Aus der Reihe „Vergessene Pilgerorte der Popmusik“: Ein Blick auf Conny Planks Studio im Dörfchen Wolperath, mitten im Bergischen Land, etwa 40 Kilometer südöstlich von Köln.
Besser gesagt: Auf das, was vom Studio noch übrig ist. Es befand sich in einem größeren Hofkomplex, von dem nur noch diese beiden Fachwerkhäuser stehen. Der Trakt, in dem das Studio war – der ehemalige Schweinestall, wie Wikipedia weiß – steht nicht mehr. Auf dem Areal werden derzeit Einfamilienhäuser gebaut. Der Bauherr schwärmt vom „Westgrundstück mit Fernblick“ in „historischer Hoflage“, von „besten Lichtverhältnissen“ und der „jungen Nachbarschaft“. Vom prominenten Vorbesitzer erfährt man nichts, aber vermutlich würde der Name auch nur den wenigsten der jungen Familien, die vom Neubauprojekt angelockt werden sollen, noch etwas sagen.
Dabei wäre das ja wirklich ein interessantes Verkaufsargument: „Da wo sie jetzt stehen, wollte David Bowie unbedingt auch mal hin.“ Bowie kam tatsächlich auf eine Tasse Tee in Wolperath vorbei, weil er unbedingt diesen Typen kennenlernen wollte, der alle diese geilen Krautrock-Bands produzierte, der für Leute wie Kraftwerk, Neu!, Cluster, Guru Guru dieses phänomenale neue Klangverständnis definiert hatte, an das Bowie in Berlin gerade anzudocken versuchte. Aus einer Zusammenarbeit wurde dann zwar nichts, weil Bowie und Plank angeblich doch nicht so gut miteinander klar kamen. Aber kurz darauf machte Bowie Heroes, und das Titelstück ist ein unverhohlenes Tribut an mindestens eine Platte, die in Wolperath entstanden war, nämlich das dritte Neu!-Album, Neu! ’75 mit dem Song „Hero“.
„Heroes“ ist auch ein passender Soundtrack für eine Fahrt nach Wolperath: Hinter Siegburg schwingt sich die Straße rasch auf die Höhe, die Landschaft öffnet sich weit und der lässige Schwung der Kurven, Steigungen und Gefälle treibt einen fast automatisch voran. Planks Studio liegt an einem der höchsten Punkte der Strecke, und den Weitblick, von dem der Bauherr schwärmt, hat man von hier aus tatsächlich (wenn auch sicher nicht von jedem der neuen Häuser aus, das Areal ist doch sehr zerstückelt worden).
Brian Eno, Co-Autor von „Heroes“, war auch einer der Pilger, die sich wegen Plank in die bergische Provinz aufmachten, aber anders als Bowie kam er öfter vorbei, machte Aufnahmen für einige Solo-LPs, produzierte das Debüt-Album von Devo und arbeitete mit den Cluster-Musikern Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius zusammen. (Die beiden LPs Cluster & Eno und After The Heat sind für mich allerdings eher ein Beleg dafür, dass eine Summe nicht immer größer sein muss als die einzelnen Teile.)
Zu den Stammgästen gehörten auch DAF, die in Wolperath alle maßgeblichen LPs aufnahmen: Alles ist gut, Gold und Liebe und Für immer. Plank war, wie man in Verschwende Deine Jugend nachlesen kann, von der minimalistischen Konsequenz des DAF-Sounds ganz fasziniert war. Eine weitere wichtige NDW-Platte, die in Wolperath entstand (allerdings ohne direkte Beteiligung Planks), war die Stahlwerkssinfonie der Krupps, aufgenommen während eines Wochenendes, das eigentlich von Ultravox gebucht war, die wollten sich in der Zeit aber lieber eine Oldtimer-Schau angucken (was auch in Verschwende Deine Jugend nachzulesen ist).
Ultravox waren ebenfalls Dauergäste in Planks Studio, ebenso Ideal, Killing Joke und die Tourists (Vorgängerband der Eurythmics, deren Debüt Plank auch produzierte), außerdem arbeitete er mit Bands wie A Flock of Seagulls, Les Rita Mitsouko und, nun ja, Heinz-Rudolf Kunze. An der Aufzählung dieser Namen kann man allerdings auch sehen, dass Plank in der New Wave- und NDW-Ära nicht mehr unbedingt mit Leuten zusammenarbeitete, die neue Klangwelten erobern, sondern eher ihre Musik mit einem zum Markenzeichen geronnenen Sound veredeln wollten. Bands wie Ideal galten dem harten Kern der NDW-Pioniere ja eher als angestaubte Rocker, die auch noch so ein bisschen in der New-Wave-Ästhetik plantschten.
Seinen Ruf als Phil Spector des Krautrock hatte Plank sich erworben, bevor er nach Wolperath ging: Stilbildende Alben wie die ersten Platten von Kraftwerk, Neu! oder Cluster entstanden in einem ganz anderen Ambiente, im Rhenus-Studio in Köln-Godorf, zwischen den großen Raffinerien am Rheinufer (und nicht nicht weit von der A555, die angeblich Kraftwerks „Autobahn“ inspirierte). Dort wurden auch Kompositionen von Stockhausen, Zimmermann und Kagel aufgenommen, Free Jazz von Peter Brötzmann und Alex von Schlippenbach, oder kommunitäres Gegniedel von Sweet Smoke und der legendären Bröselmaschine. (Nicht zu vergessen das seltsame Debüt-Album einer ansonsten nicht weiter erwähnenswerten Hard-Rock-Band namens Scorpions.) Kraftwerks Ralf Hütter schwärmte irgendwo mal von den Industriegeräuschen, die man hörte, wenn man aus dem Studio kam, vom lauten Fauchen der Flammen, die in regelmäßigen Abständen aus den Schornsteinen schossen. Diese Musik kann man heute noch hören, wenn man auf der Straße nach Wesseling durch das Industriegelände fährt. An den Sound von Wolperath erinnert dagegen so gut wie nichts mehr.
Die verschiedenen Revivals dieses Sounds hat Plank leider nicht mehr miterlebt: Er starb bereits 1987. Seine Lebensgefährtin Christa Fast betrieb das Studio noch einige Jahre weiter und gab erst kurz vor ihrem Tod 2006 auf. Zwei Jahre später gab es einen kurzlebigen Versuch, das Studio zu reaktivieren, aber ein großer Teil des Inventars war bereits verkauft und der Komplex schon zu baufällig. Kurz darauf, 2009 oder 2010, begann der Abriss.
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