In Italien verschwindet gerade die Supermarkt-Kette Standa, was bei einigen italienischen Bekannten für ein bisschen nostalgisches Jammern sorgt und die eine oder andere dezent vergrätzte Stichelei in Richtung Deutschland. Verantwortlich für das Verschwinden ist nämlich die Rewe-Gruppe, die Standa vor einigen Jahren übernommen hat, die Ladengeschäfte nun aber Zug um Zug in Märkte der Marke Billa umwidmet.
Das ist natürlich nicht die erste Invasion ausländischer Marken in Italien: Penny, Aldi und Lidl sind längst schon da; Billa kennt man bei uns nicht so, aber in Österreich gibt’s die Läden an jeder Ecke. Der Name steht, wie man sich denken kann, für „Billiger Laden“ (bei uns gab’s doch mal eine Kette namens Bilka – „Billiges Kaufhaus“?), und der Slogan des Unternehmens gibt sich landestypisch: „Billa sagt der Hausverstand“. Was Hausverstand auf italienisch heißt, weiß ich nicht, mir fällt dabei auch eher ein Stück von Attwenger ein, wo es von den Klakariadn heißt: „Und wenn’s dann a Problem ham und sie kommen durchanand/Dann kommens mit dem ärgsten und das is der Hausverstand“.
Rund um Standa könnte man aber ein paar interessante Kapitel italienischer Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte schreiben, denn die Marke ist irgendwie immer im Orbit der Kräfte gewesen, die in Italien das Sagen haben. Gegründet wurde Standa 1931 von den Gebrüdern Astesani und Franco Monzino, zunächst als Kette von Bekleidungshäusern mit dem Namen Magazzini Standard. (Monzino war ein ehemaliger Geschäftsführer der Kaufhauskette UPIM, auch das eine Marke, die im italienischen Straßenbild mal allgegenwärtig war, aber langsam zu verschwinden scheint.)
Der Name wurde 1938 in Standa abgeändert, angeblich auf Veranlassung von Mussolini selbst, weil ihm „Standard“ als unitalienischer Anglizismus aufgestoßen sein soll. Der kürzere Name war nach offizieller Lesart ein Akronym aus der etwas umständlichen Selbstbeschreibung Società Tutti Articoli Nazionali Dell’Abbigliamento, deutsch etwa: „Handelsgesellschaft für alle nationalen Bekleidungsartikel“, womit das Einkaufen bei Standa sozusagen zu einem patriotischen Akt erklärt wurde.
Ende der Fünfziger wurde das Angebot um Lebensmittel erweitert und Standa zur Warenhauskette. In den Sechzigern wechselte die Kette erstmals den Besitzer und kam unter das Dach des Mischkonzerns Montedison. Das war ein bizarrer Industrie-Behemoth, ein komplexes Geflecht aus unterschiedlichsten Wirtschaftsinteressen, vom Bergbau über Chemie bis zur Energieversorgung. Präsident dieses Konglomerats war in den Siebzigern Eugenio Cefis, eine der mächtigsten und umstrittensten Manager-Persönlichkeiten Italiens. Pasolini hat aus ihm in seinem letzten Roman Petrolio einen der großen Dunkelmänner dieser Jahre gemacht (und in den Spekulationen über Pasolinis Ermordung spielen auch die Recherchen für diesen Roman eine Rolle).
Im Firmen-Mix von Montedison war Standa freilich nur unter ferner liefen abgeheftet. 1988 ging die Kette an den Strahlemann der italienischen Politik: Berlusconis Fininvest übernahm Standa und versuchte, sie mit großem Werbegetrommel auf allen (seinen) Kanälen zur Hausmarke der Italiener zu machen. (Ganz wörtlich übrigens: „La casa degli italiani“ lautete der Claim in dieser Zeit, womit wir ein weiteres Mal die bemerkenswerte Verquickung von Konsum und Patriotismus hätten.) Berlusconis Marketing-Feldzug lief nicht ohne Widerstände ab: Einige neu eröffnete Fillialen wurden auch schon mal von rivalisierenden Mafia-Gruppierungen in die Luft gesprengt. Aber spätestens jetzt war Standa überall ein Begriff, auch im Süden, wo die Marke bis dahin kaum vertreten war.
Mitte der Neunziger verkaufte Berlusconi Standa aber schon wieder, angeblich aus politischen Gründen (linksliberale Cliquen sollen ihm in den Städten, wo sie an der Macht waren, die Eröffnung weiterer Fillialen erschwert haben), vermutlich aber eher deshalb, weil Fininvest dringend Geld brauchte. Standa wird aufgespalten: Den Non-Food-Teil übernahm die Coin-Gruppe (der u.a. die Marke Oviesse gehört), die Lebensmittel-Märkte gingen 2001 im Süden Italiens an die Cedi-Gruppe (und wurden meist der Conad-Kette einverleibt) und im Norden also an Rewe, das Standa nun aber ebenfalls aus dem Verkehr zieht.
Essenda stata: Damit schließt sich also ein Kapitel italienischer Konsumgeschichte, dessen diverse Verästelungen in die wirtschaftliche und politische Sphäre Stoff für mehr als einen Blog-Eintrag abgeben würden. Aber eine Kuriosität muss doch noch erwähnt werden: Denn ein Standa-Markt ist von den Umfirmierungen bisher geschont geblieben. Und der befindet sich ausgerechnet in Köln, der selbsternannten nördlichsten Stadt Italiens, wo die Rewe-Gruppe ihren Sitz hat.
Eröffnet wurde der Markt, quasi als Trophäe der Ost- und Südeuropa-Feldzüge von Rewe, vor einigen Jahren im DuMont-Carré, einer dieser grässlichen, nichtssagenden Shopping-Malls (für deren Bau seinerzeit das legendäre DuMont-Pressehaus geopfert wurde). Der Kölner Standa tut allerdings italienischer als er ist: Das Angebot entspricht im Großen und Ganzen jedem mittelgroßen Rewe-Markt, mit einer etwas erweiterten Auswahl an italienischen Handelsmarken. Für die Kölner Innenstadt-Klientel mag das freilich Italien genug sein.
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