Watching The Detectives


Annoncen Expedition

Es ist Donnerstag Abend in der Kölner Innenstadt, kurz vor acht Uhr. Die Angestellten in den Geschäften bereiten sich auf ihren Feierabend vor, einige räumen die Werbedisplays von den Gehwegen, in den Imbißbuden und Bäckereien werden die letzten Auslagen zusammengepackt und die Vitrinen geputzt. Ich stehe vor einem der großen Warenhäuser, und im Licht der Abendsonne fällt mir auf, dass am gegenüberliegenden Gebäude noch Reste alter Inschriften zu erkennen sind, die dort einmal angebracht waren. Das fotografiere ich eben mal, denke ich, packe die Kamera aus und mache ein paar Bilder. Aus dem Augenwinkel fällt mir auf, wie eine schmächtige Gestalt links an mir vorbeischarwenzelt. Ich setze die Kamera ab, mache instinktiv ein bisschen Platz und wundere mich noch ein bisschen, warum da jemand ausgerechnet durch das Nadelöhr zwischen mir und der Hauswand will, anstatt den bequemeren Weg rechts vorbei zu nehmen.

Dann geht alles ganz schnell.

Wie ein Blitz taucht ein vierschrötiger Kerl auf, kurze Haare, puterrotes Gesicht, und packt die schmächtige Gestalt hart an Schultern und Arm: „Du hältst Dich wohl für besonders schlau, was?“ Ein zweiter, ebenso vierschrötiger Kerl taucht auf, packt ebenso heftig zu. Die schmächtige Gestalt, ein kleines Männchen in schäbiger Kleidung, beides von undefinierbarem Alter, sagt etwas, das ich nicht verstehe. „Halt’s Maul“, sagt einer der vierschrötigen Kerle, aber ich bin so erschreckt von der Aggressivität unmittelbar vor meiner Nase, das ich nicht mit bekomme, welcher von beiden. Mich schockiert nicht nur die Aggressivität, die brutale Effizienz des Zupackens, sondern auch, dass für die beiden Kerle offenbar überhaupt nicht vorhanden bin, obwohl ich unmittelbar daneben stehe. Nur Sekunden dauert das Gerangel, dann haben die beiden ihr Opfer gepackt und zerren es Richtung Warenhaus.

Aber ich habe kaum die Ereignisse im Kopf einigermaßen sortiert – die Angreifer waren also wohl Ladendetektive, wenn auch von einer deutlich rabiaten Sorte -, als die Ereignisse noch mal eine drastische Zuspitzung erfahren: In Windeseile rast ein weiterer kräftiger Mann aus dem Warenhaus, direkt auf den Festgenommenen zu, und versetzt ihm einen eindeutig schmerzhaften Fußtritt und einen Faustschlag. Ich höre eine protestierende Frauenstimme, der Fußtreter brüllt: „Das geht sie nichts an!“, und das Trio verschwindet mit dem Gefangenen ins Warenhaus. Ich drücke mehr instinktiv als bewusst, auf den Auslöser, und gehe ein paar Schritte der Gruppe hinterher.

Die ganze Szene hat vermutlich nicht mal eine Minute gedauert, und im Nu sind die meisten Passanten, die die Szene mitbekommen haben, weitergegangen. Nur die protestierende Frau steht noch da und ein Mann mit einem Aktenkoffer, und wir beschließen, ins Warenhaus zu gehen, die Gruppe zu suchen und zur Rede zu stellen. Es ist gar nicht so sehr Zivilcourage oder bürgerliches Anstandsgefühl, was mich dazu bewegt, sondern der Nachklang dieser sichtbaren Aggression, ihre Zielstrebigkeit und Kaltschnäuzigkeit im Willen, eine Rechnung zu begleichen, ohne Rücksicht auf Umstehende und Zeugen. Und ich bin ganz einfach neugierig darauf, ob es hier in diesem Haus jemanden gibt, der dazu eine Meinung haben könnte.

Festnahme

Vor Jahren habe ich selbst einmal unangenehme Bekanntschaft mit Warenhausdetektiven gemacht. Das war in einem riesigen Supermarkt in einem weniger gut beleumundeten Viertel Kölns, in einem dieser riesigen Supermärkte. Ich hatte Plastikgeschirr für einen Campingurlaub gekauft, und war, weil ich etwas vergessen hatte, nochmal ins Geschäft zurückgegangen, ohne den Kassenzettel mitzunehmen. Als ich wieder rauskam, wurde ich schon von zwei Herren empfangen („in braunen Kurzlederjacken und zu zwei’n“, wie es bei Extrabreit hieß) und mit Nachdruck in ein winzig kleines Kabuff dirigiert. Was mir bis heute in Erinnerung geblieben ist, war ihre eindeutige und unverhohlen zur Schau gestellte Feindseligkeit. Ich mochte mich noch so unschuldig fühlen und noch so eine plausible Erklärung für das Plastikgeschirr in meinem Rucksack anbieten können: Es war offensichtlich, dass die beiden nicht die mindeste Absicht hatten, meine Darlegungen auch nur in Erwägung zu ziehen. Zwei kleine Dirty Harries, die das Recht auf ihrer Seite hatten und mich das auch spüren liessen. Es gab eine Anzeige, ich schrieb einen wütenden Brief an die Geschäftsführung (auf den nie eine Antwort kam) und irgendwann erhielt ich ein Schreiben von der Polizei, dass sich die Angelegenheit erledigt habe. Eine ärgerliche, sicher keine dramatische Geschichte, aber doch eine, in der ich ein Quäntchen Ahnung davon bekam, wie Verhörsituationen sich anfühlen, in denen man mit methodisch ausgeübter Intransigenz konfrontiert wird. (Es gibt einen schönen Sketch von Fry & Laurie über zwei übermotivierte Warenhaus-Detektive, den ich seit diesem Erlebnis besonders zutreffend finden kann – leider auf YouTube grade nicht aufzuspüren.)

Das Erlebnis heute ist zweifellos heftiger und bizarrer. Kaum haben wir das Warenhaus betreten, sind die drei Detektive und ihr Opfer auch schon nicht mehr zu sehen. Auf der Suche geht uns der Mann mit dem Aktenkoffer verloren, aber die wütende Frau beginnt damit, sich zur Geschäftsführung durchzufragen. Nicht ohne jedem, den sie fragt, auch gleich die ganze Geschichte zu erzählen: „Wir haben grade etwas Unglaubliches erlebt …“ und die meist bereitwillig angebotene Empörung zufrieden entgegen zu nehmen. Ich gehe ihr einfach mal hinterher.

Die Geschäftsführung sitzt im obersten Stock des Warenhauses, sagt uns ein Mann, der im Untergeschoss an einer Biertheke sitzt. Wir finden sie an einem unscheinbaren Gang neben der CD-Abteilung. Die beiden freundlichen Damen im Sekretariat müssen sich ebenfalls unsere Geschichte anhören und sind aufrichtig empört. Eine der beiden telefoniert, und nur wenig später erscheint tatsächlich der Geschäftsführer, oder zumindest ein Herr, der sich dafür ausgibt und auch ganz gut in die Rolle eines Geschäftsführers dieses Warenhauses passt: Jugendliches Aussehen trotz grauer Haare, die aber adrett frisiert sind („ein bißchen wavig, steht ihnen auch mal“, wird der Friseur vielleicht gesagt haben). Nicht zu aufdringlich gebräuntes Gesicht, dunkelblauer Anzug, im Ganzen der Typ, der auch in Nostalgieshows als in Ehren gealterter Star aus Heimatfilmen der 60er durchgehen könnte. Der Herr ist freundlich und konziliant, hört uns beiden aufmerksam zu, findet das, was wir beobachtet haben, auch „indiskutabel“, beteuert aber die generelle Korrektheit der für das Haus tätigen Detektive und bittet uns um Verständnis, dass er sich eines Urteils enthalten möchte, so lange er nicht mit den Betroffenen gesprochen habe. Natürlich, was soll er auch sonst sagen, und immerhin wirkt er redlich darin, unser Bedürfnis, über das Erlebte ein bisschen Dampf abzulassen, nicht lächerlich zu finden.

Es entspinnt sich ein kurzes Gespräch, vor allem zwischen dem Herrn und der mittlerweile nicht mehr so wütenden Dame, über die Situation in der Innenstadt, über zunehmende Kriminalität und das, was davon sichtbar und unsichtbar ist: „Wir erleben hier Dinge, die würden sie nicht glauben“, sagt der Herr mit Nachdruck, „auch in einer Brutalität teilweise, das ist schon heftig.“ Plötzlich fühlt man sich hier oben im Sekretariat der Geschäftsführung, auch wenn er’s nicht so drastisch meint, wie in der Kommandozentrale einer Festung, die mitten in eine immer unberechenbarer anbrandende Flut gebaut ist. „Die Aggressivität hat ganz sicher zugenommen“, beteuert er, und in einem Nebensatz rutscht ihm noch raus („aber ich will da nix Falsches sagen“), vor allem gebe es ja Probleme „mit den Russen“. Ich kann dazu nicht viel sagen, bisher war mir die Innenstadt noch nicht als besonders gefährliche Zone erschienen, aber ich habe natürlich auch nicht jeden Tag hier zu tun. Gerade die Erklärungsversuche des Geschäftsführers lassen vor meinem geistigen Auge nun eine Stadtlandschaft entstehen, in der hinter den standardisierten Fassaden der Fußgängerzonen ungeahnte, unbekannte Kriege geführt werden, in der die Gänge zwischen den Warenregalen als Schützengräben fungieren und Kriminelle und Detektive in einen endlosen Zermürbungskrieg verflochten sind.

Schließlich verabschieden wir uns, und auf dem Weg nach draußen, durch das eigentlich schon geschlossene Warenhaus, erzählt mir die nun gar nicht mehr wütende Frau, dass sie hier in der Gegend wohne und eigentlich auch noch nichts davon mitbekommen hätte, dass es hier schlimmer zugehe als früher. Andererseits hätte neulich jemand ein Auto in den Eingang des Warenhauses gerammt, um sich mit roher Gewalt Zugang zu verschaffen (eine Methode, die vor Jahren schon mal bei einem Juwelier auf der Hohen Straße funktioniert hat, erinnere ich mich), und auf die Auslage eines Goldschmieds sei mit schweren Waffen geschossen worden.

Die Detektive sind, als wir vor das Warenhaus treten, ebenso wenig wieder aufgetaucht wie ihr Häftling. Mir ist ein bisschen mulmig bei der Vorstellung, was sich zwischen den vieren noch abgespielt haben mag, als wir sie aus den Augen verloren. Auch wenn sie sich generell korrekt verhalten mögen: In den wenigen Augenblicken der Konfrontation, die sich hier abgespielt hat, ging ein kleiner, aber deutlicher Riß durch die Normalität eines abendlichen Einkaufsbummels. Das war zu viel Aggression, um nur ein momentaner Exzeß zu sein, sowas muss sich irgendwoher aufgebaut und fundiert haben. Security-Leute sind ja paradoxerweise immer ein Indiz dafür, dass die Sicherheit des Alltags eine trügerische sein könnte: Um so mehr, wenn sie dann noch so eklatant gegen Konventionen verstoßen, in die wir uns für den Alltag eingesponnen haben. Ich verabschiede mich von der inzwischen recht ausgelassenen Frau und schaue mich um. Die Abendsonne ist mittlerweile fast nicht mehr zu sehen, und schon gar nichts mehr vom Fight-Club. Es ist schattig geworden, mich fröstelt ein bisschen, und ich mache, dass ich zur U-Bahn und nach Hause komme.

Haasestein & Vogler AG

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