Ruhrhalden-Tour II


Auf Halde Norddeutschland

Das Pfingstwetter war ein guter Anlass, die Tour über ausgewählte Ruhrhalden fortzusetzen. Diesmal ging die Fahrt in den westlichen, linksrheinischen Teil des Ruhrgebiets. Eine Region also, von der gerne vergessen wird, dass sie auch noch dazu gehört: Wenn man vom Revier spricht, meint man meistens Duisburg, Essen oder Dortmund, aber selten Kamp-Lintfort, Moers oder Neukirchen-Vluyn. Für viele meiner rheinischen Bekannten ist das hier schon der Niederrhein. Auch in der Region ist man mit der Zugehörigkeit zum Ruhrgebiet nicht durchweg glücklich: Im zuständigen Kreis Wesel gibt es seit Jahren einige Stimmen, die einen Ausstieg aus dem Regionalverband Ruhr befürworten. Der Versuch, das Anliegen politisch umzusetzen, scheiterte vor knapp zwei Jahren allerdings recht spektakulär, und ist damit erst mal für einige Zeit vom Tisch.

Man kann den Wunsch, sich auszuklinken, ein Stück weit verstehen: Wer ist schon gerne Randlage? Aber wir sind hier ganz ohne Zweifel noch im Revier: Der Blick auf die beeindruckenden Fördertürme der Zechen Friedrich-Heinrich oder Rossenray genügt, um einen Hinweis darauf zu bekommen, welche Branche die Wirtschaftsgeschichte der Region dominiert hat. Und wie rechts des Rheins wurde natürlich auch hier nicht nur gefördert, sondern auch fleißig entsorgt: Mit den Halden Norddeutschland, Pattberg und Rheinpreußen liegen drei der interessantesten Bergedeponien auf dieser Seite des Flusses, und noch dazu relativ nah beieinander.

Spazierwege auf Halde Norddeutschland

An dieser Stelle noch einmal kurz der Hinweis auf den empfehlenswerten, gerade erschienen Haldenführer von Wolfgang Berke, den ich im voraufgegangenen Beitrag schon (wenn auch nur en passant) erwähnt habe. Das Buch ist ein relativ schlankes Bändchen, bietet aber trotzdem zahlreiche praktische Informationen und kurze Abrisse der Entstehungsgeschichte von insgesamt 52 Halden, darunter nicht nur die prominenten „Landmarken“, sondern auch weniger bekannte Areale und eine Handvoll Sperrgebiete, die nur von außen betrachtet werden dürfen. Für einen ersten Einstieg in das Thema, einen Überblick über die unterschiedlichen Gestaltungsformen der Halden und als Orientierungshilfe vor Ort ein unerlässliches Hilfsmittel.

Heinrich-Hildebrand-Höhe

Zurück zur Tour: Obwohl es auf die linke Rheinseite gehen sollte, haben wir einen längeren Anlauf genommen und rechtsrheinisch begonnen: Startpunkt war der Bahnhof des Flughafens Düsseldorf, also quasi noch vor den Toren des Ruhrgebiets. Von hier aus geht es durch Waldgebiete und Felder in die südlichen Vororte von Duisburg. Hier schwenkt man südlich des Ortsteils Ungelsheim auf einen schönen Radweg entlang des Angerbachs, eines begradigten Wasserlaufs, der uns buchstäblich schnurstracks zur ersten Halde unserer Route führt, die etwa nach 14 Kilometern erstmals sichtbar wird.

Heinrich-Hildebrand-Höhe (Angerpark)

Heinrich-Hildebrand-Höhe

Die Hildebrand-Höhe findet sich nicht in Berkes Buch, was vielleicht daran liegt, dass sie noch nicht sehr lange zugänglich ist. Es handelt sich auch nicht um eine Bergehalde, sondern um eine frühere Mülldeponie: Jahrzehntelang entsorgte hier die Metallhütte Duisburg ihre Schlacken und nahm dabei nur wenig Rücksicht auf ökologische Belastungen. 2005 meldete das Unternehmen (unter dem Namen MHD Sudamin) Insolvenz an, unter sehr merkwürdigen und offenbar auch einigermaßen chaotischen Umständen. Jedenfalls war die Stadt Duisburg mit dem Problem konfrontiert, möglichst schnell ein ökologisch sinnvolles und nachhaltig funktionsfähiges Konzept für ein von Altlasten verseuchtes Areal zu entwickeln.

Spazierwege im Angerpark

Das Ergebnis ist der Angerpark, eine Grünanlage in einem etwas unsortierten Umfeld aus Großindustrie, Hafenanlagen, Klärwerk und Wohnvierteln. Mittelpunkt des Parks ist die Heinrich-Hildebrand-Höhe, die über dem Giftmüll der Deponie modelliert wurde. Dabei handelt es sich um eine 33 Meter hohe künstliche Anhöhe, benannt nach einem lokalen Heimatforscher, die demnächst durch „die spektakuläre Skulptur Tiger & Turtle“ ebenfalls zu einer Landmarke aufgewertet werden soll. Momentan wirkt der baumlose Hang noch ein bisschen steril – wenn es im Baumarkt Landmarken zu kaufen gäbe, sähen die wohl auch so aus. Die geplante Großskulptur macht zudem einen etwas überdimensionierten Eindruck, und wir fragen uns, ob in diesem Umfeld ein Park mit einer etwas kleinteiligeren, intimeren Struktur nicht angemessener wäre. Die Aussicht allerdings ist durchaus sehenswert, gerade deshalb, weil sie ein sehr gemischtes Panorama aus Industrie- und Wohnbebauung bietet. Der versprochene Rheinblick beschränkt sich allerdings auf ein kleines Stückchen, das zwischen den Industrie- und Hafenbauten sichtbar wird. Fazit: Momentan noch ein etwas monotoner Zauberberg, aber vielleicht wächst sich das noch zurecht.
Vom Angerpark bis zum nächsten künstlichen Berg sind es knapp 23 Kilometer. Ein guter Teil der Strecke führt aber am Rhein entlang, zunächst auf der rechten, dann auf der linken Flussseite. In Duisburg-Essenhausen fahren wir dann Richtung Westen nach Moers, auf ruhigen Seitenstraßen ums Stadtzentrum herum, schließlich ein paar Kilometer nördlich, parallell zur A57.

Hallenhaus

Halde Norddeutschland

Norddeutschland sieht man schon von weitem aufragen. (Ein Satz, den man nicht oft sinnvoll in einem Text formulieren kann.) Sie ist – wie auch die beiden anderen linksrheinischen Halden auf unserem Weg – als Tafelberg gestaltet, gehört also zur sogenannten „zweiten Generation“ der Bergehalden. Die erste Generation der Halden waren meist Spitzkegel, wie man sie heute noch vielfach in den ehemaligen Bergbaugebieten in Nordfrankreich und Belgien vorfindet (z.B. die beeindruckenden Terrils von Loos-en-Gohelle im Pas-de-Calais). Diese Kegel sind jedoch problematische Bauwerke: Sie neigen zur Selbstentzündung, viele sind über Jahre hinweg brennende Halden, die kaum gelöscht werden können. Die steilen Hänge sind außerdem nicht immer stabil, und sie lassen nur wenige Möglichkeiten zur Begrünung und Gestaltung. In den Sechzigern begann man darum mit der Anlage von Tafelbergen, die nach beendeter Schüttung leichter zu bepflanzen waren. Auch diese Tafelberge können freilich in Brand geraten (wie Rheinelbe in Gelsenkirchen oder Graf Moltke in Gladbeck), außerdem sind sie von außen eindeutig als künstliche Gebilde erkennbar, was bei Anrainern oft auf wenig ästhetische Gegenliebe stößt. Seit den 80ern werden die Halden des Ruhrgebiets darum als „Landschaftsbauwerke“ angelegt, für die schon im Vorfeld ausführliche (und unterschiedliche) Gestaltungs- und Nutzungskonzepte ausgearbeitet werden.

Norddeutschland ist noch ein Tafelberg. Das kastenförmige Aussehen mildert sich etwas, je näher man der Halde kommt: Die Flanken sind weicher und mit kurvigen Einbuchtungen gestaltet. Der stufenförmige Aufbau sorgt immerhin dafür, dass das Gipfelplateau relativ leicht zu erklimmen ist: Auf der Ostseite führen die Wege quasi Etage für Etage mit angenehmen Steigungsprozenten bergauf.

Panorama

„Plateau“ ist nicht ganz korrekt: Der Gipfel ist nicht völlig flach, sondern nach innen leicht kraterförmig eingedellt. Über die Gestaltung kann man geteilter Meinung sein: Die kahle Fläche hat etwas von der nutzlosen Melancholie einer Skipiste im Sommer. Als künstlerische Landmarke dient hier oben das Hallenhaus, ein skelettiertes Gebäude, das ein Bindeglied zwischen traditionellen und industriellen Bauweisen darstellen soll, aber leider nur aussieht wie ein unvollendetes Festzelt. Aus unerfindlichen Gründen heisst der Platz vor dem Haus „Thingplatz“, das freut vielleicht ein paar der Metal-Fans, die sich hier oben jährlich zum Dong Open Air versammeln. (Falls Sie fragen: Dong hat nichts mit Rauschgiften zu tun, sondern ist nur der Name eines Dorfs am Fuße der Halde.) Die Halde Norddeutschland kann übrigens auch über eine Treppe bestiegen werden, die hier ebenfalls „Himmelstreppe“ heißt – Himmelstreppen scheinen für moderne Halden ja ein fast unverzichtbares Gestaltungselement zu sein.

Den Aufstieg ist Norddeutschland auch allemal wert: Es gibt nur wenige Halden, die eine ähnlich spektakuläre Aussicht bieten können. (Eine werden wir allerdings gleich noch kennenlernen.) Der Blick erfasst hier ein 360 Grad umspannendes Panorama, von der niederrheinischen Ebene über Fördertürme, Schornsteine und Kraftwerksanlagen bis zum östlichen Ruhrgebiet. Einige der markantesten städtischen und wirtschaftlichen Landmarken des westlichen Ruhrgebiets sind von hier aus zu erfassen: Die oben erwähnten Fördertürme von Friedrich Heinrich und Rossenray, der letzte der berüchtigten „Weißen Riesen“ von Kamp-Lintfort (der allerdings noch in diesem Jahr abgerissen werden soll), die riesigen Kraftwerksbauten von Voerde und Walsum, und natürlich einige der Halden und Hügel des Ruhrgebiets. Dazwischen ein buntes Patchwork an grünen, braunen und rapsgelben Feldern und verstreut hingesprenkelten Siedlungen. Eine Kuriosität ist übrigens, das Norddeutschland hier sehr nahe an Irland liegt: Direkt an der A57 liegt die deutsche Zentrale von Kerrygold. (Man kommt in der Anfahrt zur Halde unmittelbar daran vorbei.)

Wenn man sich sattgesehen hat, geht es in rasanter Abfahrt über die Nordwestflanke der Halde hinab, vorbei am stillgelegten und streng bewachten Schacht 3 der Zeche Friedrich Heinrich, dann über Landstraßen Richtung Kamp-Lintfort. Dort fahren wir am Rand der alten Bergarbeitersiedlung Friedrich Heinrich entlang, kurz nach Osten, und direkt an der A57 erreichen wir schon die nächste Halde.

Pattberg

Halde Pattberg

Der –berg im Pattberg hat nichts mit der Topographie zu tun: Der Name stammt von Heinrich Pattberg, einer der interessanteren Personen in der rheinischen Bergbaugeschichte. Pattberg brachte es vom Steiger in der Zeche Rheinpreußen bis zu deren technischen Direktor, vor allem deshalb, weil er einige neue technische Methoden mitentwickelte. Zwei Schächte der Zeche Rheinpreußen wurden nach ihm benannt und folglich auch die Halde, die den Abraum dieser Schächte aufnahm.

Gipfelkreuz auf dem Pattberg

Auch der Pattberg ist ein Tafelberg, mit einer sanft ansteigenden Aufstiegsmöglichkeit, die im Westen der Halde fast komplett um den Berg herumführt, und einer steileren Serpentinenstrecke im Osten. Das Gipfelplateau wird durch eine Art künstliches Furche in zwei Hälften geteilt. Das Plateau ist ebenfalls kahl, aber Bäume und Büsche rücken hier näher heran als auf Norddeutschland und geben dem Areal ein zurückgezogeneres und beschützteres Flair. Eine kleine Buckelpiste spricht für die Anwesenheit von Dirt Bikern, interessant sind dabei vor allem kleine Ablaufgräben neben der Fahrrinne: Improvisierte Landschaftsarchitektur. Insgesamt ist der Pattberg eine der beschaulicheren Halden: Kein hochgestyltes Highlight, aber ein angenehmes Rückzugsgebiet. In den Neunzigern wurde übrigens an einem Hang sogar mal Wein angebaut, aber davon ist nichts mehr zu sehen.

Der Weg zur nächsten Halde ist ebenfalls nicht weit: Am Fuß des Pattbergs geht es in südlicher Richtung an der Schachtanlage Pattberg vorbei und nach Überquerung der A42 durch die Moerser Vororte Repelen und Eick.

Halde Rheinpreußen

Halde Rheinpreußen

Die Halde Rheinpreußen hat vielleicht die spektakulärste Lage aller Halden: Vom Gipfel aus bietet sich ein fantastischeses Panorama. Fast scheint hier alles wie eine Kulisse angeordnet: Der Rhein, die Kraftwerks- und Industriebauten, Autobahn- und Eisenbahnbrücke, Äcker und Wiesen, der Baerler Wald zu Füßen des Bergs mit den Resten des Baggersees, über dem die Halde in erstaunlich kurzer Zeit aufgetürmt wurde.

Auch Rheinpreußen ist ein Tafelberg, aber dieser Halde merkt man das weniger deutlich an als Pattberg oder Norddeutschland. Der Wechsel zwischen steilen und flacheren Hängen ist abwechslungsreicher gestaltet, ebenso die Vegetation: Wälder, Buschwerk und Rasenflächen sind hier auf eine fast „natürlich“ wirkende Weise gemischt. Als künstlerische Landmarke wurde hier das Geleucht von Otto Piene installiert, ein leicht heideggernder Name für eine überdimensionale Grubenlampe, die über eine Aussichtsplattform verfügt und nachts den Nordhang der Halde in rotes Licht taucht. (Landmarken, die buntes Licht verteilen, sind für eine moderne Halde fast so wichtig wie Himmelstreppen.) Interessanterweise wurde die Lampe nicht auf den höchsten Punkt der Halde gesetzt, sondern leicht unterhalb. Ein kleines Detail, dass den hügeligen Gipfel aber deutlich lebendiger und aufgelockerter erscheinen lässt.

MTB-Trail auf Rheinpreußen

Es lässt sich unschwer erkennen, dass Rheinpreußen beliebtes Ausflugsterritorium ist. Spaziergänger, Hundeausführer und natürlich Mountainbiker sind hier in großer Zahl unterwegs. Biker haben hier übrigens ein paar besonders interessante gestalterische Eingriffe vorgenommen: Auf einigen der Trails abseits des breiten Hauptwegs sind mit Leuchtfarbe Markierungspfeile angebracht, die eine Art Einbahnstraßenregelung nahelegen. Der Aufstieg sollte demnach über die Südseite genommen werden, die Abfahrt über den Nordhang. Mit Leuchtfarbe sind auch einige potenzielle Stolpersteine und Felsbrocken markiert, was vor allem in den schattigeren Abschnitten nützlich ist.

Auch die nächste Halde ist nicht weit weg, allerdings müssen wir wieder die Rheinseite wechseln: Nach der Abfahrt östlich halten und über die Autobahnbrücke der A42 über den Fluss. Hier führt die Route wieder am Rhein entlang, auf einem Deich, der zwei unterschiedliche Landschaften auseinander hält: Zur linken idyllische Flußauen, in denen Schafe grasen (sofern sie nicht zu ihrem deutlichen Mißvergnügen gerade geschoren werden), zur Rechten die gigantischen Installationen des Stahlwerks Bruckhausen. Nach kurzer Strecke hält der Weg auf einen kleinen Hügel zu: Unsere nächste Station.

Alsumer Berg und Kokerei Schwelgern

Alsumer Berg

Der etwa 50 Meter hohe Schutt- und Trümmerhügel am Rhein ist nicht nur eine kleine grüne Barriere gegen die andrängende Großindustrie, sondern auch ein Denkmal für einen verschwundenen Ort. Hier lag Alsum, ein kleines Fischernest, das um die Jahrhundertwende zum Kohleverladehafen ausgebaut wurde. Alsum, das „schöne Dorf am Rhein“, muss ein populärer Ort gewesen sein, der von der Duisburger und Hamborner gerne für Feiertagsausflüge aufgesucht wurde. Bergschäden führten jedoch zu einem Absinken des Geländes und zu häufigen Überflutungen, so dass der Hafen schon in den Zwanziger Jahren wieder aufgegeben wurde. Das Dorf selbst wurde im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört. Da das Gelände auch in den Nachkriegsjahren weiter sank, beschloß die Stadt Duisburg, den Ort aufzugeben und die Einwohner umzusiedeln.

Eine Entscheidung, die bei vielen Einwohnern mit Verbitterung aufgenommen wurde: Es gab den Vorwurf, das hinter der Entscheidung eher der der Expansionsdrang der benachbarten Industrie stand und nicht die vermeintliche Gefährlichkeit des Territoriums. Es dauerte auch bis in die Mitte der Sechziger Jahre, bis die Umsiedlung abgeschlossen war. (Dass heute einige der Industriebauten auf damals für unsicher erklärtem Gebiet stehen, sei nur nebenbei erwähnt.) Heute erinnert fast nichts mehr an Alsum, nur noch ein paar Straßennamen und der Hügel, der auf dem von der Industrie nicht beanspruchten Gelände aufgeschüttet wurde.

Kokerei Schwelgern

Der Hügel ist Landschaftsschutzgebiet, Fauna und Flora sind hier weitgehend sich selbst überlassen. 2003 wurde der dichte Baum- und Buschbewuchs allerdings etwas gelichtet. Einzige gestalterische Eingriffe sind eine geteerte Rampe, die auf die Anhöhe des Hügels führt, und eine Schotterpiste, die drei Aussichtspunkte verbindet. Von diesen Punkten guckt man wie aus einer Loge in die Industrieanlagen, die Alsum verschlungen haben. Vor allem der nördliche, mit einem Gipfelkreuz markierte Punkt, ist bemerkenswert: Hier schaut man direkt in das Gelände der Kokerei Schwelgern und kann sich ausgiebig mit dem undurchdringlichen Wald aus Rohren, Türmen, Schornsteinen, Brücken und Treppen beschäftigen: Eine rätselhafte Welt, in der man nur vereinzelt kleine, behelmte Gestalten sieht, und trotzdem zischt, raucht und lärmt alles so eindrücklich vor sich hin, dass man doch einen tieferen Sinn hinter diesem Chaos vermuten muss. Kein Wunder, dass dieser Platz bei Industriefotografen beliebt ist, die es hier den Bechers gleichtun wollen.

Unsere Route führt links um den Hügel herum, am Parkplatz „Alsumer Steig“ vorbei zur Alsumer Straße. Wer hier südwärts fährt, erreicht nach einigen hundert Metern den Matenatunnel, eine 400 Meter lange Unterführung unter dem Betriebsgelände des Stahlwerkes Bruckhausen, die einst eigens gebaut wurde, um der Alsumer Bevölkerung einen Anschluß an die Außenwelt zu bieten, von der sie durch die Industrie abgeschnitten wurde. (Tatort-Fans gehen den Tunnel aus der einen oder anderen Schimanski-Folge.) Wir fahren aber in nordöstlicher Richtung zum Schwelgernpark, ebenfalls ein Landschaftsbauwerk mit einer interessanten Geschichte: Hier befand sich früher das Mündungsgebiet der Emscher, aber die Bergsenkungen führten zu einem Rückstau des Rheins und ließen das Gelände versumpfen. Eine Verbesserung brachten erst aufwändige Flussbaumaßnahmen, die unter anderem die Mündung zehn Kilometer weiter nach Norden verlegten). In den Zwanzigern wurde der Schwelgernbruch trockengelegt und in eine Sport- und Grünanlage umgewandelt.

Der Schwelgernpark ist auch heute noch eine sehenswerte Parklandschaft und die wichtigste Grünanlage des dicht besiedelten Stadtteils Marxloh. Mit den Halden hat der Park zudem eines gemeinsam: Er ist ebenfalls ein Beispiel für die Bemühungen, landschaftliche Veränderungen, die durch den Bergbau ausgelöst wurden, umzugestalten und neuen Nutzungsmöglichkeiten zuzuführen. Hier ist es der Versuch, buchstäblich eine Oase zwischen Industrie und Wohnbebauung entstehen zu lassen, eine (nicht zu streng) geordnete Gartenlandschaft mit Sportplätzen, Freibad (nicht mehr existent), Spazierwegen und Ententeich. In den vergangenen Jahren hat man einige Instandsetzungen und Neubaumaßnahmen durchgeführt, die die Attraktivität des lange vernachlässigten Parks wieder erhöhen sollen. Unter anderem gibt es ein ganz nettes Dirt-Bike-Areal.

Ganz in der Nähe befindet sich übrigens die Marxloher Merkez-Moschee, eine der größten und vermutlich auch bekanntesten Moscheen in Deutschland. Die interessiert uns aber heute nicht. Unsere Route führt in östlicher Richtung nach Oberhausen, wobei wir an zwei Abschnitten entlang begradigter Wasserläufe fahren: Zunächst an der sogenannten Kleinen Emscher, die noch einen Hinweis auf den alten Verlauf des Flusses gibt, kurz danach entlang der nordwärts verlegten Emscher selbst. Einige Uferabschnitte sind in den vergangenen Jahren renaturiert und begrünt worden, die Emscher muss sich allerdings nach wie vor in ein kanalartiges Bett zwängen.

Weiter geht es quer durch das Gelände der „Neuen Mitte“, Oberhausens ehrgeizigem Innenstadtprojekt, über dessen Erfolg man geteilter Meinung sein darf. Am Tag unserer Tour ist die Mitte jedenfalls Treffpunkt einer großen Menge weiblicher Teenager. Keine Ahnung, wer heute hier zu Besuch ist, aber dem Kreischpegel nach muss er jung, männlich und gutaussehend sein. Wir überlassen die Teenies ihrenm lautstarken Schwärmen, fahren weiter durchs Gewerbegebiet und erreichen hinter der Bahnlinie schließlich die letzte Halde dieser Tour.

Knappenhalde

Knappenhalde

Die Knappenhalde gehört zu den ältesten bestehenden Halden im Ruhrgebiet. Ursprünglich eine Spitzkegelhalde, ist ihre Form über die Jahre deutlich abgerundet worden, unter anderem deshalb, weil sie nach dem Krieg auch als Trümmerhalde genutzt wurde. Schon in den Fünfziger Jahren begann die Begrünung und Renaturierung der Halde, aber erst in den 80ern wurde sie mit Spazierwegen für die öffentliche Nutzung erschlossen. (Ein bemerkenswerter Kontrast zur Highspeed-Realisierung des Angerparks.) Sie ist bis zum Gipfel dicht bewaldet, oben gibt es nur eine kleine Freifläche, auf die man einen einfachen, stählernen Aussichtsturm gestellt hat. Dessen Plattform wird inzwischen allerdings von den Kronen der umstehenden Bäume fast komplett überragt, so dass man nur noch nach Westen einen ungehinderten Blick hat. Von dort sieht man vor allem die Neue Mitte mit Gasometer und CentrO, die „Alte Mitte“ Oberhausens rund um Bahnhof, Grillopark und Rathaus, und am Horizont einige der herausragenden Halden des westlichen Ruhrgebiets: Haniel, Rheinpreußen und Pattberg.

Neue Mitte und Gasometer

Die Knappenhalde ist auch eine der ersten Halden, die künstlerisch gestaltet wurden, aber das ist hier sehr zurückhaltend geschehen: In den Weg zum Gipfel sind einige Pflastersteinmosaike von Werner Philip Klunk eingelassen, die als Zeichensystem zur Geschichte des Bergs und des umliegenden Viertels gelten sollen. Westlich des Gipfels steht, inmitten dichter Brennesseln, eine rostige Stahlskulptur, die vermutlich ebenfalls von Klunk stammt. Zurückhaltend ist überhaupt ein angemessenes Wort für die Knappenhalde: Sie ist ein beschaulicher Ort, trotz der Nähe zur Neuen Mitte. Keine Landmarke und keine Eventhalde mit spektakulärem Freizeitwert, sondern eher ein Ruhepol mitten in der Stadt. Das munter plaudernde Trüppchen türkischer Frauen, das uns auf dem Spazierweg begegnet, weiß das aber ganz offensichtlich zu schätzen.

Für uns geht es aber rasant talwärts (wobei die nicht ungefährlichen Abflussrinnen umfahren werden müssen), und dann über den John-Lennon-Platz und Grillopark zum Bahnhof Oberhausen. Damit endet die zweite Tour über die Ruhrhalden. Vielleicht gibt’s zum Ende der Woche noch eine dritte, bevor wir uns wieder anderen Themen zuwenden.

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