Am Wochenende waren die Bratschistin an meiner Seite und ich auf der Kölner Kinopremiere von Kinshasa Symphony, einem Dokumentarfilm über ein Sinfonieorchester aus der kongolesischen Hauptstadt. Der Film lief hier im Rahmen des Festivals Jenseits von Europa, das sich in diesem Jahr dem afrikanischen Kino widmet – eine vielleicht etwas kuriose Verbindung, denn als deutsche Produktion steht Kinshasa Symphony ja eher für einen europäischen Blick auf Afrika und nicht unbedingt für eine Perspektive, die jenseits unseres Tellerrands zu Hause wäre. Auch der Inhalt des Films klingt auf den ersten Blick nach einem klassischen europäischen oder wenigstens westlichen Leitmotiv, wie man es aus unzähligen Sport- und Musikdokumentationen kennt: Kunst und Kultur als romantisches Refugium, in dem sich auch Underdogs durchsetzen können, wenn sie nur leidenschaftlich, engagiert oder authentisch genug zu Werke gehen.
Auch in Kinshasa Symphony geht es darum, ein gestecktes Ziel zu erreichen – ein Konzert, das am Unabhängigkeitstag des Kongo aufgeführt werden soll -, aber glücklicherweise vermeidet der Film eine allzu simpel gestrickte Dramaturgie. Stattdessen räumt er den Musikern und Musikerinnen, die er porträtiert, viel Raum und Zeit ein, lässt sie ihr Leben, ihre alltäglichen Existenzbedingungen und Widrigkeiten beschreiben, aber auch ein bemerkenswertes Selbstbewusstsein in der Auseinandersetzung mit der klassischen Musik an den Tag legen, das sich vom Konzertbeamtentum vieler Klangkörper in unseren Breitengraden erfreulich unterscheidet.
Und auch die Szenen, die die Menschen ganz einfach bei der Arbeit zeigen, in der Diskussion mit Freunden und Verwandten, beim Selbermachen und –reparieren der Instrumente oder beim Anspielen gegen das Verkehrschaos der Hauptstadt, sind ganz großartig und bewegend. Die Do-It-Yourself-Attitüde, mit der die Musiker alle Aspekte ihres Orchesters organisieren, hat durchaus eine Verwandschaft mit dem trotzigen Geist, der Punk oder Hip-Hop oder ähnliches mal ausgezeichnet hat. Das Zitat eines Geigers, bei Beethoven könne man auch afrikanische Rhythmen hören, wird vom Publikum zwar mit Gelächter quittiert, aber im Grunde ist das ja genau die richtige Haltung, nämlich eigene Zugänge und Verbindungswege zu den Dingen aufzubohren, mit denen man sich beschäftigen will. (In der anschließenden Diskussion nach dem Film konterte Armand Diangienda, der Dirigent des Orchesters, die Kritik eines afrikanischen Zuschauer, warum man überhaupt europäische und nicht afrikanische Musik spiele, mit dem Argument, dass es ihm zunächst einfach darum gehe, die Funktionsweise der Instrumente zu verstehen: Die klassische Literatur sozusagen als Bedienungsanleitung, die man erst mal ausprobiert, bevor man sich ans eigene Hacken macht.)
Ein durchaus sehenswerter Film also, aber doch einer, der ein etwas zwiespältiges Gefühl hinterlässt. Schade ist nämlich, dass der Film den Hintergrund des Orchesters nur kursorisch streift. Tatsächlich handelt es sich nicht, wie ein oberflächlicher Betrachter vielleicht glauben könnte, um eine Ad-hoc-Zusammenkunft einiger musikbegeisterter Menschen: Das Orchestre Symphonique Kimbanguiste ist vielmehr Teil einer religiösen Bewegung, die im Kongo immerhin mehrere Millionen Mitglieder zählt, nämlich des Kimbanguismus. Dirigent Armand Diangienda ist in dieser Bewegung nicht nur ein Mitglied unter vielen, sondern – als Enkel des Gründers und „Propheten“ Simon Kimbangu – ihr spiritueller Kopf.
Nun weiß ich so gut wie nichts über den Kimbanguismus, aber schon ein oberflächlicher Blick über einschlägige Webseiten zeigt schon, dass es sich um eine religiöse Bewegung handelt, die ganz konkrete ethische, moralische und lebenspraktische Richtlinien formuliert. Er ist zudem eine Bewegung, die aus der Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus entstanden ist und christliche Inhalte mit einem ausgeprägten afrozentrischen Aspekt versieht, und seit Mobutus Regime ist der Kimbanguismus nicht zuletzt so etwas wie die inoffizielle Staatsreligion des Kongo. Damit bewegt er sich in einem komplexen politischen und ideologischen Spannungsfeld, das mit Sicherheit auch Konsequenzen für das musikalische und soziale Miteinander der Orchestermitglieder hat. Auf der eigenen Website macht das Orchester kein Hehl daraus, dass man sich als eine Art Repräsentant und Showcase nationaler und religiöser Wertvorstellungen sieht.
Da hätte man durchaus zumindest einen Seitenblick auf die inhaltlichen und strukturellen Verflechtungen des Orchesters und seiner Arbeit werfen können. Der Film lässt diesen Aspekt aber weitgehend außer Acht: Es gibt zwar eine längere Sequenz, die eine Parade paramilitärisch uniformierter Kinder und eine Art Predigt oder Ansprache von Diangienda zeigt, ohne diese. Eher repliziert die Kamera den befremdeten Blick eines europäischen Zuschauers, der die zackigen Kinder mit dem gleichem Amüsement anschaut wie, sagen wir, die spacigen Kostüme amerikanischer Funk-Bands in den Siebzigern.
Das ist nicht nur deswegen ärgerlich, weil es unterm Strich die Rolle des Orchesters auf ein für die Unterhaltungsindustrie erträgliches Maß reduziert. Es entspricht auch der Arroganz eines westlichen Blicks, der afrikanische (und afroamerikanische) Kunst nur als ästhetisches Phänomen wahrnehmen will, aber nicht den ideologischen Über- und Unterbau dahinter – sei es, weil den Künstlern rundweg die Fähigkeit abgesprochen wird, überhaupt so etwas wie einen solchen Überbau zu produzieren, sei es, weil dieser Überbau zwangsläufig auf koloniale und postkoloniale Verstrickungen verweist.
Ein europäischer Film, der von einem afrikanischen Orchester erzählt, das klassische europäische Musik spielt, der aber dabei die Gründe ignoriert, die vom einen zum anderen führen, hat darum etwas von einer aufoktroyierten Versöhnung. Und sowas führt gerne dazu, die politische Bevormundung durch eine kulturelle abzulösen, wie das nach der Aufführung auf unangenehme Weise von zwei Vertretern der WDR-Klangkörper demonstriert wurde. Man werde, verkündeten die beiden ohne jeden Anflug von Ironie, das Orchester im Kongo besuchen, um den Musikern mal ein bisschen Unterricht zu geben. Und ein Video und eine CD gab es noch dazu, vermutlich damit die Kongolesen sich mal anhören können, wie so ein richtiges Orchester klingt.
Monsieur Diangienda habe ich in diesem Moment für seine Gefasstheit sehr bewundert.
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