In Eisenach


Martin Luther

Es gibt Städte, auf denen die Geschichte lastet wie erkaltete Lava. Man sieht die versteinerten Überbleibsel und erkennt noch die Spuren von Dynamik und Bewegung, und irgendwo darunter, denkt man, liegen wahrscheinlich noch Trümmer begraben, die einem mehr über das erzählen könnten, was hier mal gewesen ist. Aber die Arbeit der Freilegung ist zu mühsam, und so begnügt man sich einfach damit, ein Schild aufzustellen, das den Vorbeikommenden versichert: Hier ruht Bedeutung.

Eisenach

Eisenach scheint mir so eine Stadt zu sein. Vielleicht liegt es am eisigen, trüben und melancholischen Wetter, das uns hier begegnet, aber die Stadt wirkt nicht nur wie ein Museum, sondern auch wie eines, in dem man mit der Geschichte gar nicht anders umgehen kann als sie möglichst rasch erstarren zu lassen, um sie musealisieren zu können.

Eisenach, Goldener Löwe

Vielleicht liegt es daran, dass sich hier zu viele und zu heterogene Linien überkreuzen, mehr als so eine kleine Stadt aushalten und austragen kann. Luther. Bach. Burschenschaften. Sozialdemokratie. An nahezu jeder Ecke stolpert man über etwas, das Anspruch auf einen fundamentalen Moment erhebt, aber zugleich peinlich bemüht wirkt, diesen Moment nicht als etwas Eruptives vorzuführen. Vor dem Lutherhaus, in der Wartburg oder am Hotel Goldener Löwe fühlt sich Geschichte an wie ein tiefgefrorener Klumpen, den man noch vorführen kann, aber nicht mehr bewegen.

Bachhaus

Selbst der Neubau, den man neben das Bachhaus gesetzt hat, der für sich genommen tatsächlich ganz interessant aussähe, wirkt hier im Kontekt nur wie ein umgekippter Findling, der aus Versehen gegen das Nachbargebäude gerutscht ist

Bahnhof Eisenach

Einen Vorgeschmack bekommt man schon im Bahnhof: Da gibt es große Glasfenster, die Automobilindustrie und Städtebau vorstellen. Aber nicht als Feier von Technik, Moderne oder Fortschritt, sondern als pompeijanische Deko: Ornament statt Aufbruch, da wird etwas als Relikt präsentiert, was noch gar keinen Abschluss gefunden hat.

Eisenach

Ich nehme an, auch der Teufel, der Luther auf der Wartburg belästigte, war ein Einheimischer. Beunruhigt darüber, dass von hier tatsächlich etwas Umwälzendes ausgehen könnte, hatte er ein paar Vorschläge für erklärende Zusätze zur Bibelübersetzung zu machen. Nur darum eskalierte der Streit ums Tintenfass.

Wartburg

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