Auf dem verbotenen Berg


Auf dem verbotenen Berg

Die Halde Oberscholven ist einer der markantesten Punkte der Ruhrgebiets, und zugleich einer der unzugänglichsten. Mit knapp 202 Metern Höhe ist sie die höchste künstliche Erhebung im Revier, und dank ihrer freistehenden Lage, bekrönt von zwei großen Windrädern und einem Fernmeldemast, eine weithin sichtbare Landmarke. Sie markiert mehr oder weniger genau die Grenze zwischen der industriellen, dicht besiedelten Kernzone des Reviers und dem weit weniger verstädterten, immer noch landwirtschaftlich geprägten Umland. Diese Lage macht den Gipfel der Halde auch zu einem ganz besonderen Aussichtspunkt, wo man den Kontrast zwischen urbanem Ballungsraum und ländlicher Umgebung ganz anschaulich vorgeführt bekommt.

Halde Oberscholven

Leider ist Oberscholven so gut wie nie für die Öffentlichkeit zugänglich. Das Areal gehört der RAG (bzw. ihrer Immobilientochter) und ist Betriebsgelände; im Bauch der Halde befindet sich ein riesiges Trinkwasser-Reservoir des örtlichen Versorgers Gelsenwasser. Nur an ein oder zwei Tagen im Jahr gibt es die Möglichkeit, auf die Halde zu gelangen: Einer davon ist im Mai, wenn – gutes Wetter vorausgesetzt – die katholische Kirchengemeinde Sankt Josef aus Gelsenkirchen-Scholven ihre traditionelle Maiandacht auf dem Gipfel abhält und die Tore der Halde für ein paar Stunden geöffnet werden. Darüber hinaus gibt es wohl ab und zu noch Führungen von Gelsenwasser oder von der VHS Gladbeck, aber wie regelmäßig oder zuverlässig diese Veranstaltungen stattfinden, kann ich nicht sagen. Wenn man etwas Zeit und Muße für die Aussicht von der Halde haben will, sollte man sich auf jeden Fall an die Termine der Kirchengemeinde halten. Außerdem ist es dann auch möglich, mit dem Fahrrad bis auf den Gipfel zu fahren (und offenbar sogar mit dem Motorrad).

Halde Oberscholven

Ich bin schon auf einigen Halden des Ruhrgebiets gewesen, aber Oberscholven war mir bislang buchstäblich verschlossen geblieben. Es ist etwas aufwändig, über die Veranstaltungskalender kleiner Ruhrgebiets-Kirchengemeinden auf dem Laufenden zu bleiben, und darum habe ich die spärlichen Gelegenheiten, auf die Halde rauf zu kommen, immer verpasst. Dankenswerterweise gibt es verdienstvolle Lokalhelden wie die Betreiber der Website Ruhrgebiet-Industriekultur, die wiederum einen Halden-Twitter eingerichtet und frühzeitig auf den Andachtstermin in diesem Jahr hingewiesen haben.

Halde Oberscholven

Der war nun am vergangenen Sonntag, und da die äußeren Bedingungen für eine Bergetappe der besonderen Art geradezu optimal waren – sommerliche Temperaturen, strahlender Sonnenschein und beste Sicht, von der üblichen Ruhrgebietsdunstglocke mal abgesehen –, wollte ich mir die Gelegenheit in diesem Jahr nicht entgehen lassen. Wie es sich für eine Bergetappe gehört, war eine Tour mit ordentlichem Anlauf geplant, um die Beine für den Anstieg warm zu fahren. Von Oberhausen über Bottrop und Gladbeck sind es bis zur Halde 25 Kilometer. Dann geht es noch etwa drei Kilometer bergauf. Der Anstieg ist nicht allzu fordernd: Eine breite Werkstraße führt fast bis kurz unterhalb des Gipfels, mit erträglichen Steigungen und auch ein paar flacheren Passagen zwischendurch. Die letzten paar hundert Meter muss man auf einem passablen Schotterweg absolvieren.

Halde Oberscholven

Auf den ersten Kilometern führt die Piste durch dichten Wald – 212.000 Bäume wachsen auf der Halde, behauptet die Wikipedia, „darunter Erlen, Linden, Rotweiden, Eschen und Scheinakazien, ferner Sträucher und Kräuter“. Der Eindruck eines Naturparadieses will trotzdem nicht so recht aufkommen, zu sehr rückt die umliegende Industrie der Halde auf den Bauch. Im Westen das Kraftwerk Scholven („eines der leistungsstärksten Steinkohlekraftwerke Europas“, sagt Wikipedia), im Osten und Süden die riesige Ruhr Oel-Raffinerie, von der beständig ein penetranter Benzingestank herüberweht. Nur im Norden haben sich ein paar Felder und Wiesen gehalten, aber auch damit könnte es bald vorbei sein. Ruhr Oel will expandieren, die Erweiterungspläne sind längst genehmigt und es scheint nur eine Frage der Zeit, wann sie umgesetzt werden. (Zuletzt hieß es allerdings, bei Ruhr Oel favorisiere man inzwischen das Areal des Kraftwerks Scholven, das in einigen Jahren schließen wird.) Bei Bürgerinititiativen und Umweltschutzorganisationen gibt es einigen Widerstand gegen diese Pläne, zumal Ruhr Oel immer wieder vorgeworfen wird, es mit der Einhaltung von Grenzwerten nicht ganz so genau zu nehmen.

Halde Oberscholven

Das Kraftwerk Scholven gehört laut Greenpeace selbst zu den zehn gesundheitsschädlichsten Kohlekraftwerken in Deutschland: Die Höhenluft ist also ganz sicher kein Argument für einen Besuch auf der Halde. Trotz der dicken Luft war einiges los am Sonntag, und es herrschte die Atmosphäre eines entspannten Stadtteilfestes. Rüstige Rentner (die weniger rüstigen wurden mit Shuttlebussen gefahren), Familien mit Kindern, Grüppchen von Teenagern, Profi- und Amateurfotografen mit Equipment in allen Preis- und Leistungsklassen – eine bunte Gesellschaft versammelte sich da auf dem Haldengipfel. Wobei schnell klar wurde, dass die meisten wegen der Aussicht hier waren und nicht wegen der Andacht. Viele Ausflügler schauten sich nur mal kurz um und gingen wieder, noch bevor der Pfarrer auf dem Berg erschienen war.

Die kleine Gemeinde – überwiegend im Pensionsalter – versammelte sich indes um den einzigen Schmuck des Haldengipfels – ein gußeisernes Gipfelkreuz und eine halbe Seilscheibe als Zeugnis der industriellen Vergangenheit – und harrte tapfer auf den harten Bierbänken aus, die als einzige Sitzgelegenheiten zur Verfügung standen. Zwei Meßdiener standen etwas gelangweilt herum, fanden ab und zu wenigstens Beschäftigung als Fotomodelle, wenn sie nicht gerade den Passagieren der Shuttlebusse die Türen aufhalten mussten. In der Andacht, so viel habe ich noch mitbekommen, ging es um irgendeine traditionelle Form der Mariendarstellung; ein entsprechendes fotokopiertes Beispiel hatte man an der Seilscheibe befestigt. Ich hab mir lieber, wie die meisten Besucher, das Panorama angeschaut und dem Zischen und Schnaufen der Industrie zugehört. In ein paar Jahren, wenn die Norderweiterung tatsächlich ausgeführt worden sein sollte, wird die Halde vermutlich wie ein Fremdkörper wirken, ein riesiger gestrandeter grüner Wal inmitten eines Gitterwerks aus rauchenden, qualmenden und stinkenden Schornsteinen.

Halde Oberscholven

Zurück ging es darum auf einer anderen Route: nicht quer durchs Revier, sondern am Nordrand entlang, vorbei an Feldern, Wiesen und Pferdekoppeln zum Grafenwald, und schließlich entlang des Rotbachs nach Dinslaken. Die Industrie scheint da auf einmal ganz weit weg. Aber das täuscht: Leise rattert eine Kiesgrube hinter den Bäumen, die idyllischen Mäander des Bachlaufs sind in Wahrheit ausgebaggert worden.

5 Antworten

  1. Avatar von Christian
    Christian

    Guten Abend , Ich hätte mal eine Frage zur ‚Verbotenen Halde‘.

    Und zwar : Ist schon bekannt ob dieses Jahr im Mai 2016 wieder eine Halden – begehung stattfindet.

    Ich war letztes Jhar auf der Halde gewesen und dieser Ausflug war einfach nur Grandieus =P !!!

    Ic würde Mich sehr über eine Antwort freuen

    MfG: Christian

  2. Begehungen sind, wie oben erwähnt, in der Regel nur im Rahmen der Maiandacht der Josefsgemeinde möglich. Ob die stattfindet, hängt vom Wetter ab. Am besten einfach mal bei der Kirchengemeinde nachfragen (Link siehe oben).

    Wie gesagt, Führungen von Gelsenwasser oder der VHS Gladbeck soll es auch ab und zu gehen, da habe ich aber selbst noch keinen Hinweis gefunden.

  3. Avatar von Markus
    Markus

    Hallo,
    die Maiandacht auf der Halde Oberscholven findet am 22.05.2016 statt.
    Gruß
    Markus

  4. Danke für den Hinweis. In den Gemeindenachrichten auf der Website der Kirchengemeinde ist der Termin inzwischen auch zu finden.

  5. Avatar von Johannes Stangier
    Johannes Stangier

    Moin Claus,

    danke für diesen großartigen Artikel. Bei meiner heutigen Radtour zum Funkturm Melchenberg, habe ich von der dortigen Aussichtsplattform die Erhebung der Halde aus einiger Entfernung gesehen. Als Münsteraner habe ich eine große Sehnsucht nach Bergen und Serpentinen zum hoch- und runterradeln. Die nächste Maiandacht der St. Urbanus-Gemeinde wird in meinem Kalender rot markiert.

    Grüße!

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