Ruhrhalden-Tour III


Halde Hoheward

Die dritte (und vorerst letzte) Runde über die Halden der Ruhr fand parallel zu einer der „Flagschiff“- oder „Leuchturm“-Veranstaltungen des Kulturhauptstadtjahrs statt. Im Rahmen der Aktion SchachtZeichen stiegen eine Woche lang über ehemaligen Zechenstandorten kleine gelbe Heißluftballons auf. „Bis zu 350 Ballons“ sollten es nach Auskunft der Veranstalter sein, die „bis zu 80 Meter hoch über den ehemaligen Schächten“ im Wind schwebten und wie Stecknadelköpfe auf einer Landkarte „die Orte, an denen alles begann“, sichtbar machen sollten.

Eine Aktion mit großem logistischen Aufwand, die an vielen Orten zu einem fröhlichen Ehemaligen-Treffen geriet und mit Würstchenbuden und Biertischen zu kleinen Volksfesten umfunktioniert wurde, anderswo nutzten neuangesiedelte Firmen die Gelegenheit zu PR-Präsentationen. Die öffentliche Resonanz war ausgesprochen positiv. Und auch wenn das besondere Verhältnis der Ruhrpöttler zu ihrer Vergangenheit schon zum Klischee geworden ist, muss man doch immer wieder verblüfft registrieren, dass das Klischee wirklich Substanz hat: Ich kenne wenige Regionen, wo Neugier und Bereitschaft, sich mit der eigenen Vergangenheit und ihren Spuren auseinanderzusetzen, so umfassend und breitflächig gegeben sind wie hier an der Ruhr. Da spielt sicher viel verklärte Nostalgie eine Rolle, aber auch das Wissen, dass der beschworene Strukturwandel nicht so reibungs- und bruchlos vonstatten geht, wie die Politik das gerne möchte.

Halde General Blumenthal

Auch die Halden spielten für die SchachtZeichen natürlich eine besondere Rolle: Die prominentesten Landmarken wurden gezielt als Aussichtspunkte inszeniert, als hauntologische Höhen sozusagen, um die Spuren einer verschwindenden beziehungsweise umdefinierten Landschaft in den Blick zu nehmen. Leider klappte nicht alles so wie geplant: Schlechtes Wetter, Vandalismus, die eine oder andere technische oder organisatorische Panne zeigten, dass nicht nur der Strukturwandel, sondern auch seine Symbolik nicht so einfach zu inszenieren ist. Auch am Tag unserer Tour mussten einige der Schachtzeichen am Boden bleiben, weil der Wind über dem Ruhrgebiet zu stark war. Wer will, kann darin auch eine Art Symbolik sehen. Dabei hatten wir die Route durchaus so gelegt, dass einige mögliche Aussichtspunkte auf dem Weg lagen. Andererseits lag das Interesse auf dieser Tour ein bisschen anders:Je länger man sich mit den Halden beschäftigt, um so neugieriger wird man auch darauf, nicht nur die prominenten Landmarken zu finden, sondern auch weniger bekannte, vergessene oder gar verschwundene Orte, die eine andere Auskunft geben über das, was mit den Restbeständen des Bergbaus und der Industrie geschieht.

Startpunkt war der Bahnhof Wattenscheid. Fährt man von hier aus in westlicher Richtung, kommt man sehr schnell – nach dem man erst mal ein etwas lästiges Gewerbegebiet durchmessen hat – in eine erstaunlich wenig urbane, sehr landwirtschaftlich geprägte Gegend. Auch die ersten Wohngebiete, die auf der Strecke liegen, haben ein eher kleinstädtisches Flair. Nur das Rauschen des nahegelegenen Ruhrschnellwegs erinnert einen daran, dass man sich in einem dicht beanspruchten Gelände befindet.

Mechtenberg

Die erste Erhebung auf der Route ist im Grunde ein Etikettenschwindel: Der Mechtenberg in Essen ist selbstverständlich keine Halde und keine Deponie, sondern ein auf natürlichem Weg entstandener Hügel. Aber er passt trotzdem in als Vergleichsobjekt in diese Reihe, schließlich zeigt er, dass das Bemühen, weithin sichtbare Punkte als politisch oder kulturell besetzte Landmarken zu gestalten, keine neue Erfindung ist. 1900 wurde dem Mechtenberg ein Bismarckturm obendrauf gesetzt, eines von Dutzenden Denkmalen in Deutschland, die dem preußischen Kanzler (alternativ auch gerne gleich dem Kaiser) gesetzt wurden. Es gibt ambitionierte Bauwerke darunter, bizarre oder extravagante Variationen. Der Essener Bismarckturm ist einfach ein schwarzer, unpraktischer Schornstein, der so wirkt, als habe man sich hier eher einer lästigen Pflichtaufgabe entledigt als einer ästhetischen Herausforderung.

Mechtenberg

Auf ganz natürlichem Wege ist die heutige Gestalt des Mechtenbergs übrigens auch nicht zustande gekommen: Während rings um ihn herum die Halden und Deponien in die Höhe wuchsen, büßte er aufgrund von Bergsenkungen gut 15 Meter Höhe an und ragt heute nur noch 84 Meter über den Meeresspiegel. Zu Füßen des Mechtenbergs erstreckt sich der nach ihm benannte Landschaftspark, ein immerhin 290 Hektar großes Gelände, dass auch die von uns schon besuchte Halde Rheinelbe einschließt und eine ehemalige Deponie am Nattmannsweg. Das Areal wurde mit großem Aufwand zu einer weitläufigen und sehr vielseitigen Landschaft umgestaltet. Frei Otto, Architekt des Münchner Olympiastadions, entwarf einige der sehenswerten Brückenbauwerke, zum Beispiel für den wunderbaren Radweg, der entlang der Strecke der ehemaligen Kray-Wanner-Bahn angelegt wurde. Von der Aussichtsplattform neben dem Bismarckturm kann man das alles sehr schön überschauen – nur ein Schachtzeichen entdecken wir leider nicht.

Also entfernen wir uns auf dem alten Bahndamm vom Mechtenberg und fahren ziemlich genau in nördöstlicher, später nördlicher Richtung nach Herne, bis am Horizont der beeindruckende Förderturm der Zeche Pluto auftaucht.

Halde Pluto und Thyssenhalde

Die Zeche Pluto war nicht nur eine der bedeutendsten Zechen des Ruhrgebiets, sondern hat es auch zu prominenten literarischen Ehren gebracht: In Günter Grass’ Hundejahren hat Protagonist Matern einen guten Grund, um über die „Zechennamen, die auch als Hundenamen taugen [können]“ zu meditieren, will er doch den Straßenköter, der ihm zugelaufen ist, beim Namen nennen können. Einen passenden findet er „hier, wo die Abzweigung mit rostigen Schienen und Unkraut hin will“: Da „liegt unter altmodisch knickbeinigem Förderturm, halbzerbombt und stillgelegt, jene Zeche Pluto, die dem schwarzen Schäferhundrüden Pluto den Namen gab.“

500

Das Areal der Zeche erstreckt sich rechts der alten Bahnstrecke, und nicht zu übersehen sind die großen künstlichen Hügel, hinter denen der Förderturm aufragt. Es ist nicht ganz einfach, sich über die Topographie dieses Geländes zu informieren. Die meisten Karten, die über das Internet verfügbar sind, verzeichnen hier gar nichts. Nur das Kartenmaterial, auf dem der Radroutenplaner des Landes Nordrhein-Westfalen basiert, weist hier ein Naturschutzgebiet aus und einen Namen: „Berghalde Pluto-Wilhelm“. Tatsächlich liegen hier dem Namen nach zwei Halden nebeneinander. Nur der östliche Teil ist eine Bergehalde, die eigentliche Halde Pluto. Der westlichere Teil dieses Haldenkomplexes ist die Thyssenhalde, eine Deponie für Gichtgasschlamm, also hochgiftigen Resten der Stahlproduktion.

Halde Pluto

Auf der Thyssenhalde wird ganz eindeutig noch gearbeitet, aber giftige Abfälle werden hier nicht mehr entsorgt, sondern es geht – wie ein Artikel aus der WAZ erläutert – um die Altlastensanierung und um die Zurichtung der Halde als „modellierten Grünhügel“, der spätestens 2011 „als Grünfläche zur Verfügung stehen soll“, als „Pantoffelgrün“ in fußläufiger Entfernung der umliegenden Wohnviertel. Die Maßnahmen sind sicher notwendig zur Eindämmung der ökologischen Folgeschäden, aber sie beenden vermutlich auch den Dämmerzustand dieses vergessenen Areals. Sowohl die Plutohalde als auch die toxische Thyssenhalde haben sich in den vergangenen Jahren zu erstaunlich Biotopen entwickelt, und natürlich ist das ein Resultat der Vernachlässigung, der beide Deponien anheimgefallen waren.

Für die Plutohalde gibt es sogar schon seit langem ein Konzept zur Umwandlung der Halde in einen Landschaftspark: Die Stadt Herne listet sie auf ihrer Website ganz tapfer unter ihren Parkanlagen. Tatsächlich ist der Status Quo des Geländes aber etwas rätselhaft. Es ist zwar nicht wirklich abgeriegelt, die wenigen Zugänge sind jedoch sehr versteckt und schwer zu finden. Landschaftsgestalterische Eingriffe kann man an vielen Stellen der Halde entdecken: Terrassierte Wege, Spuren gezielter Bepflanzung und ähnliches. Irgendwann scheinen die Rekultivierungspläne aber ebenfalls auf Halde gewandert zu sein, und das haben Flora und Fauna für einen fröhlichen Eroberungsfeldzug genutzt. Hier und da sieht man Reste eines Lagerfeuers, Reviermarkierungen von Pluto oder seinen Artgenossen, und Mountainbike wird hier auch gefahren.

Auf Halde Pluto

Aber alles in allem ist die Halde Pluto natürlich ein wunderbares Gelände, gerade wegen ihres Wildwuchses: Man hat das Gefühl, eine Art Indianerreservat zu betreten: Einen mythischen, nur halb legalen Ort, an dem man selbst auch nur geduldet ist und eigentlich ganz andere Kräfte einen Anspruch haben. Und der Ausblick, das muss man natürlich der Vollständigkeit halber sagen, ist natürlich auch von hier oben sehr sehenswert. Nur leider an diesem Tag auch völlig schachtzeichenfrei.

Also weiter. Nördliche Grenze der Pluto- und Thyssenhalde bildet der Emscherschnellweg, die A42. Gleich auf der anderen Seite liegt ein weiteres, ehemaliges Zechengelände, nämlich das der Zeche Unser Fritz. Der Malakoff-Turm von Schacht 1/4 ist eine beeindruckende historische Landmarke, das Areal drumherum ist ebenfalls als Grünanlage gestaltet worden. In der alten Schachtanlage 2/3 gibt es außerdem ein Künstlerzentrum, die Künstlerzeche Unser Fritz. Unsere Route nimmt aber weiter den nördlichen Weg, vorbei am alten Ruhr-Zoo, der jetzt leider Zoom Erlebniswelt heißen muss, was den Insassen aber wenig auszumachen scheint. Ein kurzes Stück ostwärts am Rhein-Herne-Kanal entlang, und dann sind auch schon die nächsten Etappenziele in Sichtweite.

Halde Hoppenbruch

Mit der Halde Hoppenbruch erreicht man nicht nur einen künstlichen Berg, sondern fast ein ganzes Mittelgebirge. Zusammen mit der benachbarten Halde Hoheward bildet sie die „größte Haldenlandschaft in Europa“, wie die Stadt Herten stolz verkündet. Im Grunde könnte man noch die unmittelbar westlich gelegene Deponie Emscherbruch mit einbeziehen, die zwar nicht zugänglich, aber mittlerweile auch auf beachtliche Größe angewachsen und von renaturiertem Grün überzogen ist: Auf engstem Raum stehen hier also einige beachtliche künstliche Gipfel nebeneinander.

Halde Hoppenbruch

Der Hoppenbruch gehört zu den ersten Halden, die gezielt als „Landschaftsbauwerk“ angelegt wurden (übrigens von den gleichen Landschaftsplanern, die auch das ad acta gelegte Konzept für die Halde Pluto entwickelten). Die harten Konturen der Tafelberge wurden hier vermieden, Hoppenbruch hat bereits weichere und fließendere Formen, zwei richtige Gipfelkuppen, viel Wald und Buschwerk und ein labyrinthisches Netz aus breiten Wegen und kleinen Seitenpfaden. Im Unterschied zur pompöser angelegten Nachbarhalde Hoheward ist das hier ein beschaulicherer Ort, der einem individuellere Wege der Erkundung und Erwanderung nahezulegen scheint. Die „Landmarke“, die den Hauptgipfel krönt, ist da fast schon ein bisschen überdimensioniert: Ein großer Windgenerator, kein künstlerisches Monument also, sondern ein ökonomisches und technisches, dessen zukünftige Bedeutung durch ein paar verwegen gestaltete Schautafeln erläutert wird. Ansonsten ist hier viel Platz für Spaziergänger, Jogger, Nordic Walker und natürlich Mountainbiker, die vor allem die Wege um den Südgipfel zum Dirt-Bike-Areal ausgebaut haben.

Halde Hoheward

Wer die spektakulären Schauwerte sucht (und die noch immer nicht aufgetauchten Schachtzeichen), muss sich nach der rasanten Abfahrt vom Hoppenbruch auf den zähen Anstieg hinauf zur Halde Hoheward machen. Die gehört mit dem vor zwei Jahren errichteten Himmelsobservatorium auf dem Gipfel schon zu den dominierenden Fixpunkten im Landschaftsbild des Ruhrgebiets. Auf der Westseite der Halde wird noch geschüttet, das Wegenetz ist vor allem auf der östlichen Hälfte ausgebaut: Breitere „Balkonwege“, die gezielt auf Panoramawirkung angelegt sind, und schmalere, z.T. sogar barrierefreie Seitenwege, die berganführen. Außerdem gibt es eine bergaufwärts führende Straße, die zwar nicht öffentlich freigegeben ist, aber ein großer Reisebus hat es tatsächlich nach oben geschafft. Während auf dem Hoppenbruch fast niemand unterwegs war, ist hier einiges los: Viel buntes Volk, quer durch Generationen und Nationalitäten, deutsche, russische und türkische Sprachfetzen schwirren durcheinander. Einige Menschen sind mit Ferngläsern bewaffnet und suchen den Himmel nach Schachtzeichen ab, aber vergeblich: Einige Zechentürme sind von hier oben zu sehen, aber kein einziger gelber Heißluftballon.

Halde Hoheward

Das Panorama ist auch ohne diese Farbtupfer spektakulär. Angeblich soll man bei guter Sicht bis zum Rheinturm in Düsseldorf schauen können. Das ist heute zwar nicht drin, aber der Blick scheint tatsächlich das gesamte Ruhrgebiet erfassen zu können, und die wechselhafte Bewölkung schafft dazu noch eine ganz eigentümliche Light-Show. Man kann durchaus verstehen, warum die beiden Landmarken, die hier installiert wurden (auch Hoheward hat eine Art Doppelgipfel), auf den Himmel bezogen sind: Auf dem südlicheren Plateau befindet sich eine Sonnenuhr mit einem Obelisk, auf das nördlichere wurde das schon erwähnte Obervatorium gebaut.

Halde Hoheward

Die Sonnenuhr ist ganz nett, könnte aber bei schlechter Laune auch mit der irrtümlich verpflanzten Platzgestaltung einer durchschnittlichen deutschen Kleinstadt verwechselt werden. Das Observatorium dagegen ist in der Tat ein erstaunliches Monument: Ein Versuch, durch eine grandiose Kreuzung aus Futurismus und Mystik zu beweisen, dass auch die Wissenschaft ein staunendes Schaudern auslösen kann. Diese öffentlich zugängliche astronomische Beobachtungsstätte zitiert bewusst prähistorische Vorbilder wie Stonehenge oder Goseck, die auch in esoterischen Zirkeln gerne in Anspruch genommen werden, will die Faszination aber gezielt in volkspädagogische und populärwissenschaftliche Kontexte überführen. Verantwortlich dafür ist ein Verein, hinter dem u.a. die Ruhr-Universität in Bochum und die Volkssternwarte in Recklinghausen stehen und der die Möglichkeiten des Observatoriums für Veranstaltungen und ähnliches nutzen will.

Leider hat die Realität den Plänen auch vorerst einen leichten Strich (oder vielmehr: einen geschwungenen Bogen) durch die Rechnung gemacht: Weil der sogenannte Äquatorbogen Risse aufweist, ist das Gelände unmittelbar unter dem Observatorium bis auf weiteres gesperrt und der Bogen provisorisch durch Stahlpfeiler gestützt. Das schmälert den ästhetischen Reiz doch etwas, und ich würde mich nicht wundern, wenn einige der Besucher die grandiose Konstruktion für eine Festivalbühne im Winterschlaf halten.

Horizontobservatorium

Man mag auch diese Schwierigkeiten in der Umsetzung eines grandiosen Plans für symbolträchtig halten, wie auch die Probleme der sogenannten „Drachenbrücke“, einer comic-artigen Fußgängerbrücke im Osten der Halde, die 1,5 Millionen Euro kostete und deren Fertigstellung die eingeplante Zeit weit überschritt, weil unter anderem die Baukosten „durch den erhöhten Weltmarktpreis für Stahl“ in die Höhe stiegen, wie Wikipedia weiß. Ach ja, und eine Himmelstreppe – die hier „Himmelsstiege“ heißt – gibt es natürlich auch auf Hoheward. Eigentlich fehlt nur noch, dass der Name der Halde in irgendeiner originellen Typographie geschrieben werden müßte: Denn Hoheward ist die Halde als Mega-Dome und Themenpark, spektakulär und beeindruckend, aber man vermisst ein wenig die Nischen und Ritzen, in denen sich Unerwartetes einnisten könnte. Und Schachtzeichen waren von hier oben auch nicht zu sehen.

Halde General Blumenthal

Wenden wir uns bescheineren Dimensionen zu: Die nächste Hälfte der Tour führt an einigen ehemaligen Halden vorbei, die nicht so auffällig sind. Wir fahren in weiten Schwüngen auf der Nordseite der Halde talwärts und dann auf ruhigen Seitenstraßen nordwärts in Richtung Recklinghausen. Südlich des Stadtzentrums liegt das Gelände der früheren Zeche General Blumenthal. Nur noch wenige Gebäude sind übrig geblieben, die Kommune plant hier einen kleingeschriebenen, aber großangelegten zukunftspark blumenthal-saatbruch, wie man den angestrebten „Nutzungsmix“ aus Gewerbe, Wohnbebauung und Freizeitangeboten getauft hat. Östlich der ehemaligen Betriebsanlagen liegt die Halde der Zeche (nicht zu verwechseln mit der fast gleichnamigen Halde „General Blumenthal 8“, die zum gleichen Zechenkomplex gehörte, aber weiter nördlich in Oer-Erkenschwick liegt). Ihre Dimensionen wirken, wenn man gerade von der größten Haldenlandschaft Europas kommt, fast lachhaft: Gerade mal 15 Meter ist sie hoch, und wie Halde Pluto ein fast völlig vergessenes Areal. Industrie- und Gleisanlagen trennen sie vom Rest der Stadt, und so hat sich hier eine „Waldlandschaft aus Birken und anderer Pioniervegetation“ entwickelt.

General Blumenthal

Der Großteil dieser Halde ist geschütztes Gelände im Besitz des Emscherverbandes und kann nicht betreten werden. Im Norden des Areals ist ein kleiner, bescheidener Landschaftspark mit ein paar Spazierwegen angelegt worden, über die man zumindest ein paar stichprobenartige Vorstöße vornehmen und das chaotische Grün bewundern darf. Ob dieser kleine städtische Urwald auch im zukunftspark noch einen Platz haben wird, muss man sehen. Die Stadt wünscht sich eine „innerstädtische Grünverbindung“, die westlich und östlich der Halde liegende Grünflächen zusammenführt und nimmt die Halde General Blumenthal zumindest auf dem Papier schon mal in die Pflicht: Die Tage sorglosen Dahinwucherns sind demnächst vorbei, bald hat sie „neben ihren ökologischen, klimatischen und hydrologischen verstärkt auch Erholungsfunktionen [zu] erfüllen“. Angesichts dieser zukünftigen Zweckbestimmungen wiegen sich die Birkenstämme schon etwas melancholisch im Wind. Kein Schachtzeichen begleitet sie dabei im Takt.

Wir schlagen einen weiten Bogen im Osten um den Stadtteil König Ludwig, benannt nach der gleichnamigen Zeche im Osten des Viertels, die ihren Namen natürlich vom bayrischen König hat. Die stillgelegte Strecke der Zechenbahn ist heute ebenfalls zu einem wunderbaren Radweg ausgebaut. Wir passieren das Zechengelände, treffen dort auf ein paar etwas frustrierte, trotzdem noch einigermaßen gut gelaunte Schachtzeichen-Helfer und sehen auch tatsächlich den ersten richtigen Heißluftballon. Er hängt ziemlich nutzlos am Boden, zwischen den alten Zechengebäuden, und wartet auf bessere Windverhältnisse. Wir bewundern stattdessen die ehemalige Pechhalle der Zeche, ein ausgeweidetes Betonskelett, in dem einige Jugendliche gefährlich anmutende Kletterübungen veranstalten. Auch König Ludwig hat eine Halde hinterlassen, direkt an der ehemaligen Bahnlinie, aber sie ist eingezäunt und kann nicht genauer begutachtet werden.

Zeche König Ludwig

Voßnacken

Die ehemalige Bahnstrecke führt uns wieder ans Ufer des Rhein-Herne-Kanals, dem wir ein kurzes Stück folgen, bevor wir uns südwärts wenden und westlich am Herner Stadtteil Horsthausen vorbeifahren. Hinter der Bahnlinie schlagen wir einen eleganten Bogen östlich um das Naturschutzgebiet Voßnacken: Auch das ist ehemaliges industrielles Brachland, bis in die Achtziger Jahre wurde das Areal als Halde und Deponie genutzt. Davon sieht man kaum noch noch etwas: Das Gebiet erhebt sich kaum mehr als fünfzehn Meter über das Umfeld und ist von einem dichten Urwald bewachsen. Bergsenkungen haben außerdem einen kleinen Weiher entstehen lassen, der unter anderem eine der größten Erdkrötenpopulationen in Nordrhein-Westfalen beherbergen soll. Auch den Voßnacken darf man nicht betreten, für Zuwiderhandlungen wird mit Strafen bis zu 50.000 Euro (!) gedroht.

Voßnacken

Mont Cenis

In Sichtweite des Voßnacken erhebt sich die Anhöhe der ehemaligen Zeche Mont-Cenis. Der französische Name ist selbst in der bunten Nomenklatur der Ruhr-Zechennamen ungewöhnlich, aber er stammt von den südfranzösischen Investoren, die das Zechengelände im späten 19. Jahrhundert erwarben. Dort steht heute der spektakuläre Glaskasten der Akademie Mont Cenis, entworfen von Jourda & Perraudin, dessen gläserne Klimahülle „ein mediterranes Klima ähnlich dem in Nizza“ erzeugt. Das ist nicht als ironischer Kommentar zur Klimaerwärmung gemeint, sondern ganz ernst: Auf dem Dach des Gebäudes befindet sich eine Solaranlage, die nach Auskunft der Akademie die größte in einem Gebäude integrierte Anlage der Welt ist. Das Zechengelände ist außerdem Standort eines Energieparks, in dem ausser Solarenergie auch Strom aus Grubengas erzeugt wird – eine späte, energetische Nachnutzung der Zeche, deren Kohleförderung seit 1978 stillgelegt ist.

Akademie Mont-Cenis

Vor der Akademie stehen übrigens einige Stelen, die wie Ruinen eines römischen Tempels anmuten. Sie stammen von Herman Prigann, der auch Himmelstreppe und Skulpturenpark auf Rheinelbe gestaltet hat. Als Haldenforscher wird man hier nur am Rande fündig, wenn man die Abschüssigkeit des Geländes nordwestlich der Halde bemerkt. Auch hier ist der Höhenunterschied kaum erwähnenswert, aber scheinbar scheint er doch genug Aufwind für ein paar Kinder zu produzieren, die hier einen Drachen steigen lassen. Ein Schachtzeichen entdecken wir allerdings auch auf Mont Cenis nicht.

Also weiter südwärts. Wir berühren kurz den Gysenbergpark und halten uns dann, wiederum auf einer ehemaligen Bahntrasse, in südöstliche Richtung. So erreichen wir ein weiteres ehemaliges Zechengelände, nämlich

Constantin

Zeche Vereinigte Constantin der Große, um vollständig zu sein. In der seltsamen Nomenklatur der Zechenwelt durften zwischen Göttern, adligen Kriegshelden und exotischer Geographie auch die antike Prominenz nicht fehlen. Unsere Route führt durch den Constantinpark, der sich auf dem Gelände der früheren Schachtanlage 4/5 befand. Auch hier gab es eine Abraumhalde, aber die wurde hier abgeräumt und sozusagen modellierend auf das Areal verteilt. Entstanden ist eine sanft gewellte, abwechslungsreiche Parklandschaft, der man ihren künstlichen Charakter gar nicht mehr anmerkt, zumal sie fast bruchlos in die natürlichen Ausläufer des Ardeygebirges übergeht. Wir fahren durch Wald- und Wiesengebiete, an Reiterhöfen vorbei und über die A43 Richtung Süden. Und da sehen wir tatsächlich erstmals kurz hinter einem Waldstück einen gelben Heißluftballon aufblitzen: Das erste Schachtzeichen des heutigen Tages.

Constantin-Park

Tippelsberg

Die letzte Landmarke des heutigen Tages liegt gleich hinter der Autobahn: Der Tippelsberg in Bochum. Und hier schließt sich sozusagen auch thematisch der Kreis dieser Tour. Denn auch der Tippelsberg ist – wie der Mechtenberg – eigentlich eine natürliche Erhöhung. Allerdings wurde bei den 150 Metern, die er heute über dem Meeresspiegel mißt, deutlich nachgeholfen: Die Höhe erreicht er durch einen Schüttkegel aus Bau- und Bodenschutt, der vor allem beim Bau der Bochumer U-Bahn anfiel und hier deponiert wurde. Auch hier wurde der Gipfel als Landmarke gestaltet, wobei man sich offenbar mit den Anwohnern verständigt hat.

Tippelsberg

Tatsächlich hat der Tippelsberg ein fast nachbarschaftliches Flair: Es ist einiges los hier oben, und die gut gelaunte Stimmung ist fast der abendlichen Laune auf einer italienischen Piazza vergleichbar. Die aufgebauten Schautafeln, die in launigem Ton von lokalen Legenden und Gegebenheiten berichten, erinnern eher an das beschauliche Interieur eines Vereinsheims oder einer Grundschule. Und die Aussicht ist natürlich auch hier oben sehenswert, weit schaut man über das mittlere Ruhrgebiet und wenn man ein bisschen schielt, sehen die Schornsteine fast ein wenig wie Zypressen aus. Und siehe da: Gleich neben dem Berg steigen auch tatsächlich zwei Schachtzeichen in die Höhe, erst zögerlich, aber dann doch mit Nachdruck, als Schlusspunkte für einen weiteren Tag auf den Halden.

Schachtzeichen

Eine Antwort

  1. […] wir also diesen phantomhaften Raum, vorbei unter anderem an der Haldenlandschaft in Herten, der früheren Zeche Unser Fritz (heute ein Kunstzentrum) und dem beeindruckenden Kraftwerk Baukau, […]

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