Tanja, weine nicht!


Gedichte schreiben muß man so, daß, wenn man das Gedicht gegen das Fenster wirft, das Glas zu Bruch geht.

Daniil Charms

Was einem dann allerdings meistens nicht erspart bleibt, ist die schlechte Laune des Hausbesitzers.

Artjom Loskutow (oder Artem Loskutov, falls Sie die englische Transliteration bevorzugen) ist ein junger russischer Künstler aus Nowosibirsk. Am 15. Mai 2009 ist er verhaftet worden – offizieller Grund: der Besitz von Marihuana, und zwar in einer Menge (elf Gramm, heißt es), die offenbar als so bedrohlich angesehen wird, dass Loskutow nach wie vor in Untersuchungshaft sitzen muss. Nun bestreitet Loskutow die Vorwürfe, und da er in der Vergangenheit schon öfter mit den Obrigkeiten über Kreuz geraten war, liegt die Vermutung nahe, dass die offizielle Version allenfalls ein Teil der Wahrheit ist. Das Künstlerkollektiv Chto Delat hat darum den heutigen Tag zu einem Tag internationaler Solidarität erklärt und bittet um verschiedene Unterstützungsaktionen, von Spenden für den Inhaftierten bis zu Protestbotschaften an das sibirische Gericht, das Loskutows Fall morgen verhandeln wird.

Es ist nicht der erste oder einzige Fall dieser Art in Russland, aber er findet dort ein bemerkenswertes Echo. Tatsächlich illustriert er anschaulich, mit welch allergischer Humorlosigkeit russische Obrigkeiten auf Versuche reagieren, aus dem offiziellen Pomp und Tingeltangel etwas Luft herauszulassen.

Angeeckt ist Loskutow, weil er mit einigen Freunden so genannte Monstrationen organisierte: Unerbetene Teilnahmen an offiziellen Veranstaltungen zum 1. Mai, auf denen man Plakate mit möglichst sinnlosen und albernen Parolen schwenkte: „Tanja, weine nicht“, „Irgendwie so was“, „Urrgh!“. Also eine Art Mischung aus Flash Mob, Punk-Situationismus und dem poetischen Infantilismus eines Daniil Charms.

Es gibt hier (ab S. 16) eine kurze Beschreibung dieser (und ähnlicher) Aktionen und ihrer Intention (die freilich selbst ein bisschen von der Steifheit atmet, die den offiziellen Selbstdarstellungen abgezapft werden soll). Es gehe darum, heißt es,

Situationen her[zustellen], in denen Vertreter der Staatsgewalt, der Wirtschaft, der Kirche und anderer repressiver Institutionen gezwungen waren, in Ausübung ihrer formalen Funktionen als absurde und komische Figuren aufzutreten, um somit die Absurdität der Machtmechanismen bloßzulegen.

Was den Charme der Aktionen ausmacht, ist freilich gerade, dass sie sich nicht auf die Ebene einer expliziten Auseinandersetzung mit offizieller Politik und Ideologie einlassen. Das volldröhnende Pathos, mit dem Politik inszeniert wird, lässt nur wenig Spielraum dafür. Es soll ja auch eher entmündigen: Nur wer mitdröhnt, darf gehört werden. Wenn dieses verordnete Pathos durch Albernheiten unterlaufen wird, werden die Bürokraten der Obrigkeit nervös. Das führt dann beispielsweise zu so irrsinnigen Maßnahmen, wie die Teilnehmer der jüngsten Monstration (an der man Loskutow schon nicht teilnehmen ließ) schriftlich erklären zu lassen, dass eine Äußerung wie „Urrgh“ kein umstürzlerischer Aufruf sei.

Was immerhin beweist, dass das Konzept, Vertreter der Staatsgewalt in absurde Rollen zu manövrieren, tatsächlich aufgeht. Leider haben die Humorlosen und Schlechtgelaunten meist die zäheren Waffen. Es wäre bitter, wenn sich das auch im Fall Loskutow als wahr erweisen würde.

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