Sonic Youth als museales Objekt: Bis vergangenen Sonntag war die Ausstellung Sensational Fix in Düsseldorf. Ich habe grade noch den letzten Tag erwischt, und um es gleich zu sagen: Es hat sich auch nicht wirklich gelohnt. Nicht, weil die Ausstellung besonders mißraten wäre. Sondern einfach nur deshalb, weil sie merkwürdig beliebig und gleichgültig gegenüber dem wirkte, was sie zu zeigen vorgab, nämlich den Crossover von Popkultur, Punk und Avant-Ästhetik, den Sonic Youth seit mehr als zwanzig Jahren repräsentieren.
Ich muss allerdings gestehen, dass ich auch ein bisschen voreingenommen war. Just in den Tagen vor dem Ausstellungsende führten ein paar englische Blogs (cum grano salis aus dem Umfeld der Zeitschrift The Wire eine heftige Debatte über Sonic Youth. Darin ging es weniger um die Musik, sondern mehr um die besondere Funktion der Band als semi-offizielle Repräsentanten der amerikanischen Alternativ-Kultur, als die Band, die – zumindest in der gängigen Interpretation – den Brückenschlag zwischen Feuilleton, Street Cred und Starbucks hinbekommt.
Ist Sonic Youth also eine „Portal“-Band, wie Simon Reynolds meint, die durch ihre Zitierfreudigkeit den Blick in eine underground wonderworld frei gibt? Oder eine Band, die in einem modernistisch eingefärbten Formalismus stagniert und das avant in Avantgarde nur noch als Geste vorführt, als Produkteigenschaft ohne Substanz oder innere Notwendigkeit?
Am deutlichsten findet sich die letzte Position im Blog von k-punk:
Sonic Youth are ‚art‘ in all the worst senses (they possess a certain insitutional prestige, a certain standing and position, a cetain set of meta-rationales for what they do); but they are not art in the sense that there is a compelling reason for them to exist – there is no more at stake here than just another cool leisure product with all the right credentials.
k-punk zitiert außerdem Ray Brassier:
There’s a perfect sociocultural congruence between SY as individuals and their audience: that burgeoning of a vast college educated middle class audience for „alternative rock“ in the 80s and 90s: graduates wanting something a little bit artier and recherche than pop, metal or hardcore, but nothing too foreboding or intimidating: SY fitted the bill perfectly
Erinnert mich vage an eine alte Sounds-Kritik, in der, glaube ich, Fischer-Z als Band beschrieben wurde, die auch konservativen Rock-Gemütern das Plätschern in der New Wave ermöglichte. Positivere Würdigungen von Sonic Youth gab es dagegen bei Simon Reynolds und Zone Styx Travelcard:
If Sonic Youth are guilty of postmodern curatorial pastiche, it’s not from ’85 onwards with ‚rock‘ history as their palette, it’s over the last decade, and the palette is their own back catalogue.
Und hier:
Sonic Youth may have ended up sounding terminally like themselves, but they are formally innovative, which even in the 80s is some achievement. And while they are unashamedly fans of other bands, writers and painters, as well as being musicians themselves, it’s not at all clear to me that they were the first to be so, nor the group who made it acceptable. […] I think SY’s undisguised fandom is something they carry over from punk, a demolition of the fourth wall of the stage of performance which is designed to have a liberatory, anti-hierarchical effect, putting the band down among the audience.
Allen Positionen gemeinsam ist aber, dass sich die Bedeutung der Band vor allem den ersten Jahren ihrer Existenz verdankt, wobei es dann nur eine Frage des Blickwinkels ist, ob man Bad Moon Rising, Sister oder Daydream Nation als maßgebliches Album definiert.
Ich kann in beiden Positionen einige richtige Aspekte finden, und der Besuch der Ausstellung war auch ein bisschen der Versuch, vor Ort nachzuprüfen. Immerhin ist Sonic Youth auch für das musikalische und künstlerische Koordinatensystem, in dem ich mich am liebsten bewege, ein Fixpunkt. Andererseits habe ich tatsächlich seit Goo kein Album mehr mit besonderer Aufmerksamkeit durchgehört.
Dass Sonic Youth immer schon eine kuratorische Band war, ist keine Frage: Das Verwalten, Ausstellen und Rekontextualisieren aller möglichen Versatzstücke aus Avantgarde und Popkultur ist ja so etwas wie das Leitmotiv der gesamten SY-Karriere. Die Alben haben durchweg etwas Museales: Die Kunst-Cover, die diversen Songs über Maler oder Pop-Idole, das Experimentieren mit diversen Kompositions- und Aufführungspraxen aus dem modernen Kanon usw. Museen haben freilich, sofern kein rigides Programm dahinter liegt, manchmal auch etwas Beliebiges: Alles schön bunt hier, der Wal-Mart genauso wie die Manson Family.
Als Sonic Youth auftauchte, konnte ich mit dieser Haltung einiges anfangen: Die Reformulierung von Rock, wie sie die ganzen Prä-Grunge-Bands betrieben, war auch zugleich ein Aufspüren und Neuentdeckung der Historizität musikalischer Formen (was Punk mit seiner Jahr-Null-Attitüde eher negiert hatte). Es ist ja kein Zufall, dass Hip-Hop ungefähr zeitgleich entstand und via Sampling etwas Ähnliches versuchte. Nostalgie und Hauntologie als Waffen gegen das angeblich Ende der Geschichte.
Bei Sonic Youth ist dieses Aufsaugen von Zitaten und Einflüssen seltsamerweise in eine Art musikalischem Wertkonservatismus gemündet. Insofern liegt es tatsächlich nahe Sonic Youth mit den Prog-Rock-Bands der 70er zu vergleichen: Auch da gab es eine Tendenz vom formalen Experiment zum experimentellen Formalismus. Darin liessen sich dann auch alle möglichen Einflüsse einbetten, aber ohne dass über dieses Einbetten hinaus noch irgendwas behauptet wurde. (Diese Tendenz hat SY im übrigen auch früh eingestanden, wenn auch eher mit ironischem Augenzwinkern: In den Liner Notes zur 12″ Master-Dik druckte die Band ein wütendes Pamphlet aus Zine Maximum Rock’n’Roll, in dem Sonic Youth als 90er-Version von Yes und Hüsker Dü als REO Speedwagon beschimpft wurden.)
Auf der Ausstellung sieht das dann so aus: Die Punk- und Noise-Roots der Band sind im Eingangsbereich in einer Art Schneewittchen-Sarg unterbracht: In einem Glaskasten findet sich ein buntes Sammelsurium aus Fanzines, Flyern und ähnlichen Paraphernalia, aufbereitet wie ein paar ethnologische Fundstücke, die mit der Gegenwart kaum noch etwas zu tun haben dürfen. Dafür finden sich an der Seitenwand die Gitarren der Band, ausgestellt wie die Fetische einer Ästhetik, die sich vom neoliberalen Konsumismus nicht in der Sache entscheidet, sondern nur noch in den Waren, die sie fetischisiert. Noise Rock ist, so gesehen, keine Haltung, sondern ein Lifestyle.
Diese Problematik setzt sich auch durch die übrige Ausstellung fort. Es gibt kaum einen Versuch, das Format an sich zu reflektieren und etwas zu produzieren, das sich mit dem musealen Event an sich auseinandersetzt. Am ehesten tut das noch Christian Marclay in seinem mit Vinyl-Schallplatten angefüllten Zimmer: Da wird man ganz unmittelbar auf den zerbrechlichen, unsicheren Untergrund aufmerksam gemacht, auf dem sich jedes Archivieren und Kuratieren bewegt. (Nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs hat die Installation noch mal zusätzlich Brisanz.)
Die übrigen Bilder, Multiples und Fotografien wirken dagegen eher beliebig zusammengestellt: Ein geschmäcklerisches Mixtape, zusammengestellt von jemandem, dessen Geschmack man ja durchaus teilen mag, der einen aber auch nicht wirklich mehr überraschen kann. Aber Geschmack ist so eine unverbindliche Kategorie, über die man bekanntlich nicht streiten soll, die man aber gegebenenfalls bewundern soll, wenn sie Kenntnisreichtum und Vielseitigkeit signalisiert. Die ausgestellten Namen – Kelly, Pettibon, Genzken, Ginsberg, Patti Smith – haben längst die Patina postmoderner Klassiker angesetzt, und es ist tatsächlich die Frage, wie viel sie darüber hinaus noch zu sagen haben. Oder ob man nicht andere Dinge bei ihnen zum Sprechen bringen müsste als nur die immanenten Querverweise und Zitate.
Wenn man aus der Ausstellung etwas lernen soll über die Bedeutung des Modells Sonic Youth, dann steht es eher für eine Umkehrung der Perspektive, den Avantgarde und Rock mal gemeinsam hatten. Kein lautstarker Sturm mehr auf irgendwelche Bastillen, nicht mal ein zäher Marsch durch die Institutionen, stattdessen ein Rückzug des Experiments ins Private. Avantgarde als Hobby, Dissidenz als persönliche Meinung. Man muss also kein schlechtes Gewissen haben, wenn einen das doch nicht mehr so interessiert.
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