Ich war vor einigen Wochen in Assisi und habe mir natürlich in der Basilica den berühmten Freskenzyklus von Giotto angesehen. Ich hatte besonderes Glück: Die Oberkirche wurde für ein Konzert vorbereitet, das im Fernsehen übertragen werden sollte, und Lichttechniker testeten gerade die Beleuchtung. Was mir die Gelegenheit gab, die Fresken in einer Helligkeit und Farbigkeit betrachten zu können, die man sonst wohl nur selten geboten bekommt. Aber ein kleines Detail, das erst vor kurzem entdeckt wurde, ist freilich auch mir entgangen: In einem der Bilder – nämlich dem, das den Tod des Heiligen darstellt – scheint sich der Teufel versteckt zu haben.
Über der Trauergemeinde, die den Tod Franziskus‘ beklagt, und unterhalb dem bereits im Himmel thronenden und von Engeln gehuldigten „neuen Christus“ schwebt eine Wolke. Diese Wolke ist bemerkenswert, denn nicht nur ist sie in einer ungewöhnlich realistischen Art und Weise gemalt. (Üblicherweise wurde der Himmel damals goldfarben oder zumindest monochrom gehalten, um seine Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit zu betonen.) An der rechten Seite dieser Wolke läßt sich außerdem eine dämonische Fratze erkennen, die tatsächlich an Teufelsdarstellungen erinnert. Aber man muss schon sehr genau hinschauen, das Fresko befindet sich einige Meter über dem Boden, und in den über siebenhundert Jahren, die das Bild existiert, scheint niemand die merkwürdige Fratze bemerkt zu haben, bis jetzt die Historikerin Chiara Frugoni darauf aufmerksam wurde, im Zuge der Restaurationsarbeiten, die nach dem Erdbeben von 1997 in Assisi nötig wurden.
Frugoni ist nicht irgendjemand, sondern eine der bedeutendsten Franziskus-Expertinnen: Von ihr stammt eine der besten Biographien über den Heiligen, außerdem ein ebenfalls sehr empfehlenswerter Führer zu den Fresken der Oberkirche. Über den Teufel in der Wolke steht da natürlich noch nichts drin. Eine italienische Lokalzeitung behauptet zwar, die Existenz der Teufeldarstellung sei unter Restauratoren schon wesentlich länger bekannt gewesen, aber Frugoni ist wohl in der Tat die erste, die sie öffentlich dokumentiert und beschrieben hat. Bereits im August hat sie im Burlington Magazine über die Entdeckung berichtet. Dass die Geschichte vergangene Woche nun mit etwas Verspätung durch die internationalen Medien ging, hat vermutlich mit geschickter franziskanischer PR zu tun, denn der Sacro Convento, das Mutterkloster des Ordens, hat vor ein paar Tagen das Thema auf der eigenen Website aufgegriffen und einen Artikel von Frugoni (vermutlich der gleiche, der schon in England erschienen ist) für die eigene Hauszeitschrift angekündigt.
Welche Bedeutung der Kopf in der Wolke hat, darüber kann Frugoni natürlich auch nur spekulieren. Die Wolke selbst kommt in der Heiligenlegende des Franziskus vor: Als Franziskus starb, habe „einer von seinen Jüngern und Brüdern“ gesehen, „wie jene glückliche Seele in Gestalt eines helleuchtenden Sternes auf einer kleinen Wolke über viele Wasser hinweg geraden Wegs in den Himmel getragen wurde“, heißt es in der Legenda maior des Bonaventura. Die Beschreibung soll natürlich an die Himmelfahrt Jesu erinnern – eines der vielen legendären Elemente, die die Franziskus‘ Rolle als Nachfolger Christi betonen (eine Sichtweise, die zum Zeitpunkt, als die Arbeit an den Fresken begann, also rund siebzig Jahre nach Franziskus‘ Tod, durchaus umstritten war).
Die Wolke als Transport- und Kommunikationsmittel Gottes ist aber nicht nur ein biblisches Motiv: Schon antiken Philosophen und Naturwissenschaftler wie Aristoteles, Plinius, Lukrez oder Philostratus interessierten sich für Wolken und Wolkenbilder.
Schon in der Weltlehre oder Meteorologie des Aristoteles machte die Wolke einen einheitlichen Eindruck nur deshalb, weil sie aus Uneinheitlichkeiten, aus funkelnden und spiegelnden Teilchen bestand; bei Lukrez gab sie ein Modell oder Beispiel dafür, wie sich kleinste und unteilbare Dinge, Atome, zu einem Ding überhaupt formieren. Und an einem anderen Ende dieser Wolken-Geschichte umschließt die Wolke den prekären Übergang, der von den Dingen zu den Nicht-Dingen und umgekehrt hinüberführt. Als geformte Zusammenhänge, deren Form und Zusammenhang lose, flüchtig und stets wandelbar bleibt, ergeben die Wolken einen ontologischen Sonderfall.
– (aus: Engell/Siegert/Vogl, Wolken. Archiv für Mediengeschichte No. 5)
Frugoni erwähnt einen Text des byzantinischen Gelehrten Michael Psellos aus dem 11. Jahrhundert, der die Fähigkeit der Wolken, verschiedene Gestalten anzunehmen, mit dem Talent der Dämonen vergleicht, in alle denkbaren Formen schlüpfen zu können. Die Wolke ist also ein merkwürdiges Doppelwesen, das einerseits göttliche Botschaften verheißt, andererseits teuflische Trugbilder an den Himmel zu werfen scheint. Ist die Fratze im Fresko von Assisi ein Reflex auf diese Diskussionen? In Andrea Mantegnas Bildnis des Heiligen Sebastian, das fast zweihundert Jahre später entstand, gibt es ein ganz ähnliches Element wie im Franziskus-Fresko: Eine Wolke, in der sich die Figur eines Reiters verbirgt. Auch hier ist unklar, weshalb die Darstellung ins Bild eingefügt wurde, ob es sich um ein kompositorisches Element handelt, das in klarem Bezug zum Sujet des Bildes steht, oder eine malerische Randnotiz, eine augenzwinkernde Fußnote für eingeweihte Betrachter.
Laut dem Kunsthistoriker Bruno Zanardi (der im übrigen nicht Giotto für den Urheber der Fresken hält, sondern vor allem den römischen Maler Pietro Cavalli) ist an keinem der Fresken so lange gearbeitet worden wie an diesem, nämlich 66 Tage. (Das zweite Fresko auf der rechten Seite der Basilica wurde beispielsweise in nur fünfzehn Tagen fertiggestellt.) Zanardi glaubt, dass mit der Arbeit an den Fresken auf der linken Seite der Kirche auch eine Veränderung des künstlerischen Programms eingeleitet wurde, das eine stärkere emotionale Wirkung der Bilder erreichen wollte. Ist die Teufelsdarstellung ein Ergebnis dieses Programms, eine bewusste Anspielung auf ein populäres Motiv vieler Heiligenlegenden? Dort tauchen oft Dämonen auf, die die Himmelfahrt der heiligen Person im letzten Moment zu verhindern suchen. Die Wolke ist die Lücke, die dem Teufel bleibt, in der er noch einmal (vergeblich natürlich) versuchen kann, sich dem heilsgeschichtlichen Verlauf in den Weg zu stellen.
Vielleicht gibt es, vermutet Frugoni, auch eine ganz banale Erläuterung für den Teufel in der Wolke:
Wir sollten uns die Maler nicht als devote und inspirierte Interpreten eines komplizierten Programms vorstellen, sondern als Arbeiter auf einem Gerüst, die einander ständig mit ihren tropfenden Pinseln und Farbtöpfen im Weg standen, der jeweils anstehenden, eintönigen Arbeit nachgingen und dabei ganz der Gnade ihrer alltäglichen Laune ausgeliefert waren.
Schreiben Sie einen Kommentar