Hier entsteht ein Tegernsee. Ab 2030 soll die Grube des Tagebaus Inden geflutet werden, um einen See von 1.160 Hektar Größe zu bilden. Das wird etwas dauern: Frühestens 2060 soll der angestrebte Pegelstand erreicht werden, der See wäre damit der größte See Nordrhein-Westfalens (zumindest vorläufig, dazu gleich) und etwa so groß wie der Tegernsee, wie regionale Medien vorrechnen. Tatsächlich wäre er sogar etwas größer und eher vergleichbar mit dem Edersee, aber Tegernsee liest sich wohl besser in den Immobilienprospekten der Zukunft. (Der WDR sieht hier sogar einen neuen Chiemsee entstehen, aber da hat man sich doch gehörig vertan.)
Indescher See soll das Gewässer laut Wikipedia heißen, wenn nicht gar Indemeer oder Indescher Ozean. Ein ambitioniertes Projekt also, sicher nicht so grandios wie der Versuch, die Wüste aufzufüllen, aber doch spektakulär genug. Zumal man es im Zusammenhang mit einem Bündel weitere Maßnahmen zur Umgestaltung dieser Region sehen muss, aus denen eine möglichst vielfältige und attraktive „Tagebaufolgelandschaft“ entstehen soll. Tagebaufolgelandschaft klingt natürlich äußerst unsexy, also hat man sich den fluffigen Namen Indeland ausgedacht. Das ist kein Themenpark für Alternative Rocker, sondern das Label, mit dem die Landschaft rund um den Tagebau Inden sich und ihre weichen und harten Standortfaktoren in Zukunft vermarkten will.
Der Name ist abgeleitet vom Flüßchen Inde, und das war vor einigen Jahren schon einmal Gegenstand eines bemerkenswerten Projekts: Ein Teils des Flusslaufs wurde verlegt, weil er dem Tagebau ausweichen mußte, wobei man interessanterweise dem Flussbett einen mäandernden Verlauf gab und damit gewissermaßen frühere Begradigungen zurückkorrigierte. Eine künstliche Landschaft, in der die Natur selbst wirksam werden und sich entfalten soll.
Ob dieses Konzept aufgeht, muss man sicher abwarten, zumindest spricht es für eine gestiegene Bereitschaft, sich mit ökologischen Fragen auseinanderzusetzen. Gilt das auch für ein Mega-Projekt wie den Indeschen Ozean? Die Möglichkeit eines Tegernsees vor der eigenen Haustür, und die Vision von Badestränden, Windsurfern und Yachthäfen, das alles stößt zwar in der Region auf einige Resonanz. Aber ursprünglich war mal ein anderes, weniger spektakuläres, dafür vielldeicht nachhaltigeres Konzept vorgesehen, nämlich Verfüllung des Tagesbaulochs mit Abraum und anschließende Rekultivierung. Das ist der RWE, die den Tagebau betreibt, mittlerweile wohl zu teuer geworden. Behauptet zumindest der BUND, der das Projekt als billige Radikallösung heftig kritisiert: „So tiefe Gewässer sind für die Ökologie verloren“, heißt es. Und: „Durch die Anlage eines Sees wird zukünftigen Generationen die Möglichkeit einer bedarfsgerechten Gestaltung genommen.“
Auch im benachbarten Rhein-Erft-Kreis gibt es Skepsis, weil „durch einen Indener See rund 800 Hektar Ackerfläche verloren gingen“, wie der Kölner Stadt-Anzeiger schreibt: „Es könnte Druck auf landwirtschaftliche Flächen auch bei uns entstehen“, wird der Umweltdezernent des Kreises zitiert. (Die Fläche ging natürlich schon durch den Tagebau selbst verloren, aber nach dem ursprünglichen Rekultivierungskonzept hätte man die betroffenen Landwirte auf dem neugewonnenen Boden wieder ansiedeln können.) Allerdings denkt man im Nachbarkreis vermutlich nicht ganz uneingennützig, denn dort hat man noch Größeres vor: Der Tagebau Hambach soll ebenfalls einmal geflutet werden und dann mit 40 Hektar den siebtgrößten See Deutschlands bilden (Das wäre dann, liebe Regionalmarketer, mehr in der Größenklasse des Starnberger Sees). Dazu wird es allerdings kaum vor 2100 kommen, und vielleicht hat man ein bisschen Sorge, dass der Indesche Ozean bis dahin fremdenverkehrs- und standorttechnisch schon einiges Wasser abgegraben hat.
Seit dem Unglück in Nachterstedt ist freilich noch eine weitere Sorge hinzu gekommen. Wie sicher ist so ein großer See überhaupt? Muss man befürchten, dass sich das Motto der Indeland-Projektgesellschaft – Landschaft in Bewegung – auf ungewollte Weise bewahrheiten könnte? Die Neuseenlandschaft in den ostdeutschen Braunkohlerevieren galt bisher immer als Vorbild für die Konzepte, die hier in der Region umgesetzt werden sollen – ist jetzt doch etwas mehr Skepsis angebracht?
Da wird es in den nächsten Monaten und Jahren sicher noch einige Diskussionen geben. In den Gemeinden, die zukünftige Anrainer des Sees sein werden, scheint die Akzeptanz allerdings relativ groß. Um die Akzeptanz für ein Projekt, dessen Realisierung so weit in der Zukunft liegt, noch weiter zu festigen, hält man es wie im Mittelalter, als es um den Bau der Kathedralen ging: Kaum einer der Stifter konnte ja damals die Fertigstellung des Baus miterleben, und damit sie wenigstens einen Abglanz der zukünftigen Pracht sehen konnten, ließ man schon während der Erbauung Altäre, Fresken oder Heiligenfiguren anbringen. So gibt es auch hier bereits kleine Altärchen und Götzen, die den jetzt Lebenden eine Identifikation mit der schönen neuen Nachfolgelandschaft ermöglichen sollen. Am Tagebau Inden gibt es einen Aussichtspunkt, an dem Schautafeln von der zukünftigen Landschaft erzählen – bunt, ausführlich und kameraüberwacht, vielleicht befürchtet man, dass die Gegner ihre Argumente mit dem Edding äußern könnten.
Ein Maskottchen hat die neue Landschaft auch schon: Den
Indemann, eine Stahlgeflecht-Figur mit erhobenem rechten Arm (aber noch im zulässigen Winkel), bei der man nicht richtig weiß, ob sie in die Landschaft grüßt oder etwas wichtiges zeigt, oder vielleicht doch eine Sternenzerstörer-Waffe gezogen hat. 36 Meter hoch steht sie auf der Goltsteinkuppe, einer Abraumhalde, die einmal am Rand des Indeschen Ozeans liegt, und ist gedacht als Landmarke, als begehbare, nachts bunt illuminierte „Medienskulptur“ inmitten eines „Funsport“-Parkes, der freilich erst noch entstehen soll. Auch am Indemann wird momentan noch gehämmert und geschraubt, und so wirkt die Figur eher wie eine etwas aktualisierte Variante des Wicker Man. Und man kann nur hoffen, dass die Bewohner der Region nicht irgendwann auf ähnliche heidnische Rituale verfallen, um zu verhindern, dass die Landschaft zu sehr in Bewegung gerät.
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