leicht anämischen Stimme eines (laut Plattencover sehr authentischen) DDR-Ornithologen – „Nummer vierundzwanzig: Die Haubenlerche“.
Möglicherweise muss ich deswegen auch immer hinlesen, wenn es irgendwelche Studien zu irgendeinem interessanten Aspekt des Vogelgesangs gibt. Wie zum Beispiel diese hier: Zebrafinken, die isoliert gehalten werden, entwickeln über einige Generationen hinweg einen Gesang, der dem Gesang der Artgenossen in freier Wildbahn ähnelt, heisst es hier.
Das ist eine überraschende Erkenntnis, aber das Überraschende muss man erst ein bisschen freilegen. Junge Finken lernen das Zwitschern von den älteren Artgenossen, ganz wie es das Sprichwort will. Jeder Vogel entwickelt dabei aber seinen eigenen Gesangsstil, und dieser Prozess lässt sich in zwei Phasen unterscheiden: Eine Phase des „Zuhörens“ und Memorierens, gefolgt von einer Phase, in der aus dem Gehörten eine eigene Variation entwickelt wird, die aber freilich an eine vorgegebene, artenspezifische Grundstruktur angepasst bleibt.
Man hat diese Gesangsentwicklung mit dem Spracherwerb des Menschen verglichen und festgestellt, dass es auf der neuronalen Ebene tatsächlich Ähnlichkeiten gibt zwischen Fink und Mensch. Mindestens soviel haben beide gemeinsam, dass in beiden Fällen ältere Tutoren eine Schlüsselrolle für die Weitergabe der Kommunikationscodes spielen. Aber wo haben die Tutoren ihre Kenntnisse her? Sind Zwitschern und Sprechen ausschließlich gelernt, oder läßt sich die Kette auf eine Art sprachliche Urgestalt zurückführen?
Amerikanische Forscher haben nun ein Experiment durchgeführt, das in der Anordnung ein wenig an den mythischen Versuch Friedrichs II. erinnert, die Ursprache des Menschen dadurch herauszufinden, indem er Versuchskinder von Ammen aufziehen liess, denen jede sprachliche Kommunikation untersagt war. Die Forscher machten etwas Ähnliches mit Zebrafinken: Sie isolierten sie von wilden Artgenossen. In der ersten Generation war das Ergebnis nicht überraschend: Die Finken, die ohne Tutoren aufgewachsen waren, begannen zwar zu zwitschern, aber in einer „heiseren und arrhythmischen“ Form, die offenbar wenig gemeinsam hatte mit dem Gesang, den Zebrafinken üblicherweise anstimmen. (In diesem Wired-Artikel kann man sich die unterschiedlichen Variationen übrigens anhören, was ich – „Nummer dreiundsechzig. Der Zebrafink in Isolation.“ – natürlich mit Begeisterung gemacht habe.)
Nun wäre es möglich gewesen, dass die folgenden Generationen der isolierten Zebrafinken ebenfalls von der wilden Form abweichende Variationen des Gesangs entwickelt hätten. Tatsächlich passierte aber das Gegenteil: Der Gesang glich sich über mehrere Generationen („drei bis vier“, heißt es) wieder an den wilden Stil an.
Die Kommunikation der Finken wäre demnach also nicht nur etwas Gelerntes: Es gibt offensichtlich eine Art Basisstruktur, die möglicherweise genetisch verankert ist, eine Art ideale Form, die gleichwohl einige Generationen benötigen kann, um realisiert zu werden. Sprache wäre also doch kein Virus, sondern eine Schablone.
Man beachte auch den interessanten Verweis auf einen älteren Nature-Artikel in den Kommentaren zu dieser Notiz: Es gibt genetische Gemeinsamkeiten zwischen afrikanischen Volksstämmen, die ähnlich singen, selbst wenn sie kulturell und sozial starke Unterschiede aufweisen.
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