Den Dämon der Stadt haben wir nur kurz gesehen. Als wir aus dem Flugzeug stiegen, lag Catania in der Morgensonne, und dahinter thronte, schwarz und beeindruckend, der Ätna. Es war ein bißchen diesig, aber nicht bewölkt, und die Gestalt und Ausmaße des Bergs waren so gut erkennbar wie wohl nur selten im Jahr. Er wirkte erstaunlicherweise nicht ganz so gigantisch wie ich ihn mir vorgestellt hatte, aber ehrfurchtgebietend genug. Zumal es im diffusen Morgenlicht so aussah, als ob die Stadt selbst von ihm produziert würde und die goldgelb und beige leuchtenden Häuser klötzchenweise aus einer seiner Flanken herausströmten.
Nur wenig später, nachdem wir im Hotel eingecheckt und uns zu einem ersten kurzen Spaziergang durch die Innenstadt aufgemacht hatten, war der Ätna schon wieder spurlos verschwunden und verbarg sich für den Rest unseres Urlaubs hinter einem dicken Schleier aus Dunst. Als wäre der Auftritt zur Landung Teil eines vorbestimmten Rituals gewesen, zu dem er sich für einen kurzen Moment herabließ, um den Besuchern vorzuführen, wer hier das Sagen hat und den nötigen Tribut an Respekt und Anerkennung einzufordern. Aber offensichtlich waren wir nicht wichtig genug, um mehr zu Gesicht bekommen zu dürfen, und so zog er sich wieder zurück in entlegenere Sphären, zu denen Sterbliche keinen Zugang haben.
Umsonst pilgerten wir zu einem Ort, von dem man ihn eigentlich hätte sehen müssen, nämlich dem wunderbaren Giardino Bellini an der Via Etnea. Es war sonnig und fast ein wenig sommerlich schwül, der Park und die umliegenden Häuser hell angestrahlt, aber da, wo wir den Ätna vermuteten, sahen wir nichts als einen graublau verschwommenen Horizont. Also machten wir’s wie die meisten Menschen um uns herum, dachten uns den Vulkan als etwas, von dessen Existenz man einfach ausgehen muss, um ansonsten die Dinge, die zu tun sind, möglichst rasch und schnörkellos zu erledigen.
Catania ist eine Stadt, die keine Gottesbeweise benötigt: Dass es übermenschliche Mächte gibt, deren Zorn jederzeit unberechenbar losbrechen kann, weiß man hier aus Erfahrung, aber man lässt sich davon auch nicht blöd machen. Die Stadt ist umtriebig, aber quirlig könnte man sie nicht nennen, und dem Ortsfremden mögen die Menschen zunächst weniger leutselig und aufgeschlossen erscheinen als anderswo in Italien. Vielleicht möchte man hier aber nur schneller auf den Punkt kommen und die Zeit, von der man ja nie wissen kann, wie viel zur Verfügung steht, effizienter nutzen.
Konsequenterweise ist die Stadt ebenso pragmatisch und zweckorientiert angelegt wie sie sich gibt. Es gibt wenige italienische Städte, in denen man sich so wenig verlaufen kann wie hier. Den Grundriß kapiert man schnell: Die wichtigsten Straßen sind schnurgerade von Westen nach Osten oder von Norden nach Süden ausgerichtet. Die Seitenstraßen verlieren sich nicht in verwirrenden Labyrinthen und Sackgassen, sondern führen meist ohne große Umschweife zu den Hauptachsen zurück.
Was für die Straßen gilt, lässt sich auch von den Häusern sagen. Catania ist eine Stadt des Barocks, aber das bedeutet hier eine sehr kontrollierte Ekstase, nicht überschwängliche oder manieristische Opulenz. Gestalterische Vielfalt und formaler Reichtum werden immer wieder gebändigt durch eine fast nüchtern wirkende Stilsicherheit: Die Klarheit der Fassade dient als fest umrissener Tanzplatz, auf dem Figuren und Formen in Bewegung geraten können.
Es ist bezeichnend, dass das Wahrzeichen der Stadt einerseits eines ihrer kapriziösesten Monumente ist und es andererseits an der wichtigsten Stelle steht: Der Brunnen mit dem Elefanten aus schwarzem Lavagestein, einer römischen Skulptur, die man nach der verheerenden Vulkankatastrophe von 1669 aus dem Schutt gezogen hat und der seltsamerweise ein Obelisk auf den Rücken gesetzt wurde. Was wie eine alberne Spielerei aussehen könnte, thront hier unübersehbar mitten auf dem Domplatz, der so ein Zentrum bekommt und die umstehenden weltlichen und geistlichen Paläste zum Reigen verknüpft.
Vielleicht steht der Lava-Elefant ja auch für den Vulkan selbst, und der Obelisk für die Stadt, deren Ordnung und Eleganz fest auf dem Rücken Ganeshas steht, so lange der nicht in eine seiner unwägbaren Launen ausbricht. Ein weiterer Brunnen befindet sich am Rande des Platzes: Die Fontana dell’Amenano, benannt nach dem Fluss Catanias, der unter das Pflaster der Straßen verbannt wurde, aber hier sprudeln darf wie ein überaktives Kind, dem man endlich das Spielen erlaubt hat.
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