Zur Zeit ein unverzichtbares Accessoire auf meinem Couch-Tisch, und neben dem BibliOdyssey-Buch vielleicht das schönste Buch, das bisher aus einem Blog hervorgegangen ist: Das BLDGBLOG-Buch, Kompendium und Best-Of (inklusive Remixes und rarer Tracks) eines meiner Lieblings-Blogs. Gestern war allem Anschein nach der offizielle Launch, offenbar mit ein bisschen Verspätung, denn ich hab es schon vor etwa drei Wochen bekommen. (Druckfrisch geliefert vom Book Depository, das sich mittlerweile für englische Bücher zu meinem unverzichtbaren Hauslieferanten entwickelt hat, schneller und oft günstiger als Amazon.
Ein guter Anlass also, auf Buch und Blog wenigstens kurz hinzuweisen. Der BLDGBLOG ist Manaughs Architektur-Blog (with occasional help seiner Partnerin Nicola Twilley), und zwar einer, der spekulative Unverfrorenheit und der idiosynkratische Blickwinkel für interessanter hält als fachliche Genauigkeit. Warum nicht, wie’s in der Einleitung heißt, Christopher Wren im Kontext von Computer-Spielen oder Science-Fiction-Romanen diskutieren und austesten, zu welchen Ergebnissen man dabei kommt? Manaughs Trumpf ist eine scheinbar grenzenlose Begeisterungsfähigkeit und ein ausuferndes Fantum, das römische Tempelbauten genauso interessant findet wie unterirdische Kanalsysteme, künstliche Kontinente in Dubai oder dreidimensionale Spielewelten. Architektur, sagt Manaugh, ist nicht nur dieses oder jenes Bauwerk, sondern jeder Versuch, den Raum, in dem wir leben, darzustellen, zu verstehen und zu gestalten.
Diese Bereitschaft zur unorthodoxen Perspektive gibt es inzwischen auch in einigen anderen Blogs, darunter so hervorragende wie die von Owen Hatherley (dessen Manifest Militant Modernism ich auch noch ausführlicher empfehlen muss), Jim Rossignol, Charles Holland oder (noch relativ neu am Start) Will Wiles, aber BLDGBLOG war der erste, der mir begegnet ist, und bis heute ist es eigentlich so, dass ich kaum einen Eintrag im Feed-Reader ungelesen wegklicken kann.
Das Buch ist ein wunderbares Kompendium dazu: Eine Mischung aus Reader, Scrapbook, Fanzine und Sammelalbum. Gestaltet ist es ganz folgerichtig weniger wie eine sauber strukturierte Enzyklopädie, sondern wie eine Stadt zum Lesen: Es gibt moderne Fassaden, breite Boulevards und großzügige Plätze, aber auch überraschende Nebengassen und Seitensträßchen (und die eine oder andere Skizze, die über das Projektstadium noch nicht hinausgekommen ist) – architektonischer Flaneurismus (um ein Wort von Wilhelm Genazino zu zitieren.) Man findet, wie gesagt, viele Texte aus dem Blog darin, aber auch zahlreiches unveröffentlichtes oder überarbeitetes Material. Manaughs wollte nach eigenen Angaben keinen Rundumschlag bieten, sondern die Buchform nutzen, um auf einige Themen des Blogs vertiefter eingehen zu können: Das ist eine kluge Idee, und verleitet dazu, in den einzelnen Kapiteln doch länger herumzuschlendern, als man ursprünglich vorhatte.
Manche Spekulation mag etwas zu weit hinauszuschießen, manches mag inkonsequent, widersprüchlich oder ungenau klingen. Aber insgesamt ist das hier mehr als nur ein „Buch-zum-Blog“ (auch wenn darin das Hauptmotiv für den kleinen Hype liegen mag, der das Buch aktuell begleitet). Vor allem aber ist das Buch eine wunderbare Erinnerung daran, dass Utopien, die aufs Ganze gehen, und Visionen, die nicht bei der Rendite für die Investoren halt machen, immer wieder als notwendige Aufmischung architektonischer Debatten gebraucht werden. In Manaughs Fabulierfreudigkeit liegt ein wenig von dem Geist, den Studios wie Archigram oder Superstudio einmal in die verknöcherten und verkrusteten Diskurse des architektonischen Establishments injizieren wollten. Knochen und Krusten müssen immer wieder zum Tanzen gebracht und verflüssigt werden: In Manaughs Blog und Buch findet man viele spannende Zutaten dafür.
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