Wenn man auf der Bundesstraße 510 von Rheinberg nach Kamp-Lintfort fährt, wird man vielleicht auf der linken Straßenseite einen Wasserlauf bemerken. Er unterquert die Straße kurz hinter der A57, etwa auf Höhe des britischen Soldatenfriedhofs, und begleitet sie vorbei an der Zeche Rossenray, am Stadtrand von Kamp-Lintfort entlang bis unterhalb der Terassengärten des Klosters Kamp. Hier verliert sich die Spur des Kanals zunächst, aber wer die Bundesstraße verlässt und durch die kleine Siedlung am Dachsberg vorbei über die landwirtschaftliche Wege Richtung Westen fährt, kann immer wieder deutliche Vertiefungen im Boden entdecken, die sich wie Gräben durch die Landschaft ziehen, teils mit Wasser gefüllt, teils mit Bäumen und Gebüsch überwuchert.
Der Wasserlauf und die Vertiefungen sind Reste eine ehrgeizigen Projekts aus dem 17. Jahrhundert: Der Fossa Eugeniana, einer geplanten, aber nie vollendeten Kanalverbindung zwischen Rhein und Maas. Ein Projekt, das nicht nur wirtschaftliche und verkehrstechnische, sondern auch strategische Gründe hatte: Es fiel in die Zeit des Achtzigjährigen Krieges zwischen Spanien und den Niederlanden, in dessen Verlauf sich die protestantischen nördlichen Provinzen von der spanischen Krone lossagten und ihre Unabhängigkeit erkämpften.
Die Initiative zum Bau des Kanals kam allerdings nicht aus Spanien selbst, sondern aus Brüssel, aus dem Umfeld der spanischen Regentin Isabella Clara Eugenia. Der Wasserweg sollte die abtrünnigen Provinzen vom lukrativen Rheinhandel abschneiden und den Handelsverkehr vielmehr nach Westen, in Richtung der unter spanischer Oberhoheit verbliebenen Provinzen, umleiten. Ein weiterer Kanal sollte die Maas über das Flüsschen Demer mit Antwerpen verbinden. Das Handelsvolumen dieser Stadt war deutlich eingebrochen, seit die unabhängigen Niederlande die Mündung der Schelde kontrollierten und die Zufahrt zum Antwerpener Hafen blockierten. Die Kanalverbindung zum Rhein sollte die Folgen dieser Blockade also quasi durch die Hintertür aufbrechen. Darüberhinaus war die Rhein-Maas-Verbindung auch als stabile Verteidigungslinie gegen die Niederländer gedacht, deren Ambitionen – der Dreißigjährige Krieg hatte gerade begonnen – zunehmend auch in die mitteleuropäische Politik reichten. Tatsächlich wurde eine Zeitlang sogar über mehr als nur den Bau eines Kanals nachgedacht: Es gebe Überlegungen, den Rhein komplett umzuleiten, berichtete der päpstliche Nuntius im Frühjahr 1626 nach Rom, und hoffe so einerseits, die Ijssel trockenzulegen, während andererseits durch das Anschwellen der Maas die Gegend um Dordrecht überflutet werden könnte.
Zu den Hauptinitiatoren des ehrgeizigen Projekts gehörte Jan van de Wouvere, ranghohes Mitglied der Brüsseler Finanzverwaltung und enger Berater der Regentin. Van de Wouvere gehörte zu den einflussreichsten Politikern der spanischen Niederlande (weswegen ihn Anthonius van Dyck auch für eine Galerie der wichtigsten Männer seiner Zeit porträtierte). Er hatte bei Justus Lipsius studiert und zählte zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten zu seinem Freundeskreis, darunter den Maler Pieter Paul Rubens, der selbst häufig in diplomatischer Mission für die spanische Sache unterwegs war. (Die Freundschaft zwischen van de Wouvere und Rubens zeigt sich in einem berühmten Bild, das „Vier Philosophen“ genannt wird und heute im Palazzo Pitti hängt. Darauf ist van de Wouvere neben seinem Lehrer Lipsius, Rubens und dessen Bruder Philip – ebenfalls ein Lipsius-Schüler – dargestellt.)
Rubens war ebenfalls ein begeisterter Förderer des Kanalprojekts und wurde so etwas ein Testimonial für das Vorhaben: In seiner Korrespondenz, etwa mit dem Pariser Humanisten Pierre Dupuy, berichtete er häufig und euphorisch die „due imprese gloriosissime“, die beiden äußerst glorreichen Unternehmungen, den Bau des Maas-Demer-Kanals und die Umleitung des Rheins. Für die technische Planung gewann man Giovanni de’ Medici, einen italienischen General, der im Gefolge des spanischen Oberbefehlshabers Spinola nach Brüssel gekommen war und einige Erfahrung im Bau von Kanal- und Entwässerungsprojekten Zu den Befürwortern des Projekts gehörte auch Graf Heinrich von dem Bergh, General in spanischen Diensten und de facto die Nummer zwei in der Befehlshierarchie hinter Spinola.
Das niederrheinische Terrain schien für den Bau einer Querverbindung vom Rhein zur Maas hervorragend geeignet: Dünn besiedelt, flach, kaum nennenswerte geographische Hindernisse. Allerdings war einiges Verhandlungsgeschick nötig, um das Projekt auf den Weg zu bringen. So mussten beispielsweise die Interessen des Erzbischofs von Köln, Ferdinand von Bayern, berücksichtigt werden. Ferdinand war zwar ein entschiedener Verfechter der katholischen Sache, stand einer zu großen spanischen Machtentfaltung aber ebenso skeptisch gegenüber: „Die Niederlanden muessen dividiert bleiben und einen so wenig als anderen Meister lassen werden“, urteilte er.
Sowohl der Rhein-Maas-Kanal als auch der Kanal von der Maas nach Antwerpen (und die mit Bau und Sicherung zusammenhängende Stationierung spanischer Truppen) betrafen Territorien, die zu Einflussbereich des Erzbischofs (der zugleich Fürstbischof von Lüttich war) gehörten. Zum Beispiel die Stadt Neuss, die anfangs als einer der beiden Endpunkte des Rhein-Maas-Kanals vorgesehen war. Das andere Ende sollte sich bei Arcen befinden, aber das stieß wiederum in Venlo, einige Kilometer südlich gelegen, auf Protest. Dort befürchtete man, zwischen den beiden geplanten Kanälen in eine Art ökonomisches Niemandsland zu geraten, und da Venlo eine strategisch bedeutende Stadt war, durfte diese Sorge nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
Die Rhein-Maas-Route, die man schließlich in Angriff nahm, ist dementsprechend ebenso ein Ergebnis diplomatischer Kompromisse wie verkehrstechnischer Notwendigkeiten. Statt in Neuss sollte der Kanal nun in Rheinberg beginnen und von dort aus ziemlich genau westwärts führen (und damit eher an der Nordgrenze der erzbischöflichen Interessensphäre entlang statt mitten hindurch). Im Westen ließ man den Kanal kurz vor Arcen nach Süden abknicken und noch einige zusätzliche Kilometer bis nach Venlo nehmen, wo er dann in die Maas münden sollte.
Am 21. September 1626 konnten die Arbeiten schließlich beginnen: Graf Heinrich von dem Bergh führte den ersten Spatenstich und taufte den Kanal feierlich auf den (dritten) Namen der Regentin Fossa Eugeniana. (Die Infanta selbst bat kurz darauf in aller Bescheidenheit um eine Umbenennung: Mariengraben sollte der Kanal ihrem Wunsch nach heißen, und diese Bezeichnung findet sich tatsächlich in einigen zeitgenössischen Karten.)
Rund 8.000 Mitarbeiter sollen zeitweise im Einsatz gewesen sein. Anfangs kamen die Arbeiten schnell voran, vornehmlich auf dem Abschnitt zwischen Rheinberg und Geldern. Dort war der Kanal schon wenige Wochen später soweit fertig gestellt, dass die Infanta im Sommer des folgenden Jahres eine Besichtigungstour unternehmen und per Schiff von Geldern nach Rheinberg und zurück reisen konnte.
Die Reise der Infanta nahm Rubens als Beleg dafür, dass das Projekt gut vorankomme: „Es ist die allgemeine Meinung“, schrieb er, „dass die Arbeiten an der Fossa Mariana auf glücklichste Weise befördert werden“. In Wahrheit war das Projekt zu diesem Zeitpunkt schon ins Stocken geraten: Zunächst brachte frostiges Wetter im Winter 1626 die Arbeiten zum Erliegen, dann erwies sich das Gelände schwieriger als gedacht. Und die spanischen Pläne waren den Niederländern natürlich nicht verborgen geblieben. Deren Oberbefehlshaber Friedrich Heinrich von Oranien zog große Kontingente in Emmerich und Rees zusammen und zwang die Spanier so dazu, ihrerseits große (und kostspielige) Präsenz zu zeigen. Nur wenige Wochen vor der Reise der Infanta kam es zu einem Überfall niederländischer Einheiten auf einige der spanische Stellungen. Die Niederländer zerstörten Baustellen, entführten Arbeiter und Soldaten, entwendeten Werkzeuge und Baumaterialien.
Vor allem ging dem Projekt aber zunehmend das Geld aus. Sehr zum Ärger der Initiatoren in Brüssel flossen spanische Mittel zunehmend in andere Kriegsschauplätze: In die Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges oder in den Mantuanischen Erbfolgekrieg, wo man sich mit Frankreich um die Vorherrschaft in Oberitalien stritt. 1628 erbeuteten die Niederländer die spanische Silberflotte, und ab 1629 gelang ihnen Zug um Zug die Eroberung wichtiger Stützpunkte entlang oder in der Nähe des geplanten Kanals: Wesel, Venlo, Straelen, Maastricht, Rheinberg.
So wurde aus dem ehrgeizigen Vorhaben eines Kanals vom Rhein an die Maas und darüber hinaus nicht mehr als ein „kostspieliger, aber nutzloser Graben im Boden“, um es mit dem Historiker Jonathan Israel zu sagen. Die Idee verschwand damit nicht vollständig aus der Welt: Friedrich der Große ließ die spanischen Konzepte durch seine Beamten untersuchen, ebenso Napoleon. Der französische Kaiser veranlasste sogar den Bau eines Kanals, zwar mit einem etwas anderen Verlauf als das spanische Projekt, und dennoch mit dem gleichen Ergebnis: Auch sein „Canal du Nord“ blieb unvollendet.
Noch im 19. Jahrhundert beschreiben einige Autoren die Überreste der Fossa als „derzeit verfallen“, so als könnten jederzeit die Bauarbeiten von Neuem beginnen. Zuletzt wurde in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen deutschen und belgischen Ministerien über die Möglichkeit eines Kanals diskutiert, die Verhandlungen verliefen aber ergebnislos.
Obwohl der Kanal also nie seine vorgesehene Funktion erfüllt hat, ist ein erstaunlich großer Teil seines Verlaufs bis heute in der Landschaft sichtbar, ebenso einige der Schanzen, die die Spanier zu seiner Verteidung aufwarfen. Hier und da dient sein Bett als Entwässerungskanal, zum Beispiel am Ortsrand von Geldern, wo ein kurzes Stück in den Nierskanal eingebunden wurde. Anderswo ist wenig mehr als der ausgehobene Graben zu erkennen und dient als Acker- oder Weidefläche, oder er ist von Büschen und Bäumen überwuchert. Selbst in der städtischen Bebauung von Venlo kann man den Verlauf noch in etwa ausmachen.
Und man kann auch heute noch eine fast durchgehende Reise entlang des unvollendeten Kanals unternehmen, entweder zu Fuss oder mit dem Rad. Örtliche Fremdenverkehrsvereine haben eine „Fossa-Route“ ausgeschildert, die sich allerdings auf das Gebiet rund um Geldern beschränkt und nicht immer exakt dem Kanal folgt, sondern auch einige andere Sehenswürdigkeiten im Umfeld ansteuert. Ich habe vor einigen Wochen eine etwas andere Route gewählt, die von Venlo ziemlich genau dem Verlauf der Fossa folgt oder zumindest weitgehend in ihrer Nähe bleibt. Die Strecke ist durchgehend gut begehbar und mit dem Rad befahrbar, einige wenige Stellen (vor allem in den Maasdünen und östlich von Geldern) können bei schlechtem Wetter allerdings unangenehm matschig sein.
Stationen unterwegs:
Venlo
Da wo der Kanal hätte enden sollen, befindet man sich in einer Art städtebaulichem Niemandsland: Die Stadt will die Maaskade zur Promenade aufwerten, und rund um den alten Hafen ist einiges neu gebaut worden, es gibt aber auch noch zahlreiche Baustellen, öde Parkplatzflächen und einigen Leerstand in aufgegebenen Spielsalons und Modeboutiquen. Ein geschlosseneres architektonisches Bild bekommt man erst ein paar Schritte vom Ufer entfernt, nämlich rund um den Wilhelminapark – nicht zufällig auch eines der besseren Viertel von Venlo. Der Park entstand 1870 nach dem Abriss des Forts Ginkel, das 1731 erbaut worden war und zum Festungsgürtel rund um die Stadt gehörte. Auffallendes Element ist der monumentale Brunnen von 1921, den der Architekt Michel de Klerk entwarf, einer der bekanntesten Vertreter der Amsterdamer Schule. Die Aufschrift auf dem Brunnen gilt dem damaligen Bürgermeister Hermanus van Rijn: „Aan burgemeester Van Rijn, 1921 door de Venlosche Burgerij“. Nur einen Steinwurf vom Park entfernt begegnen wir erstmals dem Namen des Kanals beziehungsweise seiner Patronin: Dort steht, an der Ecke Hogeweg / Parkstraat / Helbeek, das denkmalgeschützte Cafe Eugenia von 1901. Ein paar Schritte weiter passiert man den Julianapark, dessen Areal ebenfalls einmal zum Festungsgürtel gehörte, später befand sich am südlichen Ende der sogenannte Kölnische Hafen. Heute gibt’s hier zwei Museen, das 2000 gebaute, regionalhistorische Limburgs Museum (Architektin: Jeanne Dekkers) und das 1971 entstandene Museum van Bommel van Dam für moderne Kunst.
Dritter Park auf der Strecke ist der Burgemeester Berger Park, eine langgestreckte grüne Zone, durch die ein kleiner Kanal fließt: Hier folgt man bereits in etwa dem Verlauf der Fossa Eugeniana entspricht (worauf auch der Straßenname Eugeniasingel hinweist). Der Wasserlauf wird hier allerdings Rijnbeek (oder Rienke) genannt, ursprünglich der Name eines kleinen Bachlaufs, der bei Venlo in die Fossa mündete.
Der Lauf des Rijnbeek setzt sich außerhalb des Parks fort: Als gerader Kanal führt er schnurgerade in nördlicher Richtung unter der Autobahn A67 hindurch zur deutschen Grenze. Er fließt durch ein Gebiet, in dem die Wohnbebauung immer mehr zurücktritt und stattdessen Gewächshäuser, Felder und Bauernhöfe die Szenerie bestimmen. Nur an wenigen Stellen führen Wege oder Straßen am Wasserlauf entlang, so dass man, will man dem Lauf zumindest grob folgen, ein wenig Zick-Zack fahren muss.
Von Venlo nach Arcen
Der Rijnbeek endet ziemlich genau an der deutsch-niederländischen Grenze, und direkt neben der alten deutschen Zollstation befindet sich ein Hinweisschild mit einer Kartenskizze zur Fossa Eugeniana. Die Karte ist nicht besonders genau, und das Schild von Moos und Flechten überwachsen, aber ähnlichen Schildern wird man von hier ab immer begegegnen.
Kurz hinter Grenze trifft man links von der Bundesstraße wieder auf die Fossa. Sie läuft längs des Veenwegs, ist hier aber nur ein von Büschen und Bäumen zugewachsener Graben, hinter dem sich geklinkerte Bauernhäuser verstecken. Am Ende des Veenwegs stößt man wieder auf einen Kanal, den sogenannten Leitgraben. Östlich davon beginnen bald die ersten Ausläufer der Maasdünen, an deren linkem Rand ein hübscher Reit- und Wanderweg nach Norden verläuft.
Kurz vor Arcen überquert man fast unvermerkt wieder die Grenze zu den Niederlanden. Die Fossa ist hier ein deutlich sichtbarer Trog, der sich durch die Dünen schiebt, bewacht von den hoch aufgetürmten Wällen des Forts Hazepoot, der beeindruckendsten Schanze entlang der Strecke (die sogar auf Google Street View besichtigt werden kann). Zu Füßen der Schanze erinnert ein kleiner, idyllischer Teich daran, dass die Fossa einmal als Wasserlauf gedacht war. Am nördlichen Ende des Teichs ist bereits wieder deutsches Territorium: Die Landstraße, die hier verläuft, trägt den Namen „An der Fossa“.
Von Arcen nach Geldern
Zwischen der Grenze und Geldern ist der Verlauf der Fossa auch auf Luftbildern noch gut zu erkennen; Ein langgezogener, wild bewachsener Graben, teilweise noch Wasser führend und hier und da von den Überresten alter Schanzen gesäumt. Die Gegend hier ist immer noch landwirtschaftlich geprägt: Hier werden in großem Stil Obst, Gemüse und Schnittblumen angebaut. Bauernhöfe, Gewächshäuser und Felder säumen den Weg.
Kurz vor Geldern verliert sich die Spur der Fossa, und im Ortsbild des Kleinstädtchens ist sie so gut wie nicht mehr zu entdecken. Eine Ausnahme ist ein kurzes Stück des Nierskanals entlang der Walbecker Straße, für dessen Bau hier das Bett der Fossa genutzt wurde. Geldern selbst war mal eine bedeutende Stadt, Namensgeberin des gleichnamigen Herzogtums, nach dem wiederum die niederländische Provinz Gelderland benannt ist. Vom früheren Glanz ist allerdings nicht mehr viel zu sehen: Die Stadt wurde im Krieg stark zerstört, und die verschiedenen Phasen des Wiederaufbaus haben zu einem uneinheitlichen und wenig markanten Ortsbild geführt.
Von Geldern nach Kamp-Lintfort
Interessanter wird es erst wieder, wenn man aus dem Ort hinauskommt: Im Osten stößt man auf eine große Kiesgrube, den Welbersee, an dessen Nordrand auch die Fossa wieder zu entdecken ist. Hier schiebt sie sich wieder als (weitgehend trockengefallener) Graben durch dichten Wald, wieder gesäumt von den Überresten einiger Schanzen, die von Pfadfindergruppen für Cowboy und Indianer-Spiele genutzt werden. Östlich der Landstraße von Issum nach Sevelen ist der Verlauf dann wieder weniger eindeutig zu erkennbar und fast nur noch anhand einiger Schanzenreste auszumachen. Eine Schanze liegt etwas versteckt im Wald westlich von Hoerstgen, eine weitere, sehr gut sichtbare Schanze liegt östlich des Naturschutzgebietes Blink. Die Fossa selbst wird erst wieder entlang der Eugeniastraße sichtbar: Als leichte Senke im Boden führt sie in Richtung Osten und peilt ziemlich genau das Kloster Kamp an. An der Stadtgrenze von Kamp-Lintfort, in der Siedlung am Dachsberg, wo sich mit der Mariaschanze ein weiteres Verteidigungsbauwerk entdecken lässt, haben einige Anwohner Gärten in die Fossa gebaut.
Von Kamp-Lintfort nach Rheinberg
Kurz vor Kamp-Lintfort verschwindet die Fossa noch einmal kurz, um zu Füßen der Terassengärten des Klosters Kamp wieder aufzutauchen. Die Gärten, die angeblich die Inspiration zum Park von Sanssouci geliefert haben sollen, und das Kloster sind für sich genommen schon eine Sehenswürdigkeit. Zum Zeitpunkt des Baus der Fossa stand das Kloster allerdings leer und war durch den niederländischen General Adolf von Neuenahr weitgehend zerstört worden. Der Kanalbau bedeutete jedenfalls auch den Verlust einiger Ländereien, und wer weiß, ob ein existierendes Kloster den so ohne weiteres hingenommen hätte.
Ab Kamp-Lintfort ist die Fossa tatsächlich ein Kanal, wenn auch freilich ohne Schiffsverkehr. Sie folgt – wie eingangs beschrieben – weitgehend dem Verlauf der B510, passiert dabei zunächst einige Wohnviertel von Kamp-Lintfort und schließlich den markanten Förderturm der Zeche Rossenray, einer der letzten aktiven Zechen des Ruhrgebiets. Der Kanal fließt nicht ganz unbeschadet hier vorbei, heißt es: Angeblich ist das Wasser durch die Abflüsse von Rossenray und der in Kamp-Lintfort liegenden Zeche Friedrich Heinrich stark belastet. Untersuchungen sollen sogar radioaktive Abwässer festgestellt haben.
Kurz vor der A57 liegt der Rheinberg War Cemetery (eigentlich noch auf Kamp-Lintforter Stadtgebiet), der daran erinnert, dass diese Region im Zweiten Weltkrieg ebenfalls umkämpftes Territorium war: Wenige Kilometer nördlich gelang den Alliierten im März 1945 die Überquerung des Rheins. Die Fossa fließt entlang der alten Provinzialstraße, unter der Autobahn hindurch, vorbei am Amazon-Logistikzentrum (das im Zuge der Leiharbeiter-Affäre ebenfalls ins Gerede kam) nach Rheinberg, die einstmals als „Hure des Krieges“ beschimpft wurde, weil sie in den kriegerischen Jahren des 16. und 17. Jahrhunderts so oft ihre Besitzer wechselte wie kaum eine andere Stadt. Von der strategischen Bedeutung Rheinbergs kann man rings ums Stadtzentrum noch einiges erahnen: Der mittelalterliche Wallgraben ist erhalten geblieben, ebenso einige Reste der neuzeitlichen Befestigungsanlagen. In der Stadtmitte hat die Schnapsbrennerei Underberg ein repräsentatives (wenn auch arg überdimensioniertes) Stammhaus im Pseudo-Renaissance-Stil bauen lassen.
Die Fossa schlängelt sich dagegen sehr gemütlich durch eine Grünanlage, an gutbürgerlichen Wohngebieten und Schrebergärten vorbei zu ihrer Mündung. Als der Kanal gebaut wurde, lag Rheinberg noch direkt am Fluss, und die letzte Schleuse ist noch in der Straße „Am Kanal“ erhalten geblieben beziehungsweise – nach schweren Beschädigungen durch einen Brand – rekonstruiert worden. Statt in den Rhein fließt das Wasser der Fossa allerdings zunächst in den Moersbach. Um an die tatsächliche Rheinmündung zu gelangen, muss man sich noch ein paar Kilometer nordwärts halten, vorbei an den riesigen Solvay-Werken und dem hübschen Dörfchen Ossenberg, das dahinter fast unsichtbar geworden ist, bis zum Deich gegenüber dem Ossenberger Hafen: Von dort aus kann man den Schiffen zusehen, wie sie den Rhein hinunter fahren, und sich ausmalen, wie es wohl aussehen würde, wenn sie hier stattdessen abbiegen und an Rheinberg vorbei in Richtung Nordsee schippern würden.
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