Eine Ausstellung mit dem schönen Titel Wach sind nur die Geister ist kürzlich in Dortmund zu Ende gegangen, und ich hatte die Gelegenheit, noch einen Tag des letzten Wochenendes zu erwischen. (Wer jetzt noch hin will, muss etwas warten und einen längeren Weg auf sich nehmen, nämlich ins polnische Torun, wo die Ausstellung im nächsten Jahr zu sehen sein soll.)
Die Geister, die da im Titel gerufen wurden – (ein Alexander-Kluge-Zitat, glaube ich) – die konnte man schon bei der Anfahrt ahnen: Gibt es einen angemesseneren Ort für eine Ausstellung über die Hartnäckigkeit des Irrationalen im Zeitalter neuer Medien und Technologien als ein halbverwaistes Industriegelände? Der alte Hochofen von Phönix-West wäre eine gute Kulisse für jeden Mad-Max- oder Waterworld-Verschnitt. Rostige Bauteile quietschen und knarren im Herbstwind, als wollten sie Kontakt aufnehmen wie die toten Seelen bei einer spiritistischen Sitzung. Zugleich machen die Baustellen, Schautafeln und „Ruhr.2010“-Transparente Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die aber natürlich, weil sie irgendwie aus der Vorgeschichte dieses Ortes abgeleitet werden muss, von dieser Vergangenheit nicht wirklich loskommt.
Das Phönix-West-Areal in Dortmund ist ein urbaner Raum in der Warteschleife, aber immerhin schon mit einer eigenen Website: „Gestern noch eine verbotene Stadt für die Stahlindustrie“, morgen vielleicht „einer der größten Innovationsstandorte in Deutschland“ mit allem, was so dazugehört, einschließlich „Wohnen im Grünen“. Die Ausstellung selbst fand in der Phönix-Halle statt, dem ausgeweideten Rumpf eines Fabrik- oder Lager-Gebäudes. Hinter den Ausstellungswänden sieht man noch deutlich den bröckelnden Putz, die rostigen Stahlträger und die staubverblindeten Fensterscheiben des alten Gebäudes. Mitten im Raum hängt ein großer Haken, als wollte man damit irgend etwas auspendeln. Hier sollte es also darum gehen, warum wir auch in der Moderne vom Übersinnlichen nicht lassen wollen und „trotz unserer Aufgeklärtheit in regelmäßigen Abständen den jeweils neuen Medien und Technologien irrationale Fähigkeiten“ zu schreiben, wie es in der Ausstellungsbroschüre hieß.
Dafür hatte man sich eine Art Schutzpatron gesucht: Friedrich Jürgenson, ein schwedischer Renaissancemensch (im englischen Sinn dieser Redensart), Archäologe, Maler, Opernsänger, und „Entdecker“ der „Tonbandstimmen“. So bezeichnete er akustische Phänomene, die er auf Tonbändern vorfand, als Signale von Verstorbenen zu identifizieren glaubte und durch gezielte Aufnahme- und Abhörtechniken systematisieren wollte. Ich hatte von ihm vorher noch nie gehört, wohl aber von Konstantin Raudive, einem ehemaligen Assistent C.G. Jungs, der (wohl von Jürgenson inspiriert) ebenfalls zu diesem Thema forschte und vor Jahren mal Thema eines Musikprojekts war. (Und ich hatte mir einige Tracks davon extra vor dem Besuch auf der Ausstellung noch mal auf den iPod geladen.)
Friedrich Jürgenson, Audioscopic Research Archive 1959 – 1987
Jürgenson war schon im Eingangsbereich der Ausstellung präsent: Da befand sich ein Regal mit Tonbändern, Notizheften und Aufnahmegeräten aus seinem Besitz. (Erinnerte mich ein bisschen an die aufgebahrten Zettelkästen der Arno-Schmidt-Ausstellung in Marbach.) Insgesamt schlug die Ausstellung allerdings einen weiteren Bogen: Die vorhandenen Kunstwerke und Dokumente nahmen auch auf andere irrationale, übersinnliche oder jenseitige Phänomene Bezug, und das oft auch auf durchaus ironische und respektlose Weise (was in der weihevollen Diktion des Ausstellungsführers gelegentlich etwas verloren ging): Zum Beispiel der Beitrag der Brüder Ajemian, die die Idee des Backmaskings wörtlich nahmen, das Stück „Into The Void“ von Black Sabbath rückwärts transkribierten und in dieser Version von einem Kammerorchester in einer Kirche aufführen ließen. Selbst das spiritistische Aufnahmestudio C.M. von Hausswolffs (der im übrigen Präsident einer Jürgenson Foundation ist), in dem Radar, Sonar, Oszillograph und Überwachungskameras das Tonbandgerät abgelöst haben, wirkte wie ein ironischer Kommentar auf den Versuch, das Übersinnliche gleichzeitig mit modernsten Methoden kartographieren und trotzdem als Übersinnliches/Jenseitiges behaupten zu wollen.
C.M. von Hausswolff, The Complete Operations of Spirit Communications II (detail)
Und es ist ja auch kurios, dass die diversen „Geistwesen“ tatsächlich so anpassungsfähig und aufgeschlossen sind, jedes technologische Update mitzumachen und sich dort in irgendeiner Form zu manifestieren. (Ich würde mich nicht wundern, wenn es schon eine iPhone-App gibt, mit der man SMS aus dem Jenseits tracken oder auf einer Google Map plotten kann – eine Applikation, mit der man Phantom-Städte sichtbar machen kann, gibt es immerhin schon …) Andererseits: So akribisch der Versuchsaufbau auch dürchgeführt wird, nie gelingt es, die Tür ins Jenseits mehr als nur einen Spalt aufzustoßen und den Geistern mehr als nur aphoristische Sentenzen abzuringen.
Lucas & Jason Ajemian, From Beyond (detail)
Es ist eine sonderbare Paradoxie, in der sich der Geisterforscher befindet: Einerseits versucht er das Unerklärliche erklärbar zu machen, dem Jenseits sein Jenseitiges wenigstens ein Stück weit zu nehmen. Andererseits darf die Distanz zwischen dieser und der anderen Welt auch nicht völlig zusammenbrechen, sonst wäre die Geisterwelt ja einfach nur eine Fortsetzung des Alltäglichen. Das Unperfekte der Geisteraufnahmen – die „schlechte“ Qualität der Akustik, die Unschärfe der Videobilder – sind gewissermaßen der Beleg dafür, dass es trotzdem noch eine Demarkationslinie gibt, die allenfalls durchlässig gemacht, aber nicht überschritten werden kann.
Sam Ashley, Ghost Detector (detail)
Was Jürgenson und Raudive interessant macht, ist weniger Ihre Neugier auf das Jenseitige und Übersinnlichen, sondern die besondere Rolle, die gerade die Auseinandersetzung mit Technologie und ihren Möglichkeiten dabei spielt. Es ist eine besondere Spielart von Ingenieursoptimismus in dieser akribischen Auseinandersetzung mit Aufnahme-, Filter-, Rückkopplungsmechanismen wiederfindet, in der Hoffnung, so aus dem Chaotischen und Zufälligen von Geräuschen die entscheidenden Momente herauszupräparieren, wie ein Archäologe aus einem Steinhaufen einen Tempel erstehen lässt. Es ist kein Zufall, dass es dabei Parallelen gibt zu einigen Arbeitsweisen moderner Musik, bei Aposteln des Glitch wie Pan Sonic oder Oval, die den technischen Fehler zum ästhetischen Prinzip machen, oder bei Noise oder Improv, wo die Kakophonie oder der Lärm zur Leinwand werden, auf der sich Klang und Geräusch in ihren eigentlichsten Formen ausbreiten sollen.
Zufälligerweise hatte ich auf der Fahrt zur Ausstellung ein Buch von Dominic Fox dabei, Cold World
. Darin geht es eigentlich um ein anderes Thema – das politische Potential von Melancholie und Dysphorie – aber eine Passage fand ich in diesem Kontext nicht uninteressant. Fox schildert darin die Klangästhetik norwegischer Black Metal Bands, den „ausgezehrten Necro-Sound”, “originally an artefact of the limited means of production and distribution available [but soon] established as a token of authenticity”. Authentizität entsteht demnach durch das Ausloten des Unperfekten und Diffusen, des Rauschens, Klickens und Zischens, das der Teufel bei aller Perfektionierung des Sounds doch immer wieder auf Magnetbändern, Compact-Discs oder Festplatten hinterlassen kann. Dazu die Texte, deren Botschaften von gurgelnden und kreischenden Stimmen fast unkenntlich gemacht werden, aber trotzdem Botschaften sein wollen.
Nicht minder interessant ist die Frage, warum dieser Spalt zur anderen Welt trotzdem immer wieder geöffnet werden muss, und ob das Licht, das aus ihm herausfällt, nicht mehr über unsere Wirklichkeit aussagt als über das, was man jenseits finden könnte. Tim Heckers Installation „Radio Havana / Radio Marti“ zum Beispiel überlagerte das Programm eines staatlichen kubanischen Senders mit dem einer Anti-Castro-Station in den USA. Ein ganz reales Stimmengewirr, das in seinem Chaos aus Pop, Propaganda und Polemik Geister und Mythen zum Vorschein bringt, die von ganz anderer Qualität sind als das, was Spiritisten in der Regel so finden.
Was ist ein Gespenst? Ein toter Mensch, der nicht angemessen betrauert wurde, der uns nachgeht und beschäftigt, der sich weigert, auf die ‚andere Seite’ zu gehen, dorthin, wo die teuren Verblichenen einen für uns ausreichenden Abstand halten, damit wir unser eigenes Leben leben können, ohne sie zu vergessen, aber auch ohne ihren Tod zu sterben – ohne in der Wiederholung ihrer letzten Momente gefangen zu sein
– Quentin Meillassoux
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